17/11/2006
17/11/2006

Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Ein Shopping-Center nach dem anderen stellt die umstrittene ECE mitten in Europas historische Altstädte. Nun soll auch Graz eine Stadtgalerie bekommen. Türöffner war unter anderem eine Studie, die eine merkwürdige Optik ergibt.

Leider kann das Rathaus in Leverkusen hier nicht bleiben. Es wird abgerissen, an seiner statt entsteht das Einkaufszentrum "Rathaus-Galerie", die Stadtverwaltung bekommt dort neue Räume. Das spätklassizistische Schloss in Braunschweig dagegen darf bleiben, es wird sogar restauriert, und das neue Shopping-Center zieht direkt hinein. Ebenso wie in die 1880 erbaute Bergwerksdirektion in Saarbrücken. In Österreich bekam Klagenfurt als Erstes seine City-Arkaden, nur ein paar Steinwürfe vom Lindwurm entfernt. Im Weg gewesen waren eine Lederfabrik aus dem Jahre 1851 und ein alter Park. Denkmalschützer hatten sich "bestürzt" gezeigt, 10.000 Klagenfurter gegen das Projekt unterschrieben. Geholfen hat das alles nichts: Das Shopping-Center kam trotzdem. Erbauerin all dieser Zentren ist die Hamburger ECE Projektmanagement G.m.b.H, die bislang neunzig Einkaufszentren hochgezogen und zwanzig weitere in Planung hat, der Großteil davon mitten in den Altstädten.

Nun kommt die ECE nach Graz. Die Gebäude von Leiner und C&A in der Annenstraße nahe dem Bahnhof sollen bis 2009 zu einer Shoppingcity mit 130 Geschäftslokalen zusammenwachsen. Noch nie zuvor ist eine Shopping-Mall so nah ans Grazer Zentrum gerückt. Die ECE wollte sich ursprünglich sogar in Hauptplatznähe ansiedeln, habe dort aber "in drei Jahren Suche" keinen passenden Standort gefunden, erzählt der Chef der Grazer Handelsmarketinggesellschaft Joseph Schnedlitz.

ECE ist Europas größte Betreiberin innerstädtischer Shopping-Center. Fast überall, wo sie auftaucht, gehen Bürger, Innenstadthändler und Denkmalschützer auf die Barrikaden. Deutsche Medien sind voll von kritischen Berichten. Es ist neu, dass Einkaufszentren mitten in die historischen Stadtzentren kommen. Der Hauptvorwurf: Die ECE kaufe sich Europas Innenstädte und zerstöre über Jahrhunderte gewachsene Strukturen. Außerdem paktiere sie zu sehr mit der Politik - und umgekehrt. Wie in vielen anderen Städten will auch in Graz die Bürgermeisterpartei die Innenstadt-Mall unbedingt haben. Die ÖVP sieht sie als die Antwort auf die Shopping-city Seiersberg, die seit Jahren Kaufkraft und Steuern aus Graz absaugt.

Das Versprechen der ECE: Wir holen die Kaufkraft aus der Peripherie in die Innenstädte zurück und beleben diese. Von unserem Besuchermagneten bekommen auch die benachbarten Händler ihre Happen ab. Bürgerinitiativen, Oppositionsparteien, Denkmalschützer, Stadtplaner, Innenstadthändler und zahlreiche Medien sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Die ECE pfropft ihre Einheitstempel in die Citys und beraubt sie damit ihres Flairs. Die Geschäfte rund um die Center verlieren Umsätze oder müssen sogar zusperren, die Altstädte veröden. Eine Untersuchung der Universität Greifswald stellte für Schwerin schwere Umsatzeinbußen und die Zunahme leer stehender Geschäftshöhlen fest. Die Ökonomin Monika Walther von der Uni Hamburg fand als Folgen innerstädtischer Shopping-Malls vor allem das Verschwinden stadttypischer Strukturen und Läden. Zudem gibt zu denken, dass der Konzern in großem Stil öffentlichen Raum in der Mitte der Städte - der auch symbolische Bedeutung hat - in privaten Raum verwandelt. Im Einkaufszentrum gelten die Gesetze des Hausherrn. Kundgebungen sieht man hier ebenso wenig wie Sandler.

