13/05/2007

Faire Partnerschaft zwischen Stadt und Land

13/05/2007

O. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Holger Magel (*1944 in Neuburg an der Donau) studierte von 1963-68 Vermessungswesens an der Technischen Universität München. 1977 Promotion zum Dr.-Ing. über Planungsfragen in der Flurbereinigung. Magel ist seit 1998 Ordinarius und Vorstand des Lehrstuhls für Bodenordnung und Landentwicklung TU München sowie Direktor (kollegiale Leitung) des Instituts für Geodäsie, GIS und Landmananagement der TU München. Er ist u. a. Präsident des UN-Habitat Professionals Forum. Foto: Archiv TU München

Vortrag von Holger Magel

RESSOURCENREICH(ER) LÄNDLICHER RAUM.
PLÄDOYER FÜR EIN NACHHALTIGES LANDMANAGEMENT UND EINE AKTIVE BÜRGERGESELLSCHAFT

2. Teil
Faire Partnerschaft zwischen Stadt und Land

Was wir dringend brauchen, ist gegenseitige Achtung und Anerkennung im Geiste einer fairen Partnerschaft von Stadt und Land. Es darf hierbei kein oben und unten, kein hierarchisches Gefälle geben. Natürlich braucht das Land die Dynamik und Kraft der Städte, in „fachchinesischer“ Sprache den ökonomischen und kulturellen Bedeutungsüberschuss der Städte, vor allem deren Märkte, Infrastrukturen und Arbeitsplätze, aber das darf nicht zu einer Attitüde von einseitigen Abhängigkeiten und Überlegenheiten führen. Auch nicht zu der Geisteshaltung: Der einzig sinnvolle Zukunfts-, Innovations- und deshalb auch Investitionsraum sind die Städte!

Vieles würde das schlechte Verhältnis zwischen den städtischen und ländlichen kommunalen Spitzenverbänden verbessern, wenn auch endlich anerkannt würde, wie notwendig der ländliche Raum, wie notwendig ländliches Denken, kurzum das Ländliche gerade auch für die Städte(r) und für die Gesamtgesellschaft sind. Ländliche Räume, ländliches Denken oder das Ländliche basieren im Sinne von Johann Millendorfer (2) - dessen Nachfolger im Auftrag des Bayer. Landwirtschaftsministeriums die Werte und Ressourcen der ländlichen Räume ökonomisch erfasst und kapitalisiert haben - auf spezifischen, vielfach unser Überleben sichernden und viele städtische Probleme lösenden Ressourcen, die das Wort vom „Ressourcenreich ländlicher Raum“ bzw. vom ressourcenreichen Land mehr als rechtfertigen. Diese Ressourcen, Schätze, Werte, Potenziale oder Charakteristika sind im Verlaufe der geistig sehr stürmischen Dorferneuerungsbewegung in den 80er und 90er Jahren vielfach beschrieben worden; selbst die eher nüchtern formulierende Europäische Kommission und der Europarat haben nach ihrem Eintritt in die Ländliche Raum- sowie Dorferneuerungsbewegung Anfang der 90er Jahre immer wieder diese Ressourcen, diese unverwechselbaren ländlichen Charakteristika beschrieben. Und sie sind „geerdet“, operationabel , praktikabel gemacht worden.

Es war ein kolossaler Fortschritt, der Franz Fischler (3) zu verdanken ist, dass sich die europäische Sicht der ländlichen Entwicklung – soweit es finanzpolitisch überhaupt möglich war – vom anfangs zu agrarischen weiterbewegt hat zur allseits und allzeit existierenden kommunalen Ebene und Sicht. Das ist wichtig und richtig, denn hier auf lokaler Ebene spielen sich anschaulich und konkret Leben, Wohnen, Arbeiten, Bilden und Erholen ab, hier werden die Ressourcen benutzt, gepflegt, verbraucht und geschaffen! Auf diese Gesamtheit von für ihren Lebensraum gesamtverantwortlichen Kommunen und Bürgern müssen wir uns stützen, wenn es um Maßnahmen zur Behebung von Schwächen und um die Begegnung von Gefährdungen geht.

