29/04/2015

2003 rief Susanne Hofmann ein Studienreformprojekt mit Studierenden ins Leben, um eine reale Bauaufgabe als Entwurfsthema anbieten und so den Weg von der Idee bis zur Ausführung bereits im Studium zu vermitteln: die Baupiloten
Nach elf Jahren wurde das Studienreformprojekt Baupiloten abgeschlossen und agiert nun als Büro, die Baupiloten BDA. Der spielerische Zugang und das Einbinden der Nutzer wurde über die Jahre ein Markenzeichen des Büros. 

Dieser Artikel erschient im Rahmen des GAT-Schwerpunkts Architektur- und Baukulturvermittlung.

29/04/2015

Ein Wohnzimmer im Außenraum – die Idee der Studenten des Siegmundshofs in Berlin, das Abstandsgrün als Aufenthaltsort zu nützen, wurde von den Baupiloten bei der Planung aufgegriffen.

©: die Baupiloten BDA

Der Silberdrachen der Erika-Mann-Schule in Berlin hinterlässt seit über zehn Jahren seine Spuren im gesamten Schulgebäude: Im „Schnaubgarten“ können sich die Schüler in den flügelartigen Einbauten zurückziehen. Der „Drachenschatz ist eine Spiegelgalerie, die ein Mal jährlich mit Fotos von den Kindern beschickt wird. Der „Chillroom“ besteht aus einer weichen Landschaft aus Sitzpodesten mit stilisierten Blütenblättern. Im „Kaleidoskop werden die Arbeiten der Schüler ausgestellt, reflektiert von spiegelnden Metallpaneelen im Flur.

©: die Baupiloten BDA

Der „Schnaubgarten“ dient als Rückzugsort für den Ganztagesbetrieb der Schule.

©: die Baupiloten BDA

Die Form des sich durch den Baumbestand schlängelnden Baukörpers der Kita Lichtenberg in Leipzig schafft viele unterschiedliche Außenraumsituationen.

©: die Baupiloten BDA

Die markanten Farben der Kitaräume helfen den Kindern bei der Orientierung.

©: die Baupiloten BDA

Die Studentenwohnalnage Siegmundshof in Berlin erhielt spezifische Qualitäten durch neue Wohnformen, die auf die Lebensweisen der Studenten eingehen.

©: die Baupiloten BDA

In einem Workshop konnten die zukünftigen Bewohner der Wohnanlage „Generationenübergreifendes Wohnen“ in Dötlingen die Atmosphären ihrer Traumsiedlung collagieren.

©: die Baupiloten BDA

Eine kompakte Wohnung – dafür mit Wintergarten.

©: die Baupiloten BDA

Das Projekt befindet sich noch in der Planungsphase und soll 2016 fertig gestellt werden.

©: die Baupiloten BDA

„Warum tut man sich die Partizipation überhaupt noch an?“

Susanne Hofmann, die seit 2003 an der TU Berlin unterrichtet und seit 2009 Professorin für Entwerfen und Konstruieren ist, weitet die Planungsphase vor dem eigentlichen Vorentwurf durch die Mitsprache der Nutzer aus. Der Prozess des gemeinsamen Bauens stärkt nicht nur die Schulgemeinschaften – der Planungsprozess strahlt aus bis in die Stadtquartiere, in denen sie entstehen.

Es startete als ein Studienreformprojekt mit Studierenden im Jahre 2003, das Susanne Hofmann, zu dieser Zeit noch als wissenschaftliche Mitarbeiterin, an der TU Berlin schuf. Damals waren Stimmen laut geworden, die die Architekturausbildung als „zu praxisfern“ bezeichnete, die Absolvierenden seien in der Praxis nicht einsetzbar. Daher wollte sie eine reale Bauaufgabe als Entwurfsthema anbieten, um den Weg von einer fantastischen Idee bis zur Ausführung bereits im Studium zu vermitteln. 
Die Auftraggeber des Studienreformprojekts waren oft Sozialprojekte oder auch Schulen, die unter einem gewissen Sparzwang leiden und auch nicht so recht in das Schema herkömmlicher Auftragsstrukuren passen. Aus Gründen der notwendigen Haftungspflicht entstanden die Projekte in einem Joint Venture der TU Berlin mit dem Architekturbüro von Susanne Hofmann. Sie umfassten vor allem Sanierungsmaßnahmen, Neu- und Umbauten von Bildungseinrichtungen- Universitäten, Schulen und Kindergärten. 

