14/12/2003
14/12/2003

Kunsthauspudding Foto: (c) Gernot Stangl

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©: Peter Hellweger

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"Zur Eröffnung des Kunsthauses in Graz" - von Peter Hellweger / Teil 2
Welche Ideen zum Kunsthaus sind denkbar?

Bestimmt „Dampferarchitektur“ für Einbauten wie Stiegentürme, Galerien, die Verbinder und die Luftrohre außen. Und in ihnen auch Mendelson: den Kriegsteilnehmer dürften kriegsbedingte Formen, Zeppeline, Kriegsschiffe, Bunker, Leuchtspuren auf Fotos und Film – „eingefrorene Geschwindigkeit“ – inspiriert haben. Seine visionären Architekturen in Skizzen stellen jedoch den Kunstgriff vor, den Widerspruch von Baumassen der Stadt und die Geschwindigkeit, Ausdruck zeitgemäßen modernen Lebens, aufzulösen mittels „Stromlinienform“, das Bild der Stadt in neuen Formen zu denken.
Die neue Stadt bauen – der Wille wuchs im Kriege bedeutend. Der Krieger, womöglich als Sieger, glaubte sich bevorzugt berechtigt. Seine Skizzen haben dieses revolutionäre Pathos und das der Baumoderne (Stützen – Plattenbau, unabhängige Fassade, Elevatoren usw.).

Dazu anzumerken: Diese Architekturen werden immer im „Kommen“ – in Seemannsprache im „Aufkommen“ – dargestellt, niemals im „Gehen“, im „Ablaufen“. Sie zeigen sich als Denkmale der Geschwindigkeit. Sie haben einen Vektor und bevorzugen es, an Grundstücksecken gedacht, Speerspitze der Stadtarchitektur zu sein: die Straßen fluchten ihnen hinterher. Sie werden nicht benötigt.

Die militärischen Vorbilder der Marinebauten reichen bis in unsere Tage. Kann sich die äußere Hülle des Kunsthauses nicht genau so gut am „Aufkommen“, eindringlicher noch am Trockendock der riesigen Atom-U-Boote (z.B. die englische Vanguard–Klasse) messen? Eine hermetische Hülle mit Reisenden, die am Außen nur mehr über physikalische Messungen Interesse haben, nur mehr auf die Jagd, auf Kriegsspiele konzentriert, auf Simulakren (in Analogie zu den Architekturvorstellungen der Ausstellungsmacher in der Kunst): Geschwindigkeitsbesessene.

Da tut es nichts zur Sache, wenn der Vektor gebrochen ist: es ist das Glück des Bleibens, der Gegenpräsenz des alten Eisernen Hauses, der ihn stumpf macht. Denn wäre eine Verallgemeinerung der Kunsthausarchitektur nicht abzulehnen – was berechtigt sie denn zu einer Nicht-Kritik? – Nur eine Begegnung von Gegnern, der Glanz von riesigen, bauchigen Schalen mit dem Grind der anstehenden alten Hausgemäuer hat eine Erregung. Mit Heideggers Diktion ausdenken, ausspinnen möchte man’s: die Gegnung.

Die Erregung ästhetisch: eine der Erhabenheit. Ohne diese Gegnung wäre die Hülle weniger, wäre leichter der Kritik verfallen wegen ihrer Architektur der Geschwindigkeit und wegen der Gefahr ästhetisch zur Banalität der Form zu verflachen. Sie wird abgewehrt durch die verstörenden schrägen, himmelwärts gerichteten Trichter – Spähorgane so gut wie Lichtsaugnäpfe oder Stümpfe ausgeschnittener Tentakel. Es spielt was von Meereslebewesen sich ab.

Ein englischer Architekt natürlich: Geschwindigkeit, Krieg, Meer, Formen des Lebens – sind sie deswegen Lebensform eines Werks? Geht das noch? Aber vielleicht tut er nichts dergleichen. Computerproportionen genügen zur Gestalterarbeitung. Und mit der Eingabe, der Soft-, der Hardware könnte getrickst werden. Konstruktive und destruktive PC–Arbeit. Wir sehen Konstruktive.

Hier ist es wichtig hinzuweisen auf simplifizierende Manipulationen in der Geometrie, die jede Form definierbar macht, das 3–Bein der Baumoderne aufrichtet. Die Geschwindigkeit des PC macht sie beliebig. Geometrie der Netze. Das mit dreieckigen Elementen (trianguliertes Netz) hat statisch den Vorzug, mit viereckigen ist es jeder krummen Fläche anpassbar. Der „autonome“ Architekt könnte das Grundstückspolygon mit einem Kurvenzug durchfahren und andere über den Stapel der Geschoßplatten legen. Der Operator müsste solange probieren bis alle Kurvenzüge ein räumlich gekrümmtes Netz mit großen Maschen ergäben, ein Bezugssystem, das mit 4–eckigen Elementen außen und innen trianguliert werden könnte.
Für die Einbauten ginge es noch schlichter: die Hand malt halt gerne „Eier“ (im Grundriß) passend zum Kurvenzug.

