15/01/2006
15/01/2006

Kaispeicher A, 1964-66, Werner Kallmorgen

Baustelle HafenCity Hamburg

Baustelle HafenCity Hamburg

Baustelle HafenCity Hamburg

Baustelle HafenCity Hamburg

Baustellen-Tourismus

Baustellen-Tourismus

ViewPoint, 2004

Blick vom ViewPoint Richtung Kaispeicher A

Magellan-Terrassen, eröffnet im Sommer 2005

Queen Mary 2 in der Hamburger HafenCity, August 2005

Queen Mary 2 in der Hamburger HafenCity, August 2005

InfoCenter im ehemaligen Kesselhaus der Speicherstadt

Modell der HafenCity, Ausschnitt: Überseequartier

InfoCenter. Fotos: J. Laister

Schöne Aussichten I
Die Hamburger HafenCity als Bildraum und Baustelle. Von Judith Laister

Die Elbphilharmonie kommt. Leuchtend und elegant wird die von Herzog & de Meuron geplante Elbphilharmonie ab 2009 an exponierter Stelle der Hamburger HafenCity posieren. Wo heute eine leerstehende Lagerhalle aus Backstein inmitten brachliegender Hafenanlagen ruht, soll morgen eine gläserne Welle thronen: Die Elbphilharmonie kommt! verkündet ein Transparent am Kaispeicher A – sonst bietet der windige Platz an der Spitze des Dalmannkais vor allem eines: Eine schöne Aussicht auf Hamburgs größte Baustelle. Kräne und Erdhaufen, Bulldozer und Baucontainer, Schutt und Dreck, Bezugsfertiges am einen und soeben Bezogenes am anderen Ende, dazwischen Rohbauten, Baugruben, Lärm, Gestank und Gefahr. Es ist reizvoll, das 155 ha große Areal zu erkunden. Und es ist erwünscht. An jeder Ecke finden sich riesige Informationstafeln und der Baustellentourismus blüht. Kein Vergleich zwar mit der Berliner Mitte in den Neunzigern, mit der sich die HafenCity gerne misst, aber immerhin ist das Planungsgebiet 7 x größer als der Potsdamer Platz und bietet wie dieser Baustellenerlebnis samt InfoCenter (Eröffnung: Ende 2000) und ViewPoint (seit Sommer 2004) als gestylte Imaginationsmaschinen. Die zentrale Blickachse des orangen Aussichtssturms richtet sich den Hafenanlagen entlang zum Meer, das etwa 100km elbabwärts liegt, sowie gegen die unspektakuläre Skyline der Hansestadt, deren Profil durch den Bau der Elbphilharmonie geschärft werden soll. Wasser und Land, Hafen und City sollen durch „die neue Wasserseite der Hamburger Innenstadt“ vereint, die ehemalige Freihandelszone einer zeitgemäßen Funktion zugeführt werden. Im Masterplan (ab 1998) vorgesehen ist eine gemischte Nutzung aus Wohnen, Gewerbe, Freizeit, Einzelhandel und Kultur, wobei die neue „Stadt in der Stadt“ auch als touristischer Magnet fungieren soll. Wirtschaftspolitisch folgt die 1997 vom damaligen Bürgermeister Henning Voscherau erstmals der Öffentlichkeit präsentierte Vision dem internationalen Trend der Restrukturierung und Ökonomisierung städtischen Raums, um die Metropolregion Hamburg im zunehmenden Konkurrenzkampf der Städte zu stärken. Aus kulturanthropologischer Perspektive erweist sich das städtebauliche Großprojekt einerseits als metropolitane Wachstumsphantasie, die das Meer und die Schifffahrt als historisch signifikante Sehnsuchtsräume der Freien Hansestadt Hamburg imaginiert; andererseits als dichtes Beispiel für eine omnipräsente Kultur des „tourist gaze“ im Zeitalter des Bildes.

Nein, Hamburg liegt nicht am Meer. Ein Spaziergang durch das städtebauliche Entwicklungsgebiet mit seinen baustellentouristischen Attraktionen und temporären Events macht aber deutlich: Hier will der Blick verführt werden – zu einer fiktiven Reise in die Ferne, die Vergangenheit und die Zukunft des Hafens, der für die Handelsschifffahrt ausgedient hat. Individuell, mit Audio-Guides oder in geführten Rundgängen (bei Dunkelheit in Fackelzügen) kann das Areal neu erlebt werden. Hafenbrache und Baustelle begegnen dem touristischen Blick als inszenierte Ödnis, die, so wird suggeriert, bald überwunden sein wird. „Ein bisschen Phantasie braucht man noch, wenn man sich die neue Südseite der Hamburger Innenstadt vorstellen will. Aber ...“. Bis 2020 sollen vor der historischen Speicherstadt-Kulisse modernes Wohnen, Arbeiten und Erholen in zentrumsnaher, maritimer Atmosphäre für eine urbane Dienstleistungselite realisiert werden: 5.500 Wohnungen für 12.000 Menschen, Geschäftsbauten mit 40.000 Arbeitsplätzen, moderne Marina und Traditionsschiffhafen, Meeresmuseum und Vasco-da-Gama-Platz, Marco-Polo- und Magellan-Terrassen, Überseequartier mit Kreuzfahrtterminal und als neues Wahrzeichen das städtebauliche „Leuchtturmprojekt“ Elbphilharmonie. Die klingenden Namen, die auf großformatigen Informationstafeln zu lesen sind, lassen den Anspruch auf symbolische See-Anbindung zwar erahnen, so richtige Meeresstimmung will am gerne feucht-grauen Bau-Areal aber noch nicht aufkommen. Erst wenn eines der zahlreichen Events Besuchermassen oder exklusive Kreise mit besonderen Attraktionen in die HafenCity lockt, kann man das Meer rauschen hören. Ob coole Kai-Clubbings mit Cocktails und Liegestühlen oder fröhliche Seemannsfeste mit Astra und Korn: Das Elbufer lockt besonders im Bereich der HafenCity mit maritimen Versprechungen. Höhepunkt der Inszenierungen ist der von Feuerwerk und Medienhype begleitete Besuch der Königin der Meere. Gefeiert von je bis zu 500.000 Menschen legte die Queen Mary II, das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, im vergangenen Jahr zwei Mal am neu errichteten Kreuzfahrtterminal der HafenCity an. Rund 40 Kreuzfahrtschiffe ankern jährlich an der provisorischen Konstruktion im bunten Container-Style, die bis 2009 zu einem modernen Cruise Center umgebaut werden und den südlichen Abschluss des „Überssequartiers“ der HafenCity bilden soll. Das „Überseequartier“ (geplante Fertigstellung bis 2011) gilt als "Herz der HafenCity“. Es wird sich entlang eines zentralen „Überseeboulevards“ erstrecken und als 24-Stunden-Stadt eine zentrale Andockstelle für Sehnsuchtskonsumenten und Kreuzfahrer sein. Den Zuschlag für den exklusiven Mix aus Wohnungen, Hotels, Shopping, Freizeit und Kultur hat im Herbst 2005 ein niederländisch-deutsches Investorenkonsortium erhalten, wobei renommierte Markennamen wie Rem Koolhaas oder Erick van Egeraat schon jetzt hohe Werte im Ringen um internationale Aufmerksamkeit garantieren. (In diesem Jahr wird das Grazer Team LOVE in der HafenCity, Baufeld 10 am Dalmannkai einen Wohnbau mit 30 Wohnungen und Gewerbeflächen errichten, Anm. d. Red.)

