03/11/2011
03/11/2011

Diese Frage stellt man sich zwangsläufig, wenn man in letzter Zeit anlässlich der Auflage eines Bebauungsplanentwurfes bei einer BürgerInnen-Informationsveranstaltung der Stadt Graz war. Dort zeigt sich die gesamte Problematik hinsichtlich der derzeitigen rechtlichen Handhabung, des Handlungsspielraums im rechtlichen Rahmen, der mangelhaften Kommunikationskultur und der fehlenden BürgerInnenbeteiligung.

Die Bebauungsplanung ist neben dem örtlichen Entwicklungskonzept, dem Flächenwidmungsplan (FLWP) und dem örtlichen Leitbild jenes rechtliche Instrument des Raumordnungsgesetzes, welches am detailliertesten die Rahmenbedingungen zur Umsetzung der Raumordnungsgrundsätze nach einer geordneten Entwicklung einer Siedlungsstruktur vorgibt und sich an den, im Entwicklungskonzept bzw. Leitbild definierten Rahmenbedingungen orientiert. Der Bebauungsplan, als rechtswirksames Planungsinstrument, darf somit dem gültigen FLWP und Entwicklungskonzept inhaltlich nicht widersprechen (ROG §8). Anderes formuliert: der Bebauungsplan ist jenes Instrument für die Stadt bzw. Gemeinde, mit dem sie ihre Zielformulierungen aus dem Entwicklungskonzept rechtswirksam und damit verpflichtend umsetzen kann bzw. könnte, wenn sie dazu bereit wäre.
Und hier liegt auch das eigentliche, wohl typisch österreichische Problem: Gehandelt wird erst dann, wenn unbedingt erforderlich. Eine vorausschauende, nachhaltige Siedlungspolitik hat in Wahrheit seit der Einführung des Raumordnungsgesetzes 1974 nie stattgefunden, in der Praxis herrschte „Zersiedelungspolitik durch Wegschauen“.
„In der politischen Realität liefern Flächenwidmungspläne vor allem die Legitimation der jeweils aktuellen durchsetzungsfähigen Nutzungsansprüche. So sind Standorte und Strukturen vielmehr die Folge von individuellen Ad-hoc-Übereinkünften von Investoren, Liegenschaftseigentümern und Akteuren des politischen Systems als das Ergebnis vorausschauender staatlicher Lenkung“, führt Friedrich Schindegger (Raumplanungsexperte und langjähriger Mitarbeiter des Österreichischen Instituts für Raumplanung Wien) erst kürzlich in einem Artikel aus (siehe Links). Schindegger prangerte die österreichischen Raumordnungspraktiken bereits 1999 in einer Publikation, herausgegeben von der ÖIR, massiv an – geändert hat sich seither nicht viel.

Noch ist es also gängige Praxis, dass Bebauungspläne in der Steiermark meist nur punktuell und anlassbezogen verordnet werden. Dies gilt vor allem auch für die zweitgrößte Stadt Österreichs, Graz, die sich nicht an den höheren Standards orientiert wie z. B. an jenem der Bundeshauptstadt Wien, die über eine flächendeckende Bebauungsplanung verfügt.

Die Stadt Graz versuchte zwar in den letzten Jahren mit dem bereits eingestellten „Grazer Modell“ (2006-2009) und dessen Instrument der flächendeckenden Bebauungsleitlinie den anlassbezogenen Bebauungsplänen theoretisch zu entkommen und damit eine langfristige und strategisch angelegte Qualitätssicherung im Stadtbild zu forcieren. Dieses Instrument wurde allerdings aufgrund des hohen Aufwands und der Kosten bei der Erstellung noch vor Beginn der Umsetzung wieder eingestellt (GAT berichtete). Das Nachfolgemodell bzw. -instrument, der Fachbeirat für Baukultur, sieht lt. Stadtbaudirektor Bertram Werle vor, dass „ein Mitglied in die Erstellung der Bebauungspläne eingebunden werden soll“. Dieser Punkt ist allerdings in der bisherigen, durch den Gemeinderat beschlossenen Geschäftsordnung für den Fachbeirat nicht enthalten.
Der Mangel an Willensstärke bzw. Willensbekundung, der in der Stadt Graz noch immer vorherrscht, verstärkt nach außen den Eindruck, dass Investoren in Graz die Stadtplanung diktieren. Man denke an medienwirksame Bauprojekte wie Kommod-Haus, Thalia, Andreas-Hofer-Platz, ECE, Styria-Mediatower etc.