Konstruktive PC-Arbeit heißt: Grundstückspolygon, Kurvenzüge, Vernetzung, Geschossbaumoderne – die einzigen Randbedingungen. Jeder „letzte“ Ausdruck kann gegen einen anderen getauscht werden. Die elektronische, eine Hyper–Motorisierung des Entwerfens. Das ist die schlichte andere Seite. Sie erspart einiges Denken, Denken über Kunst, und ist rascher als sie. Das „Auffüllen“
mit Geist ist die schwierigere „Arbeit“.

Was man nicht schafft, nennt man „Alien“, „Nozzles“, „Bubble“ (oder auch „Lichtsaugnäpfe“). Die Namen, eher magische, stellen einen Umgang her. Leider schließen sie ihn auch ab (man betrachte die Namen als Worte, wie kleine tastende Lebewesen an der Arbeit. Das verhindert blindes Nachsagen und eröffnet Kritik: an ihrer Leistungsfähigkeit, am Werk).

Was wir am Bauwerk sehen sind die hüllende (äußere, innere) und die sie tragende Rohrkonstruktion, an Netze gebunden. Einmal gewählt erweckt seine Strenge kritisches Interesse. Ich zitiere Thomas Mann:

„Wir haben einen Anspruch von Richtigkeit, den das Gebild an den Künstler stellt – ein wenig streng meinst Du?
Erschöpft sich nächstens sein Tun in der Vollstreckung des in den objektiven Bedingungen der Produktion Enthaltenen?
In jedem Takt den einer zu denken wagt präsentiert der Stand der Technik sich ihm als Problem.
Jeden Augenblick verlangt die Technik als ganze von ihm, daß er ihr gerecht werde und die allein richtige Antwort, die sie in jedem Augenblick zuläßt.
Es kommt dahin, daß seine Komposition nichts mehr als solche Antworten sind, nur noch die Auflösung technischer Vexierbilder . . . Kunst wird Kritik . . .
Viel Ungehorsam im strengen Gehorchen, viel Selbständigkeit, viel Mut gehört dazu. Aber die Gefahr des Unschöpferischen . . . ist sie wohl Gefahr nach oder schon fix und fertiges Faktum?“
(aus „Dr. Faustus“, der Teufel spricht zum Musiker)

Rechnen wir die Teufelskritik am Hüllenbau ab:
die „Trichter–Nozzles“ obenauf, die verglaste Galeriebrücke, die Außenhülle einschneidend, verletzend, steuern gegen.
Selbstkritisch zeigt sich der Saalbau im obersten Geschoss. Die das Deckennetz unterbrechenden Lichttrichter und die Anordnung von konzentrischen Kreisen aus Neonröhren – viel Ungehorsam, viel Selbständigkeit. Die Neonringe suggerieren verblüffend Spiralfedern. Dies armselige Vertraute, aus Matratzenkernen und Polsterstühlen, überrascht und macht die architekturstrenge Kammer zugänglich. Nicht die Zerschlissenheit der Decke zählt – es ist das seltsam Fremde des Dings, des anderen Maßstabs, dass ihm Licht entströmt. Dass es beleuchtet, tritt dagegen zurück. Gewonnen! Gewonnen!
In solchem gelingt, was wahrscheinlich die Architekten, die Ausstellungsmacher gar nicht wollten – gegen einen „unerbittlichen Imperativ der Dichtigkeit, der das Überflüssige verpönt, die Phrase negiert, das Ornament zerschlägt . . .“.

Aber: das mittlere Saalgeschoß, das eingeschobene „Kindergrübchen“, ist das Bild der Teufelsdelirien selbst, Ort fern irdischer Lust:
„. . . gegen die zeitliche Ausbreitung des Werks. Werk, Zeit und Schein, sie sind eins – zusammen verfallen sie der Kritik. Sie erträgt Schein und Spiel nicht mehr, die Fiktion der Selbstherrlichkeit der Form, die die Leidenschaften, das Menschenleid zensuriert, in Rollen aufteilt, in Bilder überträgt. Zulässig ist allein noch der nicht fiktive, der nicht verspielte, der unverstellte und unverklärte Ausdruck des Leides in seinem realen Augenblick. Seine Ohnmacht und Not sind so gewachsen, daß kein scheinhaftes Spiel damit mehr erlaubt ist . . .“.

