13/03/2009
13/03/2009

Architektin Sabina Prommersberger, Vorstandsmitglied der Wohn- und Baugenossenschaft „frauenwohnen eG“ München.

FrauenWohnen München-Riem, Innenhof Kinderspielbereich, Planung: Planungsgemeinschaft Zwischenräume München, Foto: FrauenWohnen eG

Projekt: Wohnanlage FrauenWohnen eG München-Riem, Planung: Planungsgemeinschaft Zwischenräume München, Nordwestansicht, Foto: FrauenWohnen eG

Großer Nachholbedarf für Frauen. Der konventionelle Wohnungsbau ist noch immer von Männern und ihren Vorstellungen von der bürgerlichen Kleinfamilie (großes Wohnzimmer, kleine Küche und winzige Kinderzimmer) geprägt und nur ein Prozent der Immobilien weltweit befinden sich in Frauenhand. Es gibt zudem noch andere triftige Gründe, um sich Alternativen zu überlegen. Neue Wohnformen sind gefragt, weil die Lebensstile der Frauen so vielfältig wie nie sind. Das unterstrich auch Architektin Sabina Prommersberger in ihrem Vortrag „Wohnalternativen: Frauenwohnen eG“ im Grazer Stadtmuseum anlässlich des Internationalen Frauentages. Gemeinsam mit einer Gruppe engagierter Münchnerinnen setzte die ausgebildete Krankenschwester, die im zweiten Bildungsweg Architektur studierte, ein genossenschaftliches Frauenwohnprojekt in der Messestadt Riem um. Damit spielt das Projekt München eine Vorreiterrolle in Sachen Frauenwohnen.

Individuell in Gemeinschaft
Das Thema Sicherheit spielt für viele Frauen eine große Rolle – vor allem in Bezug auf die Kostenentwicklung. Renten steigen nicht, Mieten schon. Frauen wollen wissen, wie es weitergeht. Frauen suchen gegenseitig Unterstützung. Das Motto lautet: Individuell in Gemeinschaft. Die Initiatorinnen von "Fauenwohnen EG" wollen alle Frauen ansprechen: junge, alte, alleinstehende oder mit Kind/Partner lebende, Alleinerziehende, Frauen mit Migrationshintergrund, lesbische Paare und auch hochbetagte. Ein Beispiel von Sabina Prommersberger lautet etwa so: "Eine Interessentin war 90 Jahre alt und noch sehr rüstig. Sie hatte einen Schäferhund und lebte lange in Australien. Obwohl sie finanziell wohlhabend war, wollte ihr niemand eine Wohnung in München vermieten. Nun wohnt sie in unserem Projekt und ist gut versorgt. Sonst wäre ihr nur das Altersheim geblieben." Auch die Wohnsituation für ältere Frauen mit Behinderung ist schwierig. Sie werden oft allein gelassen, während Männer mit Behinderung im Alter gut versorgt sind.

Wohnen in Fauenhand
Und die Männer? Sie können in der Anlage mitwohnen, sei es als Ehemann, Lebenspartner oder Sohn. Genossenschafter dürfen aber nur Frauen sein. Es begann mit der Frage: „Was können wir tun, um die Wohnsituation für Frauen zu verbessern?“ München ist in punkto Wohnimmobilien ein teures Pflaster. Es herrscht chronischer Wohnungsmangel und Frauen mit niedrigen Einkommen und Renten sind besonders betroffen. Zunächst wurde von einer Gruppe engagierter Münchnerinnen ein Verein gegründet, mit dem Ziel, günstigen Wohnraum für Frauen zu schaffen. Zum bunt zusammengewürfelten Team gehörten Frauen, die in München nicht überteuerte Mieten zahlen wollten und sich keine Eigentumswohnung leisten konnten. All diese Überlegungen führten dazu, dass 1998 die Genossenschaft „FrauenWohnen eG“ gegründet wurde. Die Frauen entschieden sich für die Rechtsform „Vermietungsgenossenschaft“ und nicht „Eigentum“, damit das Wohnen in Frauenhand bleibt. Das war den Projektverantwortlichen wichtig, denn die Wohnungen sollen nicht an männliche Nachkommen vererbt werden.

