23/12/2005
23/12/2005

sonnTAG 107

DUNKEL INS LICHT. WEIHNACHTSLICHT

Keine Frage, vor Weihnachten gibt es kein Entkommen. Aber schlimmer als das Schenken oder Beschenkt werden, ist die Schelte der Stillen Nacht Konsumrausch, dieses alljährliche Ritual der Kritik an Weihnachten. Die Möchtegernintellektuellen kritisieren Weihnachten und die Super-Möchtegernintellektuellen kritisieren die Kritik. Aber ich mag den Hauch in Hüfthöhe, den die Kinder auf die Auslagenscheiben atmen, ich mag die Fettflecken von ihren Nasenspitzen auf dem Glas und ich bin gerührt von der Miniatur der Kerzenflamme, die sich in einem blanken Kinderauge spiegelt. Und so weiter. Was ich allerdings nicht an Weihnachten mag, ist die Massierung von Planquadraten, die Angst vor Alkoholkontrollen schon während der laufenden Weihnachtsfeier, die archaischen Tragödien, wenn Pendlern und Alleinverdienern die „rosa Zettel“ abgenommen werden. Da wünsche ich mir dann vom Christkind ein Volksbegehren für Alkohol am Steuer. Einmal, in der Südsteiermark, fiel der Schnee geräuschlos, in dicken, weichen Flocken und ein Stammgast, hart wie Stein, trat in Hemdsärmeln mit seiner Trompete vor das Wirtshaus, um „Stille Nacht, Heilige Nacht“ zu blasen, dass es laut und falsch über die Hügel und Täler schallte. Die Gendarmen (die es damals noch gab) hockten wein- und weihnachtsselig drinnen, und endlich hatte niemand mehr Angst Heimzufahren …Friede der Exekutive und allen Verkehrsteilnehmern auf Erden. Und so weiter.
Die ländliche Idylle ist allerdings die Ausnahme, Weihnachten ist bekanntlich eine bürgerliche Erfindung des 19. Jahrhunderts. Es mag Zufall sein, dass sich unser stillstes Fest zeitgleich mit der Industrialisierung des Lichtes entwickelt hat. Tatsächlich ist es, bis auf das Licht, immer das gleiche mit Weihnachten. Bis zu dieser Industrialisierung des Lichtes – Gas- bzw. Elektrizität und zentrale Steuerung - war der Zusammenhang von Flamme und Licht noch augenfällig. Die Trennung von Feuer und Licht erinnert übrigens an die Entkoppelung von sexueller Ertüchtigung und Fortpflanzung, die allerdings erst ein wenig später perfektioniert wurde. So wie die „Flamme des Begehrens“, zu neuem Leben führt, stand ursprünglich auch das Licht für Leben. In einem dieser schaurigen Märchen der Gebrüder Grimm folgt ein Kerl dem Gevatter Tod in eine riesige Höhle, wo der Knochenmann auf eine Kerze weist, die mitten im Menschheitsmeer aus Kerzenflammen grade verlischt. Es ist natürlich die des Gastes…das Lebenslicht ausblasen und so weiter.
Zu dieser Märchenzeit bogen sich die Fichtenzweige noch, Wachs tropfte auf Glaskugeln und die Fransen der eingewickelten Zuckerln fingen gelegentlich Feuer. Damals wurden diese Kerzen sorgfältig aufbewahrt und mit ihren schwarzen Dochten für die nächsten, im günstigsten Fall sogar übernächsten Weihnachten noch einmal verwendet. Christbäume mit elektrischen Kerzen gab es nur in den Auslagen oder bei den ganz reichen Leuten. Irgendwann wurden dann jedes Jahr neue Kerzen gekauft. Als ich das erste Mal die elektrischen Lichterschnüre auf dem Baum vor Rockefeller Center in New York sah, war ich ganz weg. Aber bald gab es sie auch hierzulande, „and the thrill was gone“. Noch ein wenig später leuchteten die Weihnachtsinsignien über Herrengasse oder Annenstraße und ausgeklügelte Projektoren warfen kreisende Muster auf Hausmauern. Die Fassade des Grazer Rathaus, mit trüben Pastellfarben adventmäßig verstrahlt, prunkte in ihrer ganzen prachtvollen Hässlichkeit. Die stadtväterlich subventionierte Lichterstimmung wird gesteigert werden durch die geplanten Markstände auf dem Hauptplatz. Ordnung und Design erinnern irgendwie an diese Lager, über deren Eingang „Konsum macht frei!“ steht. Und so weiter.
Die Gegensatzpaare zwischen Licht der Erlösung und Finsternis ewiger Verdammnis bzw. Licht der Aufklärung und nachtschwarze Dummheit sind altbekannt. Diese - religiös gesagt – manichäische, oder – politischer gesagt – dialektische Spannung zwischen Licht und Dunkelheit gilt geradezu als ehrwürdige Struktur der Menschheitsmentalität. Aber umgekehrt wird auch ein Schuh daraus. Die alte Gesellschaft war eine Ordnung des Lichtes. Nur Leute, die es sich leisten konnten, der Adel also, machten die Nacht zum Tag, worauf noch der Ausdruck „Festbeleuchtung“ hinweist. Die Straßenbeleuchtung dagegen war eine Verpflichtung der Hausbesitzer, die die Lampen anbringen mussten. Erst mit seinem Erstarken sorgte der Staat für eine – anfangs sehr spärliche - öffentliche Beleuchtung. Damit wird allerdings auch jede Laterne zu einem Wächter des Staates, während außerhalb des spärlichen Lichtscheines das Reich der Dunkelheit, des Verbrechens und vielleicht auch der Freiheit herrscht. Die neue Gesellschaft entsteht geradezu aus der Dunkelheit. Die Zerstörung der Laternen wurde Teil der Revolte gegen die alte Gesellschaft. Und das Zeitwort „laterner“, einen Mann an der Laterne aufhängen, wird dramaturgisches Element des Barrikadenkampfes. Jedenfalls leuchtet ein, dass Überwachung und Beleuchtung Hand in Hand gehen. Und so weiter.