Dem Teufel liegt wenig am Hedonismus, es liegt ihm mehr an Leid und Askese: Arm in Arm – sie herrschen. Ich zähle dazu: „Durchlässigkeit“ des Straßengeschosses; obwohl glaubhafter, dass die große „Bubble“ keine Verbindung mit der Erde haben solle, schwebe (siehe: autonom); Architektur zieht sich nah oben zurück, entschwebt, sie lässt geschehen: Modeschauen, Kulturkaffees – Warum nicht? Was geht das sie an . . .

Keine Farben – nur Unfarben sind möglich. Dunkel muss die Geschwindigkeitskapsel außen, dunkel die Saalgeschosse wegen der Kunstphantasmagorien sein: es darf hier nicht abgelenkt werden von diesen. Dies einst beim Wettbewerb vorgestellte Transparenz war noch nicht als Kontraproduktive erkannt. Ihre „städtebaulich“ begründete Forderung weiß nichts von einem System der Geschwindigkeit von Kunst – Publikum – Präsentation. Zum Himmelsguck und Stadtblick ist der Schloßberg da. Die Kunst(hülle) ist ummauert. Glanz muss außen die Hüllenfläche haben: das minimal machen von ihr fordert das Polieren. Spiegelung, nichts von sich aus zeigen, ist Askese.

Anmerkung zu Kunstphantasmagorien : Ausstellungswesen:

„Heute geht es nicht mehr darum, ob das Kino (Kunstausstellungswesen; Anm. des Verfass.) auf einen Ort verzichten kann, sondern darum, ob die Orte noch aufs Kino (...) verzichten können. Die Stadtplanung kommt ins Schleudern, die Architektur wandelt sich ständig, die Bleibe ist nur mehr die Anamorphose der Schwelle.
Abgesehen von der historischen Nostalgie liegt Rom nicht mehr in Rom und die Architektur nicht mehr in der Architektur, sondern in der Geometrie und im Zeitraum der Vektoren. Die Ästhetik der Gebäude verschwindet in SPECIAL EFFECTS der Kommunikations- und Verkehrsmaschine, in ihren Transport- und Übertragungsapparaten. Die Kunst verschwindet mehr und mehr im grellen Licht des Bildwerfer und Bildschirme. Auf die Architektur als Skulptur folgt die Künstlichkeit der Kinematographie, im eigentlichen wie im übertragenen Sinne: die Architektur ist nun selbst zum Film geworden. Die gewohnte Stadt wird abgelöst von einer ungewöhnlichen Motorik, einem riesigen Vorführraum zur Begeisterung der Massen, wo das Licht der (audiovisuellen und automobilen) Fahrgeschwindigkeit das Sonnenlicht ersetzt. Nicht mehr das Theater (Agora, Forum) ist Stadtkern, sondern das Lichtspiel der Stadtbeleuchtung . . .“.
(zit. aus: „Ästhetik des Verschwindens“, Paul Virilio, Merve Verlag 1986)

Hier ist nichts „reicher“ zu machen. Nicht einmal die Technik. Innen das „povere“ gezeigt, mit Drahtgewebe eingehaust. Touché!

Was will das Spiel mit den Lichtringen unter der gläsernen Haut des dunklen Riesen im „Trockendock“ – als Dekor macht es das Volumen flach; als Bewegung ist es folgerichtig; schöner, geheimnisreicher wär’s wie ein Meeresleuchten anzusehen.

Dem Warmen, Bedrohlichen, Gefährlichen (die vollgefressene schwarze Anaconda des Meeres) die dunkle, schimmernde Glätte zu geben – warum die Angst vor der Dunkelheit der Nacht mit Ringerlmeisterungen entschärfen?

Was soll die Stadt, der Schlossberg antworten? Mit neuen „Schatten”?

Die Beleuchtungskünstler begnügen sich im Haus mit flächendeckendem Raster von Leuchtmitteln. Richtig, Geschwindigkeit ist nur an einem Ein – Aus des Lichts interessiert. Es gibt kein Dazwischen.

Ganz ungeniert treiben´s die Räume hinter der alten Eisengußfassade mit dem Licht: wenn das angeht, wird das reiche historische Stück zur Silhouette degradiert, ein kleines Wirr-Warr von Gestänge innen tut ein übriges: in Richtung Auslöschung.

Die Architektur des Hauses hat einen Willen: den zur Einheitlichkeit. Im Grunde ist es der ihm vorgelagerte zur Askese. Nur eröffnet heute noch jene. Er gehört zu den „Krampfadern“ im Fleisch der Moderne. „Einheitlichkeit“ – darüber war sie niemals eines Sinnes. Warum aber das Bauen?

Darüber wäre zu sprechen: kritisch: anblasen, ausblasen, holzfällen.

P.Hellweger / 8010 Graz / Parkstrasse 17 / 0316/679440
Transkription DM

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