01/07/2010
01/07/2010

Architekt Johannes Fiedler. Foto: fiedler.tornquist

Cabo Verde: Arbeiten mit lokalen Planer/innen. Foto: Fiedler

Cabo Verde: Invasion der globalen Immobilienwirtschaft. Foto: Fiedler

Aspern: Modellbebauungen Etappe 1. Foto: Wien 3420AG

Öffentlichkeit durch Kleinteiligkeit. Bild: fiedler.tornquist, Graz

Der Begriff Stadtplanung und der Name Johannes Fiedler werden häufig in einem Atemzug genannt. Der Grazer Architekt kann auf langjährige Beratertätigkeiten bei nationalen und internationalen Projekten der Stadt- und Raumentwicklung, u. a. in Wien- Aspern, Mosambik, Südafrika, Palästina und auf den Kapverdischen Inseln, zurückblicken. Er zählt damit zu den gefragten Experten in diesem Bereich. Um herauszufinden, was denn nun der ideale Ansatz für eine nachhaltige Stadtentwicklung wäre, traf sich GAT mit ihm zum Gespräch.

GAT: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit den Kapverden?

Fiedler: Die Kapverdischen Inseln hatten sich bereits zu Studienzeiten als Arbeitsort für mich entwickelt. Damals habe ich bereits zum ersten Mal für die Österreichische. Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet – es ging um einfache Stadtsanierungsmaßnahmen im kleinstädtischen Kontext. Seit 2003 betreue ich nun ein Programm, das von der österreichischen Bundesregierung finanziert wird. Hier geht es darum, auf den Kapverdischen Inseln vor dem Hintergrund der nachhaltigen und ressourcenschonenden Entwicklung, mit Augenmerk auf die Demokratisierung, die in den 1990er-Jahren ihren Anfang nahm, ein System der Stadt- und Raumplanung aufzubauen. Raumplanung hat natürlich viel mit Demokratie und gesellschaftlicher Organisation zu tun.

GAT: Was fand man denn anfänglich dort vor?

Fiedler: Zunächst einmal eine sehr technokratische Gesetzgebung, in der nach Plan von oben nach unten verordnet wurde, ähnlich wie in der DDR oder der Sowjetunion, das war natürlich nicht mehr zeitgemäß. In den 1990er-Jahren wurden die Kapverden für den Immobilientourismus entdeckt, das heißt, dass Firmen Grundstücke erwerben, darauf Anlagen bauen, die dann über Internet verkauft werden.

GAT: Also ähnlich wie in Spanien?

Fiedler: Ja, es ist eigentlich die Verschiebung des so genannten ‚Sun Belt.’ nach Süden. Das hat auf der Iberischen Halbinsel, inklusive Kanarische Inseln, über einige Jahrzehnte gut funktioniert, ist aber heute ausgereizt und eingeschränkt (Steuern, Umweltauflagen etc.). Somit haben sich die Investoren weiter nach Süden begeben, da auch dort die Regulation noch nicht so weit fortgeschritten ist. Man kann z. B. Schwarzgeld besser verbergen etc. Die Leute vor Ort waren damit natürlich hoffnungslos überfordert. Die Gemeinden werden mit Vorleistungen wie dem Bau von Straßen etc. ökonomisch belastet.
Es ist daher wichtig, dass es dort ein System der transparenten und nachhaltigen Planung gibt.

GAT: Warum unterstützt Österreich die Kapverdischen Inseln?

Fiedler: Das hat eine lange Tradition. Die Kapverden sind schon seit Jahrzehnten ein Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Sukzessive hat sich hier der Schwerpunkt in Richtung Umwelt- und Demokratieentwicklung und auch Wasserhaushalt verlagert. Im Jahr 2003 wurde ein Programm ausgeschrieben, für das ich mich gemeinsam mit einem Partner beworben habe. Wir haben dann den Auftrag bekommen, fünf Gemeinden auf der Hauptinsel Santiago zu betreuen und im Aufbau eines nachhaltigen Planungssystems zu unterstützen. Das machte ich bis 2007, hauptsächlich von Österreich aus mit regelmäßigen Kurzeinsätzen vor Ort. Heute werden nicht mehr Langzeit-Experten entsandt, die dann dort im Ministerium ihre Zeit absitzen. Zeitgemäß ist heute, dass es lokale Fachleute gibt, die gelegentlich Unterstützung brauchen.

GAT: Sicherlich ist das auch wesentlich motivierender für die Fachleute vor Ort und damit auch produktiver.

