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Der Erna geht es gut
Auf die Bemerkung eines Hörers in der Sendung Punkt eins (29. Juni 2018) unseres Quellen-Radios Ö1 – „seltsam, es wird vom Roboter und vom Ausgehen der Arbeit geredet, während gleichzeitig über die 60-Stunden-Woche diskutiert wird“ –, erwidert der Philosoph Konrad Paul Liessmann, philosophisch gesehen halte er das für interessant, um nicht zu sagen paradox, um (hier verkürzt wiedergegeben) weiter auszuführen:
Der Schwiegersohn von Karl Marx, Paul Lafargue, der Das Recht auf Faulheit [Widerlegung des „Rechts auf Arbeit“ von 1848, ersch. 1880] proklamiert hat, hat schon zu Ende des 19. Jahrhunderts geglaubt, der wissenschaftlich technische, industrielle Fortschritt sei inzwischen so weit, dass es eigentlich genügen müsste, um alle – auch gehobenere – menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, wenn jeder drei Stunden pro Tag arbeitete. Wenn die Erzählung von der gesteigerten Produktivität des entfalteten Post-Kapitalismus stimmte, dann sollten wir nicht über den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche diskutieren, sondern besser darüber, wie die 20-Stunden-Woche aufgeteilt werden kann. … Dass einige das anders sehen und wir jetzt versuchen, Arbeitszeiten zu flexibilisieren – "und unter’m Strich kommt heraus, sie werden verlängert – ist freilich erklärbar durch verschärften Konkurrenzdruck, dennoch", so Liessmann, "ist das eine Antwort des 19. Jahrhunderts auf Fragen des 21. Jahrhunderts und deshalb eine falsche Antwort."
Während ich unbedarfter Neuer Selbständiger an solchen Aneinanderreihungen von Argumenten und Meinungen tippe, beschließen die österreichischen Regierungsparteien nach Radikalverfahren gerade die Arbeitszeitreform im Nationalrat. Wir schreiben den 5. Juli 2018 und der Literaturnobelpreisträger und Volksökonom Bob Dylan wird einmal mehr bestätigt:
Come writers and critics
Who prophesize with your pen
And keep your eyes wide
The chance won't come again
And don't speak too soon
For the wheel's still in spin
And there's no tellin' who
That it's namin'.
For the loser now
Will be later to win
For the times they are a-changin’.
Ob „die Verlierer später gewinnen werden“, stellt eine aktuelle kanadische Studie in Zweifel, nach der ab 45 Stunden Arbeit pro Woche das Diabetesrisiko bei Frauen steigt. Über einen Zeitraum von zwölf Jahren haben Soziologen die Gesundheitsdaten von rund 7000 kanadischen Männern und Frauen beobachtet und kommen zu dem Schluss, dass bei Frauen das Risiko, an Diabetes zu erkranken, um 63 Prozent steigt, wenn sie 45 Stunden und mehr in der Woche arbeiten. Wenn Männer in dieser Form nicht betroffen sind, dürfte das am vergleichsweise höheren Bewegungsmangel beziehungsweise dauerhaftem Stress liegen, dem berufstätige Frauen stärker ausgesetzt sind, weil Frauen neben Erwerbsarbeit auch deutlich mehr Familienarbeit leisten.
Im Vorjahr wurde eine finnisch-schwedische Studie veröffentlicht, nach der Menschen, die mehr als 55 Stunden pro Woche arbeiten, einem um 40 Prozent erhöhten Risiko ausgesetzt sind, binnen zehn Jahren an Vorhofflimmern zu erkranken, der bedeutendsten Ursache für Schlaganfälle. Und derlei Studien gibt es mehr. Was bewirkt Burnout und woher kommen die Kreuzschmerzen? Und so fort.
„Geht’s dem Werner gut, geht’s auch der Erna gut“ mag durchaus zutreffen. Früher hieß das „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“. Das inzwischen aus der Kampagne der Wirtschaftskammer genommene Video (Youtube kann’s noch unter https://www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=hAdMSQA9_XQ), in dem Erna und Werna (sic.) sich über zwölf Stunden Arbeit pro Tag freuen, verspricht nach bemerkenswerter Logik: „Einmal länger hack’ln geh’n, wenn’s das Geschäft verlangt – was der Chef [!] dir mit mehr [!] freier Zeit dankt.“ Der Chef übrigens ist ein Mann, der mit einem Geschenkpaket an Wernas Arbeitstisch kommt. Darin befindet sich ein Ausschalter. Werna schlägt auf den Button und wird in ein lustiges Schlauchboot katapultiert, das sich sicher nicht auf dem Mittelmeer befindet.
Wir sind also Teil einer Zeitgenerierungsmaschine, aus der mehr Freizeit durch mehr Arbeitszeit entsteht. Optisch sieht das so aus, dass Mama nach zwölf Stunden Arbeit die Kinder mit einem Flugzeug aus dem Kindergarten abholt. Man kann sich, so wird uns gesungen, die Zeit für die Familie „besser einteilen“. In einem pdf. auf Wir schauen auf Österreich finden wir die Erläuterung:
„Wenn die Arbeitszeit auf zwei oder drei Mal 12 Stunden konzentriert wird, kann man sich die Kinderbetreuung besser nach Tagen aufteilen. Mutter bzw. Vater müssen nicht so oft in die Arbeit fahren. Wegzeiten entfallen.“ Eh ist sie schön, die neue Welt.
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Der Erna geht es gut
Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.
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