Gemeinsame Mythen bauen

Keine fertige Planung wurde dabei den Nutzern vorgesetzt: In Zusammenarbeit mit den Nutzern entwickelten die Studenten die Atmosphären und Stimmungen, die das neue Umfeld bieten sollte. Die Herausforderung war, zwischen der Vision und der Realität zu vermitteln. Die zukünftigen Nutzer sollten bis zur Ausführung ihre Visionen und Ideen in der Atmosphäre in der Umsetzung erkennen können.
Als Grundgerüst der Kommunikation zwischen den Kindern und den Studierenden des Studienreformprojekts, den Baupiloten, dienten dabei Geschichten. Sie inspirierten die Kinder in ihrer Vorstellung ihrer Wunschwelt. Bei ihrem ersten größeren Projekt, dem Umbau der Erika-Mann-Schule in Berlin Wedding, war dies ursprünglich ein Garten der Zukunft, der den Kindern als Thema vorgegeben wurde. Die Studierenden entwickelten aus den Collagenarbeiten der Kinder Modelle und Versuchsreihen. Die abstrakten Lichtstudien und Modelle wurden wiederum in Feedbackrunden mit den Kindern besprochen. Dabei entstand durch die Fantasie der Kinder ein Fabelwesen, der Silberdrachen, der durch neue abstrakte Einbauten Spuren in der ganzen Schule hinterließ. Wie ein Drehbuch half die Geschichte bei der Verständigung und der Erzeugung eines gemeinsamen Mythos im Schulgebäude.
Seit dem Jahre 2003 wohnt der gute Geist des Silberdrachens nun im kastigen, über 100 Jahre alten Gebäude. Dabei sollten eigentlich nur die langen, dunklen Gänge der Schule als Aufenthaltsräume nutzbar gebacht werden, um die Schule fit zu machen für den verpflichtenden Ganztagesbetrieb, der an Berliner Grundschulen im Jahre 2008 eingeführt wurde. Die Identifikation der Schüler wirkt sich unmittelbar auf die Schulleistungen aus – jedes dritte Kind erhält eine Empfehlung für den Gysmnasiumbesuch. Der Geist des Silberdrachens eint die Kinder, die aus gut 20 Nationen stammen. Viele kommen auch außerhalb der Klassenzimmerzeit gerne in den Gängen der Schule zusammen.

Form follows fiction

Nach elf Jahren des Studienreformprojekts hat Susanne Hofman das Studienrformprojekt Baupiloten abgeschlossen und agiert nur noch als Büro, als die Baupiloten BDA. Der spielerische Zugang und das Einbinden der Nutzer wurde über die Jahre ein Markenzeichen des Büros. Die „Spielarten“ ihrer Grundlagenforschung in der Vorplanung wurden über die Jahre hinweg erweitert.
Die Planspiele entführen die zukünftigen Akteure, also Bauherren, die Nutzer und weitere, in die Planung miteinbezogene Parteien, wie zum Beispiel Nachbarn, aus dem Alltag in eine Bilderwelt. Über atmosphärische Collage werden die Stimmungen sichtbar gemacht und direkt besprochen. Die Technik eignet sich dafür, nicht nur die lauten Stimmen zu hören, sondern auch verborgene Wünsche aufzudecken, die sich durch das Sichtbarmachen der atmosphärischen Wünsche ergeben. Dabei geben die Planenden niemals ihre Kernkompetenz, also das Entwerfen und eigentliche Gestalten des Gebauten, ab. „Das Wissen um atmosphärische Raumwirkung ist geradezu ein Schlüssel für die Kommunikation zwischen Architekten und Laien“, erkannte Susanne Hofmann.
Partizipatives Planen ist in der Praxis der Baupiloten ein Schaffen einer gemeinsamen Idee, einer fantastischen Vision eines Bauwerkes, das ursprünglich heterogene Baugruppen – oder Baufamilien, wie sie die Baupiloten nennen – zusammenfinden lässt. 