Fiedler: Ja, heute kommt der Experte von auswärts nur noch einmal im Quartal und bietet Unterstützung. Eine Sache, die auch wesentlich ist, ist, dass es ein Budget gibt, mit dem lokale Ausschreibungen gemacht werden. Das ist etwas, was ich durchgesetzt habe. Planungsaufträge werden nach Definition der Aufgaben vergeben und das haben Behörden und Ämter dort erst lernen müssen. So sind also bis 2007 eine Reihe von Flächenwidmungsplänen, Stadtsanierungskonzepten etc. entstanden.

GAT: Investorenpläne und Aktivitäten werden mit einbezogen?

Fiedler: Natürlich spielt das immer mit hinein, weil sowohl Grundstücksbesitzer als auch Politiker immer nach den Möglichkeiten schielen, die sich da auftun könnten. Und man neigt dazu, voller Hoffnung übermäßig große Flächen als Bauland zu widmen.

GAT: Wie geht es weiter?

Fiedler: Dieses Projekt habe ich bis 2007 betreut und habe nun die Aufgabe bekommen, der Aufsichtsbehörde im Ministerium den Rücken zu stärken. Dieses Programm läuft noch bis Ende des Jahres. Ich bin regelmäßig dort, mache Ausbildungen und betreue Planungsprozesse.

GAT: Woher kommen die Experten, wo haben sie studiert?

Fiedler: Das ist ganz unterschiedlich: aus Brasilien, Moskau, ganz international. Sie etablieren sich auf dem lokalen Markt und haben ganz unterschiedliche Hintergründe. Das macht die Situation dort auch recht interessant, da durch das Fehlen einer festen Planungsvorstellung sehr viele unterschiedliche Konzepte zusammenkommen. So muss man ja nicht nur einen gemeinsamen Nenner, sondern überhaupt erst einmal eine gemeinsame Terminologie finden. Es handelt sich dort ja auch um eine sehr fragile Situation, auf die reagiert werden muss.

GAT: Es ist, wenn man von Nachhaltigkeit spricht, ja auch zu berücksichtigen, dass die soziale und wirtschaftliche Situation in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich sein kann. Mobilitätskonzepte müssen daher so klug gedacht sein, dass sie an die Situation angepasst sind, damit die breite Masse sie auch unterstützt.

Fiedler: Es gibt gerade im Mobilitätsbereich natürlich oft wohlfahrtsstaatliche Konzepte, die in Schwellen- oder Entwicklungsländern gar nicht umgesetzt werden können, weil es die Grundlagen nicht gibt.
Für Kap Verde unterstützen wir jetzt für alle Inseln die Entwicklungsplanung. Einer meiner Beiträge war, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Planungsämter auf die Kanarischen Inseln zu schicken, um zu sehen, was schief gehen kann und auch, was gut gemacht wurde. Als positives Beispiel gilt hier Lanzarote. Dort ist das Landschaftsregime sehr streng und zugleich mit dem Tourismus kompatibel. Dieser Ansatz begann bereits in den 1970er-Jahren mit dem Künstler César Manrique, der sich damals bereits für den Wert der Landschaft eingesetzt hat. Diese Insel kann aufgrund ihrer ähnlichen Topografie durchaus als positives Beispiel für Kap Verde dienen.

GAT: Kap Verde kann ja nun fast schon selbst als Beispiel dienen.

Fiedler: Doch, das hoffe ich. Denn jetzt gibt es dort Kompetenzen und eine gewisse Sensibilität und man kann durchaus sagen, dass es für ein sogenanntes Dritte-Welt-Land schon sehr weit ist. Ab diesem Jahr zieht sich die österreichische Entwicklungszusammenarbeit auch schon aus Kap Verde zurück, weil tatsächlich bereits ein relativ hoher Standard erreicht wurde.

GAT: Sind die Kapverden denn nicht auch auf der Expo in Shanghai vertreten? Sie waren doch dort?

Fiedler: Ja, ich wurde eingeladen, im Rahmen eines Ausstellungsstandes der Kapverden auch die Publikation unseres Projektes vorzustellen.

GAT: Was steht sonst noch auf der Agenda?