Weibliche Wohnbedürfnisse
Heute hat die selbstverwaltete, basisdemokratisch ausgerichtete Genossenschaft 260 „Mitfrauen“ (so heißen die Genossenschafterinnen). Die Anlage in der Messestadt Riem verfügt über 49 Wohnheinheiten, 4 Büros, Gemeinschaftsräume und ein Gästeappartement. Von der Genossenschaftsgründung bis zur Fertigstellung im Jahr 2006 sollten aber noch einige Jahre vergehen. Die Vorlaufzeit war geprägt vom jahrelangen Bemühen um ein Grundstück. Es fehlte das Vertrauen, dass Frauen bauen können. Erst 2004 kam es zum Grundstückskauf in der Messestadt Riem, gut an der U-Bahn angebunden, direkt am Park und ganz in der Nähe des großen Badesees.

Barrierefrei, kommunikativ
Von Anfang an beteiligten sich die Frauen an der Konzeption und Planung. Die Frauen aus unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen wollten barrierefrei, gemeinschaftlich, ökologisch und kommunikativ wohnen. All das wurde verwirklicht. Verbindende Laubengänge gibt es dort, ein Gästeappartement, einen Gemeinschaftsraum und ganz wichtig: einen kommunikativen Innenhof, wo Kinder spielen, Erwachsene sich treffen und feiern können. Die einzelnen Wohnungen sind mit geräumigen Küchen, gleich großen und nutzungsneutralen Zimmern ausgestattet. Möglichst flexible Grundrisse erlauben, dass die Wohnungen den individuellen und sich ändernden Bedürfnissen der Bewohnerinnen angepasst werden können.

Finanzierung schwierig
Wie wurde all das finanziert? Die Gesamtkosten für den Neubau betrugen 7,6 Millionen Euro. Damit blieb frau innerhalb der kalkulierten Kosten. Die Finanzierung war für die Genossenschafterinnen eine Herausforderung. Knapp ein Viertel des benötigten Kapitals mussten die Bewohnerinnen aufbringen. Der Rest wurde über Kredite finanziert. Die Kapitalkosten werden auf die monatliche Kostenmiete umgelegt. Sicherer Wohnraum für Frauen sollte geschaffen werden, mit lebenslangem Wohnrecht und Schutz vor Kündigung und Spekulation. Zum Einstieg mussten die Frauen tief in die Tasche greifen. So bezahlten Genossenschaftsmitglieder eine einmalige Einlage von 1.100 Euro und einen Eigenkapitalanteil von 870 Euro pro Quadratmeter für frei finanzierte und 400 bis 620 Euro für geförderte Wohnungen (bei 45 Quadratmetern ergibt dies 39.150 Euro bzw. 18.000 bis 27.900 Euro). Die Mietbelastung nimmt aber im Laufe der Jahre ab. Wenn die Immobilie abbezahlt ist, werden die Genossenschaftswohnungen deutlich billiger sein als vergleichbare Mietwohnungen auf dem Markt.

Was ist frauenspezifisch?
Die Frauen hatten nicht unbedingt mehr Wünsche und Anforderungen als Männer. Sie wollen ihr Wohnumfeld qualitativ und kommunikativ gestalten, weil sie sich viel zu Hause aufhalten. Das Thema Sicherheit zieht sich durch. Die Beleuchtung der Tiefgarage erfolgt über Bewegungsmelder. Wert gelegt wird auf Kommunikation und Unterstützung – auch im Hinblick auf die Frage: Findet mich im Notfall jemand in der Wohnung? Es findet mehr Austausch statt, was sich beispielsweise auch durch die Gemeinschaftsräume und das Gästeappartement ausdrückt. Selbstbestimmung, Mitgestaltung und Partizipation – all das wurde als spannender Prozess und als heißes Eisen in der Architekturszene gesehen. Zeitnahe Entscheidungen, der hohe Arbeitsaufwand und Kostenfragen beinhalteten freilich auch Konfliktpotenzial. Das Architekturbüro war mit vielen Änderungs- und Sonderwünschen konfrontiert. Das nächste Projekt wird wieder mit demselben Büro geplant – das spricht für sich. Es handelt sich dabei um eine innerstädtische Hinterhofbebauung mit 27 Wohneinheiten (Bezug 2011). Ein weiterer Neubau mit 40 Wohneinheiten ist angedacht, denn die Nachfrage ist groß.

Letzte Wohnanlage
Ein Zukunftsthema ist beispielsweise die selbstbestimmte, ambulante Versorgung. Skurril anmutendes Detail: Eine so genannte Bestattungsgruppe ist gerade dabei, ein eigenes Gräberfeld am Friedhof anzukaufen. Das ist normalerweise nur Klöstern vorbehalten. Für die „letzte Wohnanlage“ Riem haben sich 20 Frauen verbindlich angemeldet. Es wird in der Wohnanlage Riem herzlich humorig darüber diskutiert, wer keinesfalls neben wem „liegen“ will.