Die ECE gehört zum Otto-Konzern, die Geschäfte führt Alexander Otto, Sohn des Versandhaus-Gründers. Laut der Süddeutschen Zeitung versteht es die Gesellschaft, Politiker für sich zu gewinnen und Verflechtungen bis zur Personalunion zu schaffen. So sitzen mehrere ECE-Mitarbeiter als CDU-Abgeordnete im Hamburger Parlament. Ein Beispiel für eine enge Verquickung ist auch die von Alexander Otto gegründete Stiftung Lebendige Stadt, die die "Vielfalt" der Städte fördern will. In ihr sitzen laut Eigenangaben "Ministerpräsidenten, Oberbürgermeister, Vorstandsvorsitzende, Forscher und Kulturschaffende". Neben ECE-Leuten finden sich darin Bundesminister Wolfgang Tiefensee ebenso wie die Chefs von Forschungsgesellschaften, die praktischerweise gleichzeitig auch Studien und "Verträglichkeitsgutachten" über Einkaufszentren für verschiedene Städte erstellen.

Auch das Grazer Stadtmarketing beauftragte für eine Studie über den städtischen Einzelhandel eine in der Stiftung vertretene Forschungseinrichtung, nämlich die Wiener Filiale der deutschen GMA.
Schnedlitz versichert, man habe sie aufgrund ihrer herausragenden Kompetenz beauftragt. Die heuer im Frühling präsentierten Ergebnisse sind für die ECE jedenfalls nicht unpassend: Unter den Empfehlungen findet sich auch jene für "ein innerstädtisches Einkaufszentrum", "geeignete Standorte" wären der Bereich um den Jakominiplatz sowie "um den Hauptbahnhof".

Kritiker monieren weiters, die ECE inseriere bei lokalen Medien-Platzhirschen um enorme Summen, um sie milde zu stimmen. Frank Frey, führender Kopf in der Klagenfurter Bürgerinitiative und heute Geschäftsführer der Stadt-Grünen, will wissen, dass die ECE in der Kärnten-Ausgabe der Kleinen Zeitung im Vorfeld der Eröffnung der Klagenfurter City-Arkaden um rund 150.000 Euro Anzeigen geschalten habe. Und laut Frey habe in Klagenfurt ein ECE-Manager bei einer Gewerbeverhandlung einem Mitstreiter aus der Bürgerinitiative mit den Worten "Wir haben noch Geld in der Schatulle" angeboten, seinen Widerstand aufzugeben. ECE-Sprecher Christian Saadhoff weist solche Behauptungen zurück.

Die Kritik trifft freilich auch die Politiker - von Willfährigkeit und Verbiegen von Gesetzen ist die Rede. In Deutschland wurden mehrere wegen ihres Engagements für ECE schon abgewählt. Reihenweise Vorwürfe gegen die Kommunal- und Landespolitik wurden auch in Klagenfurt laut. Vertreter der Bürgerinitiative gaben dazu das "Schwarzbuch Klagenfurt. Die Machenschaften der Polit-Marionetten" heraus. Vertreter der Initiative hatte mehrere Sachverhaltsdarstellungen bei der Staatsanwaltschaft eingebracht. Eine davon ist noch im Laufen, alle anderen wurden niedergelegt. Die Vorwürfe lauteten unter anderem auf Amtsmissbrauch, Gesetzesänderung eigens für die ECE und Belügen der Bevölkerung. Der Klagenfurter Bürgermeister Harald Scheucher (ÖVP) hatte vor der Kommunalwahl eine Volksbefragung über das Einkaufszentrum versprochen, nachher war keine Rede mehr davon.

Seit der Eröffnung der Klagenfurter City-Arkaden Ende März haben sich die Befürchtungen über negative Folgen für den Innenstadthandel offenbar bestätigt. Laut Cornelia Hübner, Obfrau der Interessensgemeinschaft Fußgängerzone, hat eine dort durchgeführte Umfrage in 120 Geschäften ein durchschnittliches Umsatzminus von zwanzig Prozent zu Tage gefördert. Selbst der Chef der Handelsmarketinggesellschaft Helmut Ellensohn bestätigt: "Der überwiegende Teil muss große Verluste in Kauf nehmen." Zuletzt hätten sich aber für etliche leer stehende Geschäfte wieder Mieter gefunden. Gewitzelt wird über seine Notwehr-Marketingaktion: Ellensohn ließ die Fensterfronten verlassener Läden großflächig mit 3-D-Fotofolien bestehender Betriebe tapezieren, damit es von weitem so aussieht, als habe man echte Geschäfte vor sich.