Fiedler: Seit kurzem habe ich eine Vertretungsprofessur an der TU-Braunschweig, einen Lehrstuhl für Städtebau bis zur Neubesetzung, also für ca. ein Jahr. Es gibt dort viel zu tun, ein neuer Masterlehrgang muss aufgesetzt und neue Forschungsschwerpunkte müssen definiert werden. Einer davon wird beispielsweise „Spatial Justice“ (Gerechtigkeit im Raum) sein. Der Impuls dazu kam auch aus dem Vortrag, den Edward Soja (LA) im letzten Jahr in Graz hielt.
Das Thema … „Spatial Justice“ ist in den USA besonders dringend, da durch die Maßnahmen der neokonservativen Regierung ein hohes Maß an Ungerechtigkeit entstanden ist (gated communities, Abbau der öffentlichen Dienstleistungen, Abbau des öffentlichen. Verkehrs etc.). Kapitalgetriebene Stadtentwicklung bringt eben ein hohes Maß an Ungerechtigkeit mit sich. Menschen können zum Beispiel ihren Wohnort gar nicht mehr frei wählen. Auch in Europa spielt das eine große Rolle und dieser Begriff der ‚Spatial Justice’, also der Gerechtigkeit im öffentlichen Raum, deckt vieles ab, vom Recht der Niederlassung über globale Migration bis hin zu unseren Wohlstandsproblemen wie Qualität für Fußgänger bzw. Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel etc.
Das soll jetzt also …. in Braunschweig aufgearbeitet werden und zu einer Publikation und einem internationalen Austausch führen.

GAT: So hat man als Stadtplaner und erst recht als Stadtplaner in der Lehre also durchaus einen sozialpolitischen Auftrag.

Fiedler: Stadtplanung ist durch und durch politisch, das ist gar keine Frage, geht es doch um die Aufteilung der öffentlichen Ressource Raum. Das sind die Dinge, die wir in Braunschweig behandeln.

GAT: Und in Österreich?

Fiedler: Nun, was mich seit Anfang 2008 sehr beschäftigt, ist das Projekt „ehemaliges Flugfeld Aspern“, da ich hier als Berater engagiert wurde. Dieses Stadtentwicklungsgebiet soll nun auf Basis einer durch einen Wettbewerb entstandenen, vorgegebenen Geometrie bearbeitet werden. Es handelt sich um das Gelände des ehemaligen Flughafens von Wien mit einer Größe von 220 ha, auf dem 20.000 Menschen angesiedelt werden sollen. Ich habe hier u. a. die Aufgabe übernommen, die Bebauungsbedingungen zu definieren. Der erste Abschnitt wird nun realisiert, die U 2 wird bereits gebaut und in dieses Gebiet führen. Man muss jetzt die Bedingungen schaffen, um dort so etwas wie Stadt entstehen zu lassen. Es handelt sich um eine etwas widersprüchliche Situation, da es einerseits ein Randgebiet ist, andererseits ist es aber hochwertig erschlossen und verlangt daher nach einer gewissen Dichte und Urbanität. Wie kann man das nun heutzutage lösen? Einen urbanen Raum kreieren, Geschäfte in den Sockelzonen ansiedeln und eine hohe Wohnqualität schaffen.

GAT: Und das aus dem totalen Nichts – alles muss praktisch aus dem Boden gestampft werden?

Fiedler: An sich ist das ja eine völlig absurde Grundsituation. Die Stadt Wien hat sich jedoch eindeutig zu dieser Entwicklung bekannt und stellt ein hohes Maß and Förderungsleistungen zur Verfügung.

GAT: Wie legt man so ein Projekt denn nun an?

Fiedler: Stadtplanung bedeutet für so ein Gebiet, ein Regelwerk anzulegen, das dann auch über Jahre hinweg funktionieren kann. Das ist leider etwas, das bei uns überhaupt nicht verankert ist. Wir sind gut in Objektarchitektur und auch der Städtebau wird teilweise über Objektarchitektur abgewickelt – das ist jedoch der verkehrte Ansatz.

GAT: Man muss die Dinge also wesentlich breiter anlegen?

Fiedler: Ja, und vor allem bauplatzübergreifend in einer Zusammenführung aller Akteure. Stadtplanung heißt, dass ich, wenn ich drei bis fünf verschiedene Akteure in einem Gebiet habe, die Regeln vorgebe, wie diese miteinander agieren sollen, damit dann dort auch Öffentlichkeit entstehen kann. Wir konnten durchsetzen, dass der erste Entwicklungsabschnitt in Aspern in viele kleine Einheiten zergliedert wurde und somit gibt es viele Verfahren und Wettbewerbe, die jetzt im Herbst beginnen werden. Die Teilnehmer an diesen Architekturwettbewerben werden dann ein genau definiertes Regelwerk vorfinden, das letzte Woche im Wiener Gemeinderat verabschiedet wurde.

GAT: Die Kleinteiligkeit und damit einhergehende Vielfalt scheint ein guter Trick zu sein, um seinem Gebiet Leben einzuhauchen. Könnte man sagen, dass nur so ein Konstrukt entstehen kann, das eine Atmosphäre hat, die nahezu gewachsen wirkt?

