26/08/2020

Unterwegs immer zuhause

Wie sich das Wohnen auf Rädern weiterentwickelt, erzählt Emil Gruber im

Teil 3 der Serie – ab 1960

Fotodokumentation
Emil Gruber im Hymer Museum Bad Waldsee

.

 

26/08/2020

Reisemobil de Luxe von Mikafa 1960. Blick ins Innere eines ersten deutschen Luxuswohnmobile inklusive Innenzugang zur Sonnenterrasse

©: Emil Gruber

Knaus Schwalbennest 1961. Der erste Wohnwagen von Knaus war im niedrigsten Preissegment angesiedelt und verkaufte sich ausgezeichnet. Das im Leergewicht nur 250 kg schwere „Ei“ wurde in drei Ausbaustufen angeboten: Leer, Standard und Luxus. Die erste Variante war für den Heimwerker, der den gesamten Innenausbau selbst vornimmt. Variante zwei hatte schon Einbaumöbel, aber ohne weiteres Zubehör. Die dritte Variante bot einen komplett ausgestatteten Wohnwagen.

©: Emil Gruber

Schäfer Suleica Rally 70 1970. Ferdinand Schäfer baute schon 1970 Anhänger aus Kunststoff im Monocoque Verfahren. Trotz seines geringen Gewichts, seiner Wintertauglichkeit und seiner Schwimmfähigkeit blieb Suleica ein Nischenprodukt. Da half es auch nicht, dass der Schwimmcaravan mit einem optionalen Außenbordmotor versehen werden konnte und als „unsinkbar“ und „kentersicher“ angepriesen wurde.

©: Emil Gruber

Airstream 31 Sovereign of the Road 1969. Der amerikanische Klassiker aus genieteten Aluminiumblechen wird seit den 1930ern gebaut. Design und Konstruktion sind seither unverändert geblieben. „Wir machen keine Veränderungen – nur Verbesserungen“, ist das unverändert gebliebene Motto, vorgegeben vom Air-Streamgründer Wallace Merle Byam (1896 – 1962).

©: Emil Gruber

Airstream 31 Sovereign of the Road 1969. Die 1969er Variante des „Herrschers der Straße“ hier, hatte schon eine Badewanne und einen Backofen und war eines der luxuriösesten Modelle seiner Zeit.

©: Emil Gruber

Eigenbau Bogasch 1986. Die „Flunder“ von Matthias Bogasch war einer von vielen Wohnwagen-eigenbauten, die findige Bastler im Osten selbst herstellten. Die Pläne stammten von einem Optikermeister aus der CSSR, der sie an Günter Vogel aus der DDR verkaufte. Vogel baute auch das erste straßenfähige Modell inklusive Zulassungsbestätigung. Nach einem Bericht in einer Zeitschrift, konnte Vogel über hundert Mal seine Baupläne weiterverkaufen. Das Bogasch Modell hatte eine Besonderheit, eine Bremsanlage mit Pendel-Fliehkraftgewicht, die die Straßenlage des Anhängers verbesserte.

©: Emil Gruber

Lumin Badziong „Hymer High Cab“. Die Zukunft des Wohnmobils. Hier ein Konzept eines autonomen Fahrzeugs mit zwei Meter Raumhöhe für Wohnen und Business gleichermaßen. Siehe Link > Mobilkonzepte der Fachhochschule für Design Pforzheim im Hymer Museum

©: Emil Gruber

Zehn Jahre nach Kriegsende besaßen knapp 80% der Bevölkerung noch keinen Reisepass. Urlaub war Luxus. Den konnten sich nur sehr wenige leisten. Als die Wirtschaft in den späten Fünfzigern zu brummen begann, die private Motorisierung wuchs, brach Sehnsucht nach der Ferne wieder los. Der Süden, in der ersten Zeit vorwiegend Italien, war das erklärte und begehrte Traumziel. Peter Alexander schwelgte in „Mandolinen und Mondschein“, Will Brandes himmelte seine „Marina“ an und für Caterina Valente stand fest: „Der Gondoliere sang nie mehr so schön.“ Lieder, Filme, Bücher Illustrierte feuerten die Lust nach dem „Land, wo die Zitronen blühen“ an. „Jeder einmal in Italien! – Das gehört heute fast zum guten Ton“, befahl die frühe Tourismuswerbung. Das Verlangen nach Meer ließ auch die bis dahin noch immer stotternde deutsche Wohnwagenindustrie wieder Fahrt aufnehmen. Bis Anfang der 1960er war das am meisten verkaufte Modell englischer Bauart. Der Absatz von rund 1000 Stück des Sprite waren ein Äquivalent zur Jahresproduktion der vier größten deutschen Hersteller. Eine wichtige Vorgabe für die deutschen Produzenten wurde die Käfer-Tauglichkeit. Der Großteil der Wohnwägen wurde an einen Volkswagen gehängt, um dann über noch teilweise abenteuerliche Straßen nach Lignano, Rimini, Caorle oder Cervia zu gondeln. Bald gab es an der oberen Adria, aber auch an den großen Binnengewässern wie dem Gardasee einen Wildwuchs an Campingplätzen. 