Der Maler De la Tour, zum Beispiel seine „Sainte Madelaine“. Das Licht auf diesen Bildern ist undenkbar ohne die Schatten aus der es der Pinsel heraus schält. Der Feuer- bzw. Kerzenschein formt erst die Dunkelheit. In seinen Anfängen benützte man das Gaslicht zwar in Kontoren, Arbeits- und öffentlichen Räumen, aber das grelle Licht galt als abträglich. Für die Privaträume bevorzugte man lange Zeit die dezentral versorgten Petroleumlampen, die ungleich mehr Aufmerksamkeit und Arbeit benötigten. Mit dem Ende der Gewohnheit, sich um eine Lichtquelle zu sammeln setzt allmählich die Entkörperlichung und Entsinnlichung des Lichtes ein. Der Fortschritt von den Wachskerzen über elektrische Girlanden bis zu den Sternen in der Herrengasse oder den farbigen Projektionen auf dem Rathaus ist nur ein kleiner Teil der Geschichte von der Ausmerzung der Dunkelheit. Vor der Weltausstellung bestand eine Zeitlang der Plan, an Stelle des Eiffelturmes einen riesigen Lichterturm für Bogenlampen zu errichten, mit denen ganz Paris beleuchtet werden sollte. Man verwarf den aus Kostengründen, aber heute ist der Lichterglanz omnipräsent. Was dieser Glanz verbirgt zeigt allerdings ein Blick tagsüber hinauf in den feinstaubtrüben Himmel, unter dem Drahtumrisse von Kometen, Sternen, Glocken, Engeln und Schlitten nebst Rentieren hängen.
Und so weiter.
Bedeutete Licht ursprünglich ausgestellte Verschwendung und inszenierten Prunk, erhellt es nun immer mehr Armut, Leere, Kontrolle. Das Licht dieser artifiziellen Tage ist allerdings ohne Schatten und die Menschen, die gezwungen sind diese öffentlichen, fahlen Räume zu passieren, an verlorene Seelen. Es ist ein uneigentliches Licht, das weniger von Mauern reflektiert, als es selbst zur Architektur ohne Mauern, zum unbewohnbaren Simulacrum wird. Stadtränder und ganze Landregionen verwandeln sich in Zitate eines archetypischen Las Vegas. Man ist versucht einen imaginären Kurzschluss zwischen elektrischem Weihnachtsornament und Ornament der Masse, zwischen Lichterbäumen, deren zweite Bedeutung mit Bombardements verbunden ist, und Lichterorgeln und Lichtdomen herzustellen. Aber auch ohne gleich auf die Endzeitpauke zu hauen, die Astronauten erleben den sonnenhellen Weltraum nur als dunkle Tiefe des Alls. Frohe Weihnachten und so weiter.
WILHELM HENGSTLER ist Filmregisseur und Autor, ausgezeichnet mit dem Manuskriptepreis 2004, lebt in Judendorf/Strassengel bei Graz.

Verfasser/in:
Wilhelm Hengstler
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