13/12/2009
13/12/2009

Günter Eichberger
DIE BEDEUTUNG DES UNSICHTBAREN
Architekten allein zu Hause

1
Es gibt einen Cartoon von Gary Larson, „Giorgio Armani zu Hause“ betitelt. Darin lümmelt der Modeschöpfer betont nachlässig gekleidet mit einer Dose Bier vor dem Fernseher. Neben ihm eine struppige Katze. Das bescheidene Zimmer ist unaufgeräumt. Mit stumpfem Blick stiert Armani auf den Bildschirm.
So also hausen Stilikonen.

2
Im Netz kann man einige Architekturgrößen in ihren privaten Gemächern betrachten. Zwar nicht mit Live-Kameras, aber doch auf großzügigen Fotostrecken. Nicht alle aber wollen sich präsentieren. Und vielleicht haben sie auch gute Gründe dafür.
Gustav Peichl hat für sich ein „nüchtern-durchdachtes“ Wohnhaus entworfen. Zumindest sieht er das so: „Hätte ich mehr Geld und ein viel größeres Grundstück gehabt, hätte ich sicher ein scheußliches Haus gebaut.“ Das Wohnzimmer wirkt auf dem Foto gediegen bürgerlich, sogar ein wenig bieder, man erwartet, dass jeden Augenblick ein pensionierter Hofrat oder dessen Witwe eintritt und sich auf dem senffarbenen Sofa niederlässt. Dieser Raum hat keinen Anflug von Ironie, sofern Räume das überhaupt haben können. Auch die Zeichnung an der Wand sieht nicht nach einer Karikatur aus.
Damit verglichen erscheint Klaus Kadas Altbauwohnung mit ihren rosa und azurblauen Möbeln fast schon bizarr. Wen würde man hier vermuten? Einen effeminierten Modeschöpfer? Eine gemäßigt verhaltensoriginelle Geschäftsfrau? Auf keinen Fall einen Mann in Schwarz.
Wilhelm Holzbauer hat seine Küche mit den Originalmöbeln eines Haubenlokals eingerichtet, was angeblich auf den „Genussmenschen“ hindeuten lässt. Aber vielleicht hat das Vernunftgründe. Denn wer daheim wie in einem Haubenlokal tafelt, erspart sich sicher viel.
Wolf D. Prix wohnt in einer brennenden Raumkapsel. Nein, in einer loftartigen Eigenkreation mit viel Stahl und Rundumverglasung. Er hasst Fensterbänke, verrät er, und raucht zum Frühstück die Zigar-renmarke Che Guevaras. Nun sind wir also im Bilde.

3
Kommen wir nun zu jenen, die sich nicht ins Schlafzimmer schauen lassen. Und werfen wir einen Röntgenblick darauf, der durch Wände dringt. Und bieten endlich die bestellte Phantasieleistung.
Zaha Hadid wohnt bekanntlich in einem betonierten Blitz, einem materialisierten Wutausbruch, der wie eine ständige Drohung über der Landschaft schwebt. Die Räume gehen fließend ineinander über, wodurch sie den Charakter von Badezimmern annehmen. Ihr Arbeitszimmer ist ihrem einstigen Kinderzimmer nachgebaut, ihrem ersten Entwurf. Ein großer Wurf schon das: Die Einrichtungsgegenstände scheinen schwerelos im Raum zu schweben. „Die reine explodierende Energie“, sagt Hadid dazu, während sie nach einem Sessel greift, der sich durch die Luft auf sie zu bewegt.
Lassen wir das Haus einen Moment aus den Augen, hat es sich schon wieder verändert, es ist im Fluss, es ist ein Fluss. Hadid hat es direkt vom Zeichenblock nach einem streng geheimen Verfahren in die Dreidimensionalität projiziert. Das Haus passt sich ihren Stimmungen an, wenn sie flucht, biegen sich die Wände noch ein wenig mehr. Lacht sie, schafft das Haus dem Lachen Raum, ein Schacht entsteht, das Lachen wird schallverstärkt wie durch ein Megaphon, die Treppe windet sich im Zickzack, steigt auf sich selbst nach oben, im Anstieg verschwinden die Stufen. Wenn sie arbeitet, hält das Haus für seine Verhältnisse still. Dann wird die an sich transparente Fassade blickdicht wie eine Strumpfhose, der Hausfluss stockt ein wenig, aber das gibt sich, kaum dass sich Hadid schwarzen Kaffee eingießt. Dann belebt sich auch das Haus, beginnt eine Art langsamen Tanz, dreht sich um die eigene Achse.
Wenn sie schläft, begibt sich auch das Haus zur Ruhe, klappt sich zusammen, dreht sich zur Seite. Wenn sie die Augen aufschlägt, ersteht der Bau gleichsam aus den Federn, wirft sich in die Luft, schlägt ein Rad.
Das Haus spielt alle Stücke, ist im Schwank wie im Trauerspiel daheim, sein Repertoire sprengt alle Spielpläne, auch wenn allgemein behauptet wird, dieses Haus sei nie gebaut worden, es sei eine allseits anerkannte Fata Morgana, aus der Wüste eingewandert, ein Schau-stück, das sich sehen lassen kann, aber unsichtbar für alle bleibt, die an seinem Vorhandensein zweifeln.