Dem Versuch deutscher Firmen in dieser Zeit auf Kunststoffkarosserien zu setzen, war nur ein kurzes Leben beschieden. Zwar konnten die Polyester-Anhänger deutlich leichter als herkömmliche Varianten gezogen werden. Auch waren neue Formensprachen möglich. Das Maly Windspiel mit seiner spektakulären aerodynamischen Figur sorgte bei Fachmessen 1962 für erhebliches Aufsehen. Aber zu einer Serienreife, über den Prototyp hinaus, reichte es nicht. Viele Stolpersteine in der Fertigungstechnik ließen den noch recht neuen Werkstoff bald wieder vom Markt in hintere Reihen verschwinden. Wichtiger für den Erfolg war der Preis. Die 40-Stunden-Woche ab 1965 kurbelte neben dem Fernweh zusätzlich Verkaufszahlen an. Eine Umsatzrakete wurde der Jedermann-Caravan von Günther Hennerici, dessen Preis unter 3.000 DM lag. Neu war auch der Wunsch, einen winterfesten Anhänger zu haben, um ganzjährig campen zu können. Erste Stellplätze, auf denen ein fix verankerter Wohnwagen als Wochenendhäuschen ruhte, entstanden. Mitte 1960 lebten im Gegensatz zu Mitteleuropa bereits über zehn Millionen Menschen in den USA in Caravans oder Mobilheimen. Auch in Großbritannien wurden tausende Caravan-Parks zu Zweitwohnsitzen für einen Teil der Bevölkerung.

Der deutsche Markt wurde in dieser Zeit von Firmen wie Tabbert, Knaus und Wilk dominiert, heute sind alle drei Marken, als Knaus Tabbert vereint, nach wie vor ein Schwergewicht im Wohnwagensegment. Der Südwind von Knaus ist mittlerweile seit 1962 mit regelmäßigen Updates am Markt. Das Reisemobil de Luxe von Mikafa dagegen blieb einem elitären Käuferkreis vorbehalten. Das sieben Meter lange und über zwei Meter breite „Trumm“ hatte einen V8 Motor des BMW 502 eingebaut und spielte alle Stücke an Komfort und Bequemlichkeit. Zwei extralange Sofas, ein Sonnendeck mit Innenleiterzugang, ein großzügiges Kücheneck und ein verfliestes WC hatten ihren Preis. Rund 42.000 Mark kostete das Fahrzeug in den frühen Sechzigern. Da spielte der Benzinverbrauch von 20 Liter auf 100 km auch keine Rolle mehr. 

Einen ersten Versuch eines Wohnmobils wagte auch Hymer mit seinem Caravano 3 in den Sechzigern. Der Kastenwagen war ein Entwurf auf Basis eines Borgward Modells. Der Konkurs des deutschen Klassikers 1963 setzte den vielversprechenden Plänen ein jähes Ende. Für eine andere Marke war dagegen war es der Auftakt für einen bis in die 1990er anhaltenden Erfolgslauf. In einer Kooperation mit dem Fahrzeugbauer Westfalia wurde der schon als Transportfahrzeug bestens verkaufte Volkswagen T1 zum Camper. Der VW Bus als Wohnmobil war günstig und robust zugleich, ideal für eine neue Generation von motorisierten Nomaden. Nicht nur mehr der Süden, die richtig weite Welt lockte Ende der 1960er frühe Weltenbummler und erste Aussteiger. Das Markenzeichen dafür, ob Afrika, Asien oder die Amerikas, war der Bulli. Trotz der hervorragenden Verkaufszahlen war die Konzernleitung bei VW nicht richtig glücklich. "Was wir heute so romantisch verklären, die Hippies, die mit langen Haaren und Joint in der Hand am Lagerfeuer vor einem Bulli sitzen, das war das absolute Gegenteil dessen, wofür VW stehen wollte, nämlich Zuverlässigkeit und Seriosität," erklärte der Oldtimerexperte Frank Wilke im heurigen März dem Spiegel in einer Rückschau auf 70 Jahre T1.