Auch in der jüngsten Vergangenheit erfolgte eine Reihe von anlassbezogenen Bebauungsplänen wie bei Lange Gasse/Körösistraße (August 2010), Alte Poststraße/Georgigasse/Prangelgasse/Krausgasse (Juni 2011) und Oeverseegasse/Lissagasse/Larzarettgürtel (September 2011). In allen genannten Fällen bilden sich im jeweiligen Bebauungsplan die Entwürfe von Investoren-Bauprojekten 1:1 in den Konturen der Baugrenzlinien und den Vorschreibungen der Verordnungen ab. Bei den BürgerInnen-Informationsveranstaltungen werden dann Entwürfe – keine Studien – mit detailreichen Renderings, Modellen und Bepflanzungskonzepten von Architekten und Landschaftsarchitekten vorgestellt. Diese Projekte spiegeln bereits die konkreten Bau- und Renditevorstellungen des Investors ab – stets unter der Prämisse der maximalen Ausnutzung der Bebauungsdichte des FLWP.
Die amtlichen Vertreter verteidigen die Forderung der Investoren nach maximaler Dichte und in Folge nach maximaler Geschoßhöhe. Die gesetzlichen Möglichkeiten einer Unterschreitung der im FLWP festgelegten Bebauungsdichte (Bebauungsdichteverordnung §4, ROG §41) aufgrund öffentlicher, städtebaulicher und siedlungspolitischer Interessen werden mit dem rechtlich widersinnigen Hinweis auf „das Recht des Bauherrn auf Ausnutzung der maximalen Bebauungsdichte“ und als „Eingriff ins Privatrecht“ kategorisch ausgeblendet. Die Fachabteilung der Stadtplanung degradiert sich damit selbst zum Spielball zwischen Politik- und Investorendruck.

Der Großteil der Investoren übt also bereits mit fertigen, einreichfähigen Projekten sehr erfolgreich Druck auf die zuständige Behörde aus. Nur ein kleiner Teil der Investoren lässt sich durch monatelange Verhandlungen mit der Stadt zur Durchführung eines Architekturwettbewerbs überreden oder tritt mit einem solchen Vorhaben an die Stadt heran. Die Abwicklung eines städtebaulichen Wettbewerbs kann allerdings zwischen sechs und neun Monate dauern. Die Kosten inkl. Abwicklung und Preisgelder sind mit circa 2 bis 5 % des Bauvolumens zusätzlich zu budgetieren. Zeit und Kosten sind aber die wichtigsten Faktoren bei der Entscheidung von Investoren für oder gegen die Durchführung von Bauprojekten. Rechtlich gesehen hat ein Investor auch Anspruch auf die unverzügliche Einleitung eines Verfahrens zur Erstellung eines Bebauungsplanes nach Kundgabe des Anlassfalles und einer Verfahrensabwicklung innerhalb von 18 Monaten (ROG §40 Abs. 8).
„Der Bebauungsplan bietet dem Investor Rechtssicherheit. Das braucht allerdings Zeit“, räumt Bertram Werle ein, und „im optimalen Fall gibt es einen Kompromiss zwischen den Vorgaben der Stadt und den Wünschen des Investors.“