4
Daniel Libeskinds Haus besteht aus zwei Teilen, dem sichtbaren und dem unsichtbaren. „Die meisten Architekten konzentrieren sich auf das Sichtbare und vergessen dabei die Bedeutung des Unsichtbaren in der Architektur.“ Zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren verlaufen Linien. „Manche Linien“, sagt er, „haben immer schon exis-tiert und sind somit unvermeidlich.“
Er ist beim Entwurf für sein Haus von seinen Handflächen ausgegangen. Die Lebenslinie bildete den Grundriss. So ist sein Haus nicht nur Lebenswerk, sondern zu seinem Leben geworden. Sogar seine Zukunft kann man herauslesen, vor allem im unsichtbaren Bereich.
Architektur müsse man erfühlen können. Man stellt sich in einen Raum und empfindet ihn. Für sein Haus habe er seine Empfindungen in ein Netz aus Linien übertragen. Hier gibt es eine gewundene, aber durchgehende und eine gerade, immer wieder durchbrochene Linie. So stelle sich sein Raumgefühlsleben dar. So habe das Haus ihn gezeichnet, so sei sein Innenleben Modell dafür gestanden.
Es gehe um das Unbestimmte. Das Unbestimmte müsse in die Arbeit integriert werden, zur Form finden, und sei es durch Abwesenheit. Ja, die Leerstellen seien das Spannendste an seinen Bauten. Immer wieder zeichne er Leerstellen in seine Entwürfe, unsichtbare Linien, die aber das Ganze tragen würden.
Der unsichtbare Teil ist der entscheidende, wie der ungeschriebene Teil in einem Text. Zwischen den Zeilen bauen, das sei sein Ideal, zwischen den Zeilen bauen. Das Sichtbare als Verweis aufs Unsichtbare. Aber das sei vielleicht schon zu deutlich gesagt. Seine Äußerungen würde er gerne stillschweigend zurücknehmen. Wenn schon ein Bau, einmal hingestellt, nicht mehr zurückgenommen werden könne…

5
„Mein Beruf“, sagt Rem Koolhaas, „ist Schriftsteller. Als Kind war ich nie an Architektur interessiert, ich bin es auch heute weniger, als manche glauben. Bauen ist eine Form des Verstehens. Darum geht es mir. Meine Häuser habe ich geschrieben, nicht gebaut. Und vor allem wollte ich mit jedem Bau etwas verstehen, das über das Haus hinausgeht.
Nehmen Sie mein eigenes Haus. Es ist in dieser Papierrolle. Ja, mein Haus besteht aus Worten. Wenn Sie mich nun fragen, wo ich wohne, kann ich nur sagen, ganz tief da drin im Papier.
Es geht um Zweifel. Zweifel ist der wichtigste Brennstoff. Vor allem an unserer Tätigkeit müssen wir immer zweifeln, meine Aufgabe sehe ich darin, den Beruf des Architekten in Zweifel zu ziehen. Und dabei immer noch Architekt zu sein. Ich zweifle, also bin ich Architekt. Und versuche, dabei nicht zu verzweifeln.
Wobei es nicht um die Sinnfrage geht. Die Sinnfrage stellt sich nicht. Sie ist die unsinnigste aller Fragen. Es darf keine allgemeinen Antworten auf allgemeine Fragen geben. Das ist, was mir mein systematischer Zweifel eingegeben hat. Das Einzigartige muss bestimmt werden. An nichts anderes gehe ich heran.
Und mein Haus? Es ist eine Art immerwährendes Provisorium. Es wird vor allem unbewohnbar sein. Auf eine Heizung habe ich verzichtet. Wärme macht träge, Wärme lehne ich ab. Dafür gibt es ein durchgehendes Kühlsystem. Mein Haus ist auf Eis gelegt. Es ist ganz der Scholle verpflichtet, der Eisscholle. Ein Schrein für mein kühles Herz. Ein Mausoleum zu Lebzeiten. Das ist nicht Ausdruck von Größenwahn, das ist an Kälte geschulter Klarsinn. Ich werde in meinem Haus nicht leibhaftig wohnen, aber durch meine Gedanken präsent sein. Rems Zweifelanstalt, die Rache des Koolhaas.
Und jetzt lassen Sie mich auf meinem Schlitten durch die Gletscher meines Bewusstseins kurven.“

Günter Eichberger, geboren 1959 in Oberzeiring/Stmk., lebt als freier Schriftsteller in Graz. Neben Theaterstücken und Hörspielen veröffentlichte er eine Reihe von Prosabänden; zuletzt erschien "Alias" im Ritter Verlag, Klagenfurt.

Verfasser/in:
Günter Eichberger
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