Mit den 1970er Jahren kam auch das Ende vieler Experimente rund um den Wohnwagenbau in Mitteleuropa. Nur im Osten gab es noch kreative Bastler, die aus der Not eine Tugend machten und mit viel Fantasie und wenig Geld eigenwillige Unikate in die Welt setzten. Im Westen gaben DIN-Normen, TÜV und VDE für die elektronische Sicherheit, den Rahmen für die Hersteller vor. Die Anhänger hörten auf, auf der Straße zu „schwimmen“, waren besser austariert. Die Gefahren der Eigenschwingung wurden reduziert. Auflaufbremsen waren genauso Standard wie Einzelradaufhängung. Durchgängige Isolierungen verhinderten große Temperaturschwankungen im Sommer wie Winter und reduzierten so das häufige Schwitzwasser an den Innenwänden. Immer mehr Designer wurden für eine attraktive, aber auch funktionell intelligente Innengestaltung beauftragt. Viele Modelle wurden in Modulsystem ausgestattet, um immer wieder zeitgemäß auf die lange Lebensdauer des Fahrzeugs reagieren zu können. Stauräume für neue Hobbys mussten geschaffen werde. Der überzeugte Camper wollte vom Mountainbike bis zum Surfbrett nichts im Urlaub missen.

Mittlerweile hat das Wohnmobil den Wohnwagen an Verkaufsziffern überholt. Wer das nötige Geld hat, kauft oder mietet sich vorübergehend eine rollende Ferienwohnung, die nicht selten größer ist als ein gemauertes Urlaubsappartement vor Ort. Um 160.000 Euro ist schon ein Niesman + Bischof zu haben, der 22 Quadratmeter Wohnraum bietet. Der Fahrersitz lässt sich nach Abstellen des 7-Tonners um 180 Grad drehen und wird zum bequemen Fernsehsessel im mit allen Raffinessen ausgestatteten Innenraum. Eine Regendusche erfrischt müde Reisende und im Stauraum für 400 Kilo im Heck hat sogar die Bibliothek von zuhause Platz.

Mit 600.000 Euro ist der Futuria Sports geringfügig teurer. Aber dafür kann Mann und Frau erhaben, in einem Whirlpool am Dach sitzend, auf das Volk unter sich schauen. Im Heck ist eine Garage fürs Cabrio integriert, eine Seilwinde hievt den Kleinen in den Bauch des Großen. Im Diningroom können zehn Personen ellbogenfrei in Ledersesseln lümmeln und geschlafen wird in einem geräumigen Bett unterm LED-Sternenhimmel.

Zur Billigabsteige wird alles gegen den eleMMent Palazzo Superior von Marchi Mobile. Der 12 Meter lange und 6 Meter hohe Monstertruck hat ausfahrbare Seitenwände, die sich von 2,50 auf der Straße zu fünf Meter im Stillstand erweitern lassen. Auf dann 68 Quadratmetern erwarten den Nobel-Touristen vom handgefertigten King-Size Bett des Hoflieferanten der englischen Queen über ein Multi-Media-Zimmer und Spa-Bereich auch noch eine Sky-Lounge mit steuerbarem Sonnendach. Bei 28 Tonnen ist vom Fahren auf unbefestigten Straßen eher abzuraten. Wäre schade, 2,5 Millionen Euro in den buchstäblichen Sand zu setzen.

Abseits der Kleckerer und Klotzer freuen sich derzeit auch die „normalen“ Hersteller wohl heimlich über die Pandemie. Im Vergleich zum Vorjahr konnte im Mai 2020 nach Ende des Lockdowns ein Umsatzplus an Wohnmobilverkäufen von 30 Prozent festgestellt werden.

Ende der Serie

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+