Wir sind Bauherrinnen!
Das Projekt „Frauenwohnen eG“ wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem „Messestadt Riem Bauherrenpreis 2008“. Die Genossenschaft möchte zwei weitere Projekte verwirklichen.

Wie sieht es in Österreich aus?
„Ein aktuelles Beispiel ist das Frauenwohnprojekt „RO*SA“ in Wien Donaustadt, initiiert von Sabine Pollak“, so Architektin Elisabeth Anderl, die gemeinsam mit Jasmin Leb-Idris und Karin Wallmüller von der Arge W : A : B Wohnbau: Alternative Baugruppe die Veranstaltung des Ziviltechnikerinnenausschusses der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten fachlich begleitete. Sie wurde von der Stadt Graz, Bürgermeister Siegfried Nagl und von der Abteilung für Soziales, Jugend, Familie und Frauen in Graz, Stadträtin Elke Edlinger unterstützt.

Auf Graz übertragbar?
Bei der anschließenden Diskussion ging es vor allem um Fragen der Übertragbarkeit des Projektes auf die Stadt Graz. Das Projekt sei aufgrund der anderen Bedingungen und
Strukturen in München sicherlich nicht eins zu eins in einer anderen Stadt umsetzbar, so Prommersberger. Ganz grundsätzlich kann man(n) aber vom Projekt München lernen: Haben Frauen andere Bedürfnisse beim Wohnen?Andere Ressourcen? Und: Die nächsten Initiatorinnen können auf Erfahrungen zurückgreifen und müssen nicht bei Null anfangen. Die anwesende Stadträtin Elke Kahr verwies auf die speziellen Probleme im sozialen Wohnbau in Graz und auf die „schlechte Förderlandschaft“ für derartige Projekte. Es würden von der Stadt kaum Gründstücke für den Bau von Gemeindewohnungen bereitgestellt. In Graz sei man froh, wenn man überhaupt einmal mit dem kommunalen Wohnbau weiterkommt. Auch Architektin Elisabeth Lechner, die sich im Bereich Frauenwohnen engagiert, verwies auf die ernüchternde Förderungssituation in Graz. Prommersberger führte aus, dass in der Münchener Wohnanlage auch Frauen aus benachteiligten Schichten leben, wie etwa Hartz IV-Empfängerinnen, Migrantinnen und auch Mindestrentnerinnen. Die Bedingungen in München seien aber anders als in Graz. „Die Stadt München freut sich über die kleinste Initiative und sie unterstüzt uns, weil es hier keine günstigen Mietwohnungen gibt.“ Dennoch sei für die Umsetzung viel Vorfeldarbeit notwendig gewesen, weil „uns niemand zugetraut hatte, dass wir ein Haus bauen können“. Probleme seien das Eigenkapital und die hohen Einstiegskosten bei den Genossenschaftswohnungen. „Durchmischen sozialer Strukturen ist uns aber ein Anliegen und es soll ein Wohnprojekt für alle Frauen sein.“

Objektdaten Wohnanlage Messestadt Riem:
Wohngebäude mit 49 Wohneinheiten, 4 Büros, Gemeinschaftsräume und Gästeappartement
Fertigstellung: Ende 2006
Bruttogeschossfläche: 3.759 qm
Wohnfläche/ Nutzfläche: 2.782 qm
GFZ (Geschossflächenzahl): 1,18
Konstruktion: Um einen Innenhof angeordnete zwei- bis fünfgeschossige Gebäude in Stahlbetonschottenbauweise mit hochgedämmten, nichttragenden Holzrahmenelementen und Laubengangerschließung
Jahresprimärenergiebedarf: 40 kWh/qm Nutzfläche (Fernwärme, Brauchwassersolarkollektoren, Kontrollierte Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung)
Nettoherstellungskosten: (1.093 Euro netto/qm Wohnfläche/Nutzfläche)
Entwurf und Planung: Planungsgemeinschaft Zwischenräume, München
Freiraumplanung: Arbeitsgemeinschaft Zaharias/Wiedmer-Thiel, München
Bauherrin: FrauenWohnen eG
vertreten durch: Technische Projektleitung: Dipl.-Ing. Sabina Prommersberger
Kaufmännische Projektleitung: Elisabeth Gerner

KONTAKT:
info@frauenwohnen.de
www.frauenwohnen.de

Verfasser/in: Gerlinde Knaus
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