Im Dorf bin ich universal

Am schönsten und komplettesten hat wohl Leopold Kohr (4) das „Ressourcenreich ländlicher Raum“ beschrieben. Ich möchte ihn zitieren, um der Gefahr einer oberlehrerhaften (im Übrigen x-fach wiedergegebenen ) und dann trotzdem lückenhaften Aufzählung einzelner Ressourcen zu entkommen. Der Salzburger Philosoph der kleinen Einheit und große Freund der Dorferneuerung hat gesagt:
„Im Dorf höre ich auf, Provinzler zu sein. Im Dorf bin ich Universalist.“
Universalist - so verstehe ich ihn - in einem komplexen Kosmos, in einer ganzheitlichen Lebenswelt von Menschen, Tieren, Pflanzen mit allen damit verbundenen konkret spür- und formbaren Lebensformen, Lebensqualitäten und natürlichen Kreisläufen.
Dieser „Kosmos des Ländlichen“ bietet aber nicht nur den im ländlichen Raum lebenden Menschen ein hohes Maß an Ressourcen und Be-Reich-erung, sondern auch – und das war ja gerade die Botschaft Millendorfers, und das muss neuerlich die Botschaft dieser Europäischen Arge und dieses Kongresses sein – den Städten.
All dies ist gefährdet, weil es weniger denn je einen autonomen ländlichen Raum gibt, weil vor allem die Balance nicht mehr stimmt. Dann auch helfen die schönsten Lobpreisungen und Schwärmereien über das Leben auf dem Lande, über Eigenhilfe, Naturnähe, Überschaubarkeit, Nachbarschaft, Kreislaufdenken, etc. nicht weiter.
Gefragt sind die grundlegenden ökonomischen Strukturen und Rahmenbedingungen! Immerhin hat die bayerische Regierungspartei bei ihrem jüngsten Kongress zum ländlichen Raum trotz bedrohlicher demographischer Daten und alarmierender Abwanderungstrends in einigen nord- und ostbayerischen Regionen erklärt, dass sie an der Entwicklung aller ländlichen Räume festhalten wolle. Abwanderung – so der einflussreiche Klubobmann der CSU Joachim Herrmann - dürfe nicht als „unabänderliches Schicksal“ hingenommen werden. Herrmann verweist dabei auf die 70er Jahre, als man schon einmal von (damals noch) Bonner Seite angesichts erdrückender negativer Trends ganze Landstriche wie z.B. den Bayerischen Wald „passiv sanieren“ wollte und als die Bayerische Staatsregierung mächtig und letztlich erfolgreich dagegen hielt.

Der Geist (und die Mentalität) verändert die Welt

Hier galt, was wohl überall gilt: „Der Geist, die Einstellung verändert die Welt.“
Wenn wir, angesichts natürlich unübersehbarer demographischer, finanzieller, struktureller und sonstiger Probleme, die wir mit dem flotten Slogan „ärmer, älter, weniger und bunter“ zu umschreiben versuchen, anfangen, zu resignieren und uns auf die sog. nicht beeinflussbaren Sachzwänge wie auf die heutzutage allzugern benutzte Globalisierung zurückzuziehen, dann haben wir schon verloren. Es ist eben ein großer Unterschied, sich infolge demographischer Entwicklung bewusst und pro-aktiv auf vernünftige Maßnahmen z.B. des Stadt- oder Dorfumbaus oder auf die Anpassung bzw. Neukonzeptionierung von Wohn- und Infrastrukturen zu konzentrieren oder sich resignativ und seufzend mit der Ausblutung und Ausdünnung ganzer Regionen zufrieden, das heißt geschlagen zu geben und dies dann wie folgt zu umschreiben: „Die... Mittel können dann teilweise dazu verwendet werden, in Regionen ohne erkennbare Entwicklungschancen die Mindestversorgung aufrecht zu erhalten...“