Konsensfindung bei sehr unterschiedlichen Nutzergruppen

Für den Bau der Kindertagesstätte Lichtenbergweg der Stadt Leipzig im Jahre 2012 für rund 100 Kinder war der spielerische Zugang über ein Planspiel sogar die schnellstmögliche Option, um Konsens in den Schwerpunkten der Planung zu erreichen. 
Um den Tagesablauf dieser Kita kennenzulernen, hatten die Planer einen Tag vor Ort „hospitiert“ und die Erzieher bei ihrer Arbeit beobachtet. Über Workshops konnten sich die Kinder der Tagesstätte auch recht bald auf ihre Lieblingsatmosphären, die Vulkanlandschaften und Regenbogengärten einigen. Doch der Kita-Träger (also die pädagogischen Experten), das Jugendamt und die Bauherren kommunizierten nicht miteinander – ihre Prioritäten hinsichtlich der räumlichen, pädagogischen und atmosphärischen Ausgestaltung waren sehr unterschiedlich. Über ein gemeinsames Planspiel konnten sie an einen Tisch gebracht werden. 
Das „Spielfeld“ des Planspiels war ein grober Vorentwurf des Projekts, auf dem mittels Kärtchen die einzelnen Kernaktivitäten zugeordnet wurden. Überraschend war, dass alle Beteiligten eine andere Vorstellung davon hatten, wo die Kinder essen oder schlafen würden. „Eigentlich hatten wir nur die Werkzeuge entwickelt, um rauszufinden, was die Leute wollen. Dann wurde mir klar: Sie können vielleicht nicht nur nicht ausdrücken, was sie wollen. Sie erarbeiten sich das vielleicht auch selber, wie sie wirklich leben wollen“, meint dazu Susanne Hofmann.

Studentenwohnträume und soziale Netzwerke

Das Wissen der Bewohner über die Wünsche an ihr tägliches Leben kann dabei für die Architekten sehr bereichernd sein. Für den Umbau und die thermische Sanierung des Siegmundshof, einer Studentenwohnanlage in Berlin (Projektzeitraum 2012-2014), wurde erst in Zusammenarbeit mit den Studenten klar, wie gerne sie das Abstandsgrün zwischen den Häusern nutzen wollten. Durch eine Möblierung des Außenraums mit wetterfesten Freiluftzimmern ist dies nun auch gelungen. Die unterschiedlichen Lebensstile der Bewohner spiegeln sich nun auch in der Benennung der einzelnen Häuser wider, wie dem Haus für urbane Gartenfreunde, dem Haus für Musik- und Fitnessfreunde, dem Ruhigen Wohnen am Wäldchen oder dem Hochhaus für Teamplayer.

Leben und Wohnen im Alter

Das gemeinschaftliche Wohnen im Alter und seine Herausforderungen erforschten die Architekten zusammen mit den zukünftigen Bewohnern einer Wohnsiedlung für generationenübergreifendes Wohnen im niedersächsischen Dötlingen.
Durch ein von den Architekten entwickeltes Netzwerkspiel wurden Möglichkeiten entdeckt, wie nachbarschaftliche Kontakte aufgebaut, vertieft oder neu bewertet werden könnten. Gemeinschaftliche Aktivitäten wurden abgefragt, bei denen die Beteiligten sich gerne von sich aus einbringen würden. Die 20 größtenteils seniorengerechten Einheiten sollen nächstes Jahr fertiggestellt werden. Sie gruppieren sich um fünf Höfe und bieten außer verschiedenartigen Wohnformen (Familien-, Paar- und Einzelwohnungen) auch Fitnessräume, Gewächsräume und Ateliers, eine Pflegeeinrichtung sowie eine Dorfküche an. 
Der Neubau der Baugenossenschaft Wi helpt di nutzte also den Partizipationsprozess, um bereits im Vorfeld die Grundsteine für eine funktionierende Gemeinschaft zu legen, die jedoch Wert darauf legt, die individuelle Privatsphäre der einzelnen Bewohner nicht zu untergraben, und trotzdem gemeinsame Synergien schafft.. 

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