Fiedler: Wir haben uns in unserem Regelkonzept ganz bewusst gegen eine ‚Anlagenplanung’ entschieden und dementsprechend dagegen gearbeitet und im Zuge dessen auch das Thema ‚Baugruppen, Baugemeinschaften’ mit aufgenommen. Also die Frage erörtert, wie man individuelle Gestaltung wieder in die Stadtgestaltung einbringen kann. Etwas, das sonst nur im Suburbanen stattfindet.

GAT: Wie und wo funktioniert das denn am besten?

Fiedler: In Deutschland ist das schon üblich, weil es nahezu keinen geförderten Wohnbau gibt und daher auch keine …. Vorgaben seitens einer Wohnbaugenossenschaft wie in Österreich. In Deutschland ist die Baugruppe mittlerweile das generelle Instrument für den städtischen Wohnbau. Ein Architekt oder Baubetreuer sucht sich für eine Parzelle 5 – 6 Personen, die teilnehmen, und dann sagen, welche Raumhöhe sie brauchen, ob Fotostudio oder eine Werkstatt, Kinderbetreuung, Dachpool etc. So entsteht praktisch ein Einfamilienhaus im Großen. Am Ende wird das dann jedoch genau und individuell abgerechnet.

GAT: Wie könnte man so etwas in Österreich umsetzen?

Fiedler: Über die Kleinteiligkeit. Je kleiner die Produktionseinheit, desto vielfältiger und auch flexibler die Stadt. Es gibt dann nicht nur schön oder nur hässlich, sondern auch große Unterschiede und eine größere Nutzungsvielfalt.

GAT: Sehr einleuchtend als Möglichkeit, einem neu geschaffenen Konstrukt dieser Größenordnung auch eine Seele zu geben.

Fiedler: Ja, und tatsächlich auch eine Möglichkeit für das Gebiet Reininghaus in Graz. Im Rahmen eines Workshops habe ich schon einmal vorgeschlagen, dass man das Gebiet in möglichst viele und möglichst kleine Einheiten zergliedern sollte. Das widerspricht natürlich ganz der allgemeinen Meinung, nach der man sich freut, nun endlich einmal ein großes zusammenhängendes Gebiet bearbeiten zu können.

GAT: Nicht aufzuteilen, ist unter Umständen eben sicherer.

Fiedler: Das stimmt schon. Man muss eben klug und vorausschauend zergliedern, damit die Vielfalt der Akteure überhaupt Ansatzpunkte findet. Das Gebiet ist aktuell kaum für jemanden zu bewältigen und wenn, dann nur für eine Bank oder einen großen Wohnbauträger, was wieder nur zu einer monolithischen Angelegenheit führen würde.

GAT: Was würden Sie der Stadt nun raten?

Fiedler: Sie muss sich kluge Partner suchen, die bereit sind, sich auf das Ergebnis der Vielfalt einzulassen. Das heißt, sie müsste das Konzept der Kleinteiligkeit auch nachvollziehen können, denn nur dann gibt es die Chance, Urbanität herzustellen.

GAT: Wir bedanken uns für das Gespräch!

Biografische Notiz.
Johannes Fiedler (* 1958, Wien)
Architekt
Dipl. Ing. (Architektur), TU Graz, 1988
Dr. techn. (Städtebau und Zeitgeschichte), TU Graz, 2001

Praxis bei Domenig/Eisenköck und Klaus Kada in Graz.
1993-1997 Geschäftsführer Europan-Österreich.
Seit 1994 fiedler.tornquist, Architekturbüro mit Jördis Tornquist in Graz: Städtebau, Stadtgestaltung und Wohnbau.
Seit 2010 interimistische Leitung des Lehrstuhls für Städtebau an der TU Braunschweig
Berater in internationalen Projekten der Stadt- und Raumentwicklung im Auftrag der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit und der Europäischen Kommission; Mosambik, Südafrika, Palästina, Cabo Verde
Berater des Stadtentwicklungsprojektes Aspern Seestadt in Wien
Lehraufträge im Fach Städtebau an der TU Wien, der Universität Graz, der Fachhochschule Joanneum Graz und an der TU Braunschweig (2008, 2009)
Forschungsschwerpunkte: Urbanisierung/Globalisierung, Bedingungen der Stadtproduktion, öffentlicher Raum
Publikationen:
Urbanisierung, globale, Böhlau Verlag 2004
Kap Verde - Die Logik des Wachstums, Südwind Verlag 2007

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