Der anlassbezogene Bebauungsplan stellt also gegenwärtig mehr ein „Verhandlungsverfahren“ zwischen Investor, Behörde und Politik dar als ein Behördenverfahren unter Wahrung der öffentlichen Interessen. Die Möglichkeiten der Aufsichtsbehörde (Land Steiermark) sind außerdem dabei beschränkt: Sie kann erst am Ende eines Bebauungsplanverfahrens die Nachvollziehbarkeit, die Rechtmäßigkeit und die Übereinstimmung mit den Zielformulierungen des Entwicklungskonzeptes überprüfen. Der Spielraum der Gemeinden ist im Vorfeld und innerhalb des Verfahrens relativ groß, ein Spielraum, den die Stadt Graz definitiv nicht für sich und weder für eine umweltbewusste, vorausschauende und nachhaltige Stadtentwicklungspolitik (lt. Stadtentwicklungskonzept 3.0) noch für ein klares Bekenntnis zur BürgerInnenbeteiligung nutzt.

Verfasser/in:
Martin Brischnik / Petra Kickenweitz, Kommentar
DI Alexa Sölkner

Ich möchte mich für diesen Beitrag bedanken und als quasi "Betroffene" der geplanten Bebauung in der Alten Poststrasse noch etwas zur Bebauungsdichte hinzufügen: in diesem Fall wird die Dichte für die Schaffung von Parkplätzen eines Lebensmittelgeschäftes sogar überschritten. Bei der Präsentation des Bebauungsplanes für die Bevölkerung im Rathaus hat der Vertreter des Stadtplanungsamtes auf meine Anmerkung, dass die Bebbauungsdichte ja einen "von- bis" Wert beschreibe und nicht zwangsläufig zur Gänze ausgeschöpft werden muss geantwortet, dass im Sinne der Verdichtung des Gebietes unbedingt die Höchstdichte anzustreben ist. In welchem Sinne das angesichts des bereits sehr weit ausgearbeiteten Projektes tatsächlich ist, ist zu hinterfragen.
Der unsensible Umgang mit der Umgebung und der Bevölkerung (Zitat Architekt vor versammelten Anrainern: "Das Projekt wertet die verwahrlosten Straßen auf.")ist für mich eine alamierende Entwicklung.

So. 06/11/2011 1:24 Permalink
Arch. Elisabeth Lechner

diesen beitrag finde ich sehr gelungen und äußerst zutreffend
ich möchte nur zu dem Absatz....Die gesetzlichen Möglichkeiten einer Unterschreitung der im FLWP festgelegten Bebauungsdichte (Bebauungsdichteverordnung §4, ROG §41) aufgrund öffentlicher, städtebaulicher und siedlungspolitischer Interessen werden mit dem rechtlich widersinnigen Hinweis auf „das Recht des Bauherrn auf Ausnutzung der maximalen Bebauungsdichte“ und als „Eingriff ins Privatrecht“ kategorisch ausgeblendet.....folgendes noch präzisieren.
Die Stadtplanung hat die vorhandene Bebauungsdichte und Situation zu analysieren, eine Bestandsdichteberechnung zu erstellen und darauf basierend die im Fläwi ausgewiesenen Rahmendichtewerte abzustimmen. Die Stadtplanung verwechselt hier das Baugesetz, wo es den gesetzlichen Anspruch auf Höchstdichte gibt, wenn kein Bebauungsplan etwas anderes aussagt, mit dem Planungsinstrument Bebauungsplanung und verstößt damit eindeutig gegen das Raumordnungsgesetz, wo im § 41, Abs. 2 steht, dass die Dichten begründet hinunter bzw. hinauf gesetzt werden können. Mir ist beim Durchforschen vieler Bebauungspläne der letzten Zeit kein einziger Fall untergekommen, wo die Dichte hinunter gesetzt worden wäre, obwohl hohe Bestandsdichten dafür gesprochen hätten im Gegenteil manchmal wurde die Dichte sogar hinaufgesetzt. Mit dieser investorenfreundlichen oder wie im Artikel schön gesagt -hörigen Methode werden die Rahmenwerte des Fläwi immer öfter überschritten und die Planungsinstrumente für eine geordnete Stadtenwicklung zur Farce degradiert. Wieso lassen wir uns das eigentlich gefallen?

Do. 03/11/2011 4:23 Permalink
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