In Graz soll der Bebauungsplan, der unter anderem den Weg für das ECE-Projekt freimacht, ab dieser Woche öffentlich aufliegen. Zusätzlich werden mit dem Murpark in Liebenau und dem Einkaufszentrum Gröbl am Areal des Shopping Center West zwei weitere Einkaufszentren aus dem Boden gestampft. Andere bauen kräftig aus, wie die Shoppingcity Seiersberg, Kastner und Öhler im Stadtzentrum und Shopping Nord in der Wienerstraße. Graz wird damit bezogen auf die Einwohnerzahl österreichweit die höchste Dichte an Einkaufszentren aufweisen.

Das Engagement für ECE erklärt Planungs- und Verkehrsstadtrat Gerhard Rüsch so: "Bisher waren wir den Umlandgemeinden schutzlos ausgeliefert. Das Projekt bietet die Möglichkeit, Kaufkraft zurück nach Graz zu holen." Nebenbei fügt es sich auch noch gut in die Vorstellungen von Bürgermeister Siegfried Nagl von einer schmucken Innenstadt ohne Bettler und Punks.

Dass die Stadtgalerie Geld nach Graz zurückholen könnte, halten selbst SPÖ und Grüne für vorstellbar. Daher lehnen sie das Projekt zwar nicht kategorisch ab, knüpfen es aber an eine Reihe von Bedingungen. "Mitreden!", sagt SPÖ-Klubchef Karl-Heinz Herper. Die Grazer Grünen-Chefin Sigi Binder befürchtet äußerst negative Auswirkungen auf die Verkehrssituation und kritisiert, dass die Öffentlichkeit noch nicht informiert worden sei, und das, wo sich Rüsch doch Bürgerbeteiligung auf seine Fahnen heftet (siehe Kasten "Kein Wunschzettel"). Der Stadtrat verspricht: Das Verkehrskonzept wird eben fertig, dann gibt es Bürgerinformationen.

Vor allem aber verlangen SPÖ und Grüne Studien über die Folgen für die Innenstadtwirtschaft. Binder vermisst angesichts der aktuellen Explosion an Einkaufszentren-Flächen ein Gesamtkonzept der Stadt.

Schnedlitz von der Handelsmarketinggesellschaft verweist auf die steigende Kaufkraft in und um Graz. Offenbar ist den Stadtvätern aber weniger ein Anliegen, dass die Zentren alle rentabel laufen, als dass sich die Schlacht innerhalb der Grazer Grenzen abspielt. Rüsch ist "skeptisch", dass der Kuchen groß genug für alle ist: "Aber dieses Risiko tragen ja nicht wir, sondern die Betreiber."

Und die Innenstadt, die Annenstraße? Was, wenn die veröden? Im Gegenteil, meint Rüsch, die Stadtgalerie werde die Innenstadt stärken. Voraussetzung sei, dass die beides verbindende Annenstraße bis dahin attraktiver gemacht werde. Schnedlitz assistiert: Die Annenpassage und ein Teil der Annenstraße würden von der Frequenz profitieren. Die Innenstadt bekomme einen Konkurrenten mehr – aber diesmal mit der Chance, dass die Kunden auch einen Abstecher ins Zentrum machen.

Die Hauptbetroffenen, die Kaufleute der Innenstadt und der Annenstraße, schwanken "zwischen Bangen und Hoffen", wie es der Optiker Kurt Otter, Obmann der Initiative EZ Annenstraße, ausdrückt. Otter hält eine Belebung durch das ECE-Center für möglich, allerdings nur, "wenn zusätzlich auch für die Annenstraße etwas getan wird. Sonst wird sie veröden." Ähnlich sieht es Rino Scala, Inhaber eines Besteck- und Messergeschäfts in Hauptplatznähe, der auf bessere Bedingungen für die Innenstadt etwa beim Parken pocht.

"Große Sorgen" macht sich dagegen Erwin Sacher, Geschäftsführer der Leykam Buchhandelsgesellschaft, die mit mehreren Filialen im Grazer Zentrum vertreten ist. "Das Center wird der Innenstadt schweren Schaden zufügen." Er selbst verhandelt bereits über eine Filiale darin. "Wenn es schon kommt, muss man sich nach der Decke strecken." Nachsatz: "Ob dann alle Standorte in der Innenstadt zu halten sind, ist eine andere Frage."
Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Verfasser/in:
Gerlinde Pölsler, Kommentar; erschienen im Falter Stmk. Nr. 46/06
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