Vision und Wirklichkeit. Auf der Baustelle hat das „Überseequartier“ noch kaum Spuren hinterlassen. Der Aufstieg auf den nahen ViewPoint lohnt sich: Wind, wie immer, wilde Zonen, braunes Wasser und viel Baustelle. Doch die Sucht nach dem Bild will gestillt werden. Ein paar Schritte weiter, im InfoCenter der HafenCity, lässt sich die schöne, neue Erlebnis- und Reisewelt des Überseequartiers bereits auf werbewirksamen Farbtafeln, in Medienstationen und am Modell studieren. Was noch nicht ist, wird durch das Medium des Bildes simuliert und beansprucht symbolische Präsenz. Vermittelt wird zwischen Vision und Wirklichkeit einerseits durch ein Gesamtmodell der HafenCity im Maßstab 1:500, das parallel zum Planungsfortschritt laufend aktualisiert wird; andererseits durch elektronische und konventionelle Imaginationsmedien. Seit dem Jahr 2000 ist das InfoCenter im alten Kesselhaus der Speicherstadt viel besuchter Ort der Dokumentation und Information rund um eines der größten Städtebauprojekte Europas. Jede Veränderung im Entwurfs- und Bauprozess zwischen Elbbrücken und Kehrwiederspitze wird publikumswirksam präsentiert. Bücher, Medienarchive, Schautafeln, Film- und Hörstationen vermitteln selektiertes Wissen über Hamburg, Speicherstadt und HafenCity. Schulklassen und Journalisten, Touristen und Investoren, Hanseaten und solche, die es werden wollen, sollen verführt, informiert und unterhalten werden. Nicht nur Vermittlungs-, sondern auch Überzeugungsarbeit will hier geleistet werden. Wichtiges Anliegen der PR-Stelle ist die Legitimation des nicht unumstrittenen und von vielen Hamburgern skeptisch betrachteten Stadtentwicklungsprojekts durch seine Integration in Geschichte und Bild der Stadt. Mit Ausblick auf eine große Zukunft wird hier das schillernde Bild einer wechselhaften Vergangenheit gezeichnet, die das Areal für eine neuerliche Restrukturierung als „lebendige, vielgestaltige Stadtfassade zum großen Strom“ geradezu prädestiniert. Wie in zahlreichen anderen Hafenstädte, die längst in ihre vergessenen Wasserseiten investiert haben, werden auch in Hamburg die funktionellen und wirtschaftlichen Argumente mit selektierten Geschichtspartikeln symbolisch aufgeladen. Die Projektion des städtebaulichen Vorhabens in einen historisch-mythischen Bildraum aus goldenen Zeiten, Kriegszerstörung, Wiederaufbau, Niedergang und neu erwachter Lust am Meer scheint zu wirken. Die HafenCity wächst, die Brachen schwinden und die Verführungskraft der Bilder wird Hamburgs größte Baustelle weiter beleben. Und doch ist Skepsis angesagt, denn der touristische Blick, für den hier produziert wird, blendet den Alltag gerne aus. Schöne Aussichten, aber für wen? JUDITH LAISTER ist zurzeit Postdoktorand an der TU Hamburg-Haburg.
Sie studierte Kulturanthropologie und Kunstgeschichte in Graz. Forschung, Lehre, Ausstellungen zu den Schwerpunktthemen Stadt-Kultur und Bild-Diskurs. Dissertation zu städtischen Ästhetisierungsprozessen und Kultur als Standortfaktor: Schöne neue Stadt. Produktion und Rezeption postindustrieller Stadt-Bilder am Beispiel von Linz/Donau, LIT-Verlag, 2004. Derzeit wissenschaftliche Mitarbeit an einer Ausstellung am Technischen Museum Wien (Schwerpunkt: Moderne Urbanisierung zwischen Rationalisierung und Utopie) und Mitglied im Programmforum des Forum Stadtpark Graz.

Verfasser/in:
Von Judith Laister
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16. + 17.11.2023
 
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