Darüber und auch über die konkreten fachlichen Herausforderungen wird bei diesem Kongress intensiv zu reden sein. Dieses angesprochene notwendige, sowohl realistische wie auch optimistisch-aktive Eingreifen gehört für mich zum Bestandteil jedes „Guten Regierens“.
Zum „Guten Regieren“ gehört für mich auch das Herbeiführen eines gedeihlichen Miteinanders von Stadt und Land im Sinne des weltberühmten Freskos von Ambrogio Lorenzetti im Rathaus von Siena anstelle einer Tolerierung von Darwinismus und Verdrängungswettbewerb. Es wäre schön, wenn diesbezüglich seitens der EU sehr genau oder noch strikter auf programmatische Schritte und Weiterentwicklungen in den Länder- und Regionalprogrammen geachtet würde.
Zu „Good Governance“ gehören schließlich – und dies besonders im Hinblick auf die gebotene Stärkung der ländlichen Räume und zur bewussten Wahrnehmung und Nutzung ihrer reichlichen Ressourcen – einerseits die noch viel stärkere Mobilisierung ihrer bürgerschaftlichen Potenziale – denn mit Staat und Wirtschaft alleine bewältigen wir die Zukunft immer weniger – und andererseits das bewusste Vorhalten und zur Verfügung stellen von Landmanagementkompetenzen und -strukturen im Sinne der „Quadrophonie von aktivierendem Beraten, Planen, Ordnen und Bauen“.

Wir alle wissen und sind auch stolz darauf, dass gerade die landtypischen Maßnahmen der Dorferneuerung und Landentwicklung besonders leuchtende Beispiele von Bürgerbeteiligung, Bürgerengagement und Bürgergesellschaft sind und sogar Maßstab waren für Agenda 21 Prozesse und Stadterneuerung.
So sehr ich einerseits ein weiterhin notwendiges Erstarken einer aktiven Bürgergesellschaft propagiere, so sehr bin ich zugleich ein Verfechter kompetenter staatlicher Institutionen mit dem Auftrag zur Wahrnehmung eines nachhaltigen Landmanagements, das natürlich weit mehr ist als nur innerhalb vorgegebener mehr oder weniger agrargeprägter Förderschienen und Programme zu handeln. Landmanagement ist letztlich die bewusste Sorge um Lebensqualität und Lebensstrukturen im ländlichen Raum basierend auf allen Tätigkeiten im Sinne der vorerwähnten Quadrophonie auf und rund um unsere begrenzte Ressource Grund und Boden. Dazu brauchen wir Institutionen, die im Auftrag von uns allen und als Partner der Bürger und Wirtschaft handeln. Prof. Michael Steiner (5) vom Joanneum-Research-Center in Graz hat dazu unmissverständlich gesagt:
„Staatliches Eingreifen legitimiert sich an der Notwendigkeit, einen Wandel zu unterstützen, der aus sich heraus nicht oder nicht schnell genug stattfinden würde.“
Diese Notwendigkeit sehe ich ohne Zweifel trotz oder neben Potenzialen zur Eigenentwicklung, trotz Bürgergesellschaft und der angestrebten „neuen Verantwortungsgemeinschaft von Staat und Bürgern“ im ländlichen Raum klar gegeben. Der Staat (und dazu zähle ich auch die EU) ist weiterhin gefordert; er muss von sich aus den Wandel pro-aktiv unterstützen.
Steiner fordert aber noch etwas sehr Wichtiges, was bei den hinter uns liegenden oder gegenwärtigen Verwaltungsreformen leider viel zu wenig bedacht worden ist:
„Eine Stufenordnung der Politik bedeutet eine Zuordnung von Aufgaben an diejenigen Institutionen, die die Macht haben, diese auch durchzusetzen sowie eine entsprechende Assignation von Zielen und Instrumenten.“

(2) Univ.-Prof. DI Dr. Johann Millendorfer (1921 Wien – 2001), Pionier der Systemanalyse, Mitbegründer der Global Systems Dynamics, Entwickler einer neuen Methodik der empirischen Sozialforschung und der Prognose sozialer und ökonomischer Entwicklungen.

(3) Franz Fischler. *1946 in Absam, Tirol. Studium der Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur, Wien. Promotion zum Dr. rer. nat. oec. im November 1978. 1995 bis 1999 EU-Kommissar für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Bis 2004 zusätzlich zuständig für Fischerei. Seit 2005: Franz Fischler Consult GmbH.

(4) Dr.Leopold Kohr (1909 Oberndorf, Salzburg - 1994) Wirtschaftsphilosoph. Leitidee: "Small is beautiful!"

(5) Dr.Michael Steiner. 1974 Dr.iur., 1984 Dr.rer.soc.oec. 1989 Habilitation, 1997 tit.ao.Univ.Prof. Gastprofessor an verschiedenen Universitäten. Leiter des Instituts für Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research.

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