25/11/2016

Von unsichtbaren Leben

Zur Ausstellung Unter freiem Himmel. Aus dem Leben der GastarbeiterInnen des ehemaligen Jugoslawien.

Museum im Palais
Sackstraße 16
8010 Graz
Mi – So, 10 – 17 Uhr

Bis 7.Jänner 2017
Eintritt frei

25/11/2016

Zeitzeuginnen und Kurator,  v.l.n.r.: Zeitzeugin Divna Stanković, Kurator Joachim Hainzl, Zeitzeugin Ljubica Pavlić

©: UMJ / N. Lackner
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Niko Mijatovic mit Kleinbus und Schreibtruhe für Hausbau, Foto: Privatarchiv: Niko und Zorica Mijatović @Verein JUKUS

Flugblatt (vermutlich 1970er Jahre) mit Warnung vor Unfallgefahren im Straßenverkehr, ausgegeben kurz vor den Rückreisen der GastarbeiterInnen in ihre Heimat in den Sommermonaten. Foto: Emil Gruber

Umbauplan 'Kroatenkeller im Grazer Franziskanerkloster’ von Gamerith&Bene, 1974, ein von der Kirche betreutes Freizeitzentrum für Gastarbeiter. Foto: Emil Gruber

Der Treffpunkt war immer der Bahnhof. Es war Anfang der 1960er, die ersten Männer und Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien kamen nach Österreich zur Arbeit. Am Bahnhof begegneten sich die bereits eine Beschäftigung gefundenen Gastarbeiter, wie sie bald genannt wurden, mit den Neuankommenden. Informationen und Tipps zur Arbeitsuche wurden – wie auch Neuigkeiten aus der Heimat – ausgetauscht.

1966 wurde die Arbeitsmigration aus dem Süden offiziell gemacht, ein Anwerbeabkommen mit Jugoslawien sollte weitere, dringend benötigte Arbeitskräfte nach Österreich holen. Die Produktion in der Wirtschaftswunderära lief auf Hochtouren. Nicht selten wurden frisch Angekommene bereits am Bahnhof von Firmenvertretern abgefangen, Arbeitskräftemangel und Vollbeschäftigung hießen damals zwei heute nur wenig in Gebrauch befindliche Wirtschaftsbegriffe.
Während Männer im Baugewerbe und in der Industrie Arbeit fanden, wurden weibliche Arbeitskräfte vorwiegend in der Gastwirtschaft benötigt. Die Arbeit war schlecht bezahlt, nicht selten wechselten Männer und Frauen nach Beendigung der einen Arbeit sofort zur anderen. Reinigungspersonal für Firmen und Privathaushalte sowie die Aufgaben als Hauswart oder Hausbesorgerin waren gesucht und stockten die Einkünfte auf.

Gehaust wurde in Containern oder in Billigstquartieren, nicht selten in desolaten Häusern. Für Gebäudeeigentümer bedeuteten die Mieteinnahmen in Kellerwohnungen oder auf schlecht isolierten Dachböden leicht verdientes Geld. Man stopfte auf engstem Raum möglichst viele Menschen zusammen, brauchte an keine bauliche Investitionen denken. Die Einnahmen sahen oft kein Finanzamt, da bar bezahlt wurde. Das Lohnsackerl war damals noch gang und gäbe.  

Für die Gastarbeiter gab es ohnehin nur ein Ziel. Möglichst viel des Verdienstes in die Heimat zu transferieren. Es wurde dringend in den zurückgebliebenen Familien gebraucht und einmal später für den Traum vom eigenen Haus in Jugoslawien. Geld in Österreich außer für Miete und Nahrungsmittel auszugeben, war in den Anfangszeiten nie ein Thema. Besonders begehrt, so eine Zeitzeugin, war daher die Arbeit in Gastronomiebetrieben. Man hatte Lohn und oft gleichzeitig das Glück, dass gratis für Kost und Logis gesorgt wurde.

Die Wanderausstellung Unter fremden Himmel – Aus dem Leben der GastarbeiterInnen des ehemaligen Jugoslawien des Vereins JUKUS hat nach Wien nun auch in Graz Halt gemacht. 
Den beiden Kuratoren, Politikwissenschaftlerin Handan Özbaş und Sozialhistoriker Joachim Hainzl haben einen sehenswerten Überblick über diesen von vielen schon nicht mehr miterlebten, von anderen schon wieder fast vergessenen Zeitabschnitt gestaltet. Die Einblicke in die Welt der auch damals – trotz der Tatsache, dass diese Menschen dringend gebraucht und zusätzlich ausgebeutet wurden – immer wieder von diversen Lagern wegen der „fremden Kultur“ angefeindeten Ausländer öffnen für wahrscheinlich den Großteil der BesucherInnen eine bisher unsichtbare Parallelgeschichte Österreichs in den letzten Jahrzehnten. 

Originalberichte von einheimischen Medien aus der Zeit wechseln mit Interviews von ehemaligen GastarbeiterInnen, von denen mittlerweile viele längst österreichische Staatsbürger sind. Die Ausstellung zeigt Diskrepanzen aber auch Momente der Solidarität. Sie gibt Einblick in die mit Anfang der 1970er-Jahre nach und nach entstehenden Sport- und Kulturvereine bis hin zu den jährlich stattfindenden bundesweiten Arbeitersportspielen. Viel originales bzw. faksimiliertes Material aus dem Besitz von ehemaligen GastarbeiterInnen lässt die Ausstellung sehr lebendig, aber auch immer wieder berührend werden. Neben Festen und Feiern sind es oftmals die Instamatic-Bilder aus der alten, noch intakten Heimat in Jugoslawien. 

Der Rezeption der ersten Generation von auf österreichischem Boden geborenen Migrantenkindern ist ein eigener Bereich gewidmet. Die Frage nach der Identität ist für viele Menschen als Wanderer zwischen zwei Welten noch immer ein Thema. Dabei wird in der Ausstellung bewusst auf die Auswirkungen des jugoslawischen Bürgerkriegs nicht eingegangen. „Ich freue mich, wenn ich nach Bosnien komme, ich freue mich, wenn ich wieder über die Grazer Stadtgrenze fahre“, ist eine der bejahenden Antworten dazu von einer Zeitzeugin. 

Vertieft werden alle Themen durch ein frisch erschienenes, reichhaltig bebildertes Buch: 50 Jahre jugoslawische Gastarbeit in Österreich.


Buch
Ali Özbaş, Joachim Hainzl, Handan Özbaş (Hg)
50 Jahre jugoslawische Gastarbeit in Österreich
240 Seiten, Clio Verlag Graz 2016
18.00 €

Mit Fachbeiträgen von Sanja Banjeglav, Ljubomir Bratić, August Gächter, Bettina Gruber, Sylvia Hahn, Irina Lepenik-Karamarković, Verena Lorber, Viktorija Ratković, Karin Maria Schmidlechner, Regina Wonisch u.a.

Die Ausstellung im Museum im Palais in der Sackstraße 16, 8010 Graz, ist noch bis 7. Jänner 2017 bei freiem Eintritt zu sehen. Öffnungszeiten: Mi – So, 10:00 – 17:00 Uhr

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