12/09/2012

Vorschau: Am Mittwoch, dem 19.09.2012 erscheint auf GAT der Teil 2  Emil Gruber besuchte die Städte Slovenj Gradec, Velenje und die slovenische Hauptstadt Ljubljana.

12/09/2012

Mittelalterliche Gasse in Ptuj

©: Emil Gruber

Am Ende der Euro Euphorie Geschlossenes Cafe in der Altstadt von Ptuj

©: Emil Gruber

Eines der vielen abbruchreifen Häusern des Altbaubestandes von Ptuj

©: Emil Gruber

Das Kino von Ptuj – Hier möchte ich Cinema Paradiso einmal sehen

©: Emil Gruber

Das Gesicht zur Bankenkrise

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Graffiti in Ptuj neben dem Rathaus

©: Emil Gruber

In der Altstadt von Ptuj: Die Not zur Kunst machen

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Als Ptuj noch Pettau hieß

©: Emil Gruber

Murska Sobota: Der Stern, der meinen Namen trägt oder Giovannino Guareschi auf Slovenisch

©: Emil Gruber

Schleierhaft – Eingewickeltes Geschütz am Kriegsdenkmal von Murska Sobota

©: Emil Gruber

Villa von Architekt Feri Novak, 1932, Murska Sobota

©: Emil Gruber

Serbec Haus von Feri Novak im Urzustand, Murska Sobota

©: Emil Gruber

Serbec Haus heute

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Schule in Murska Sobota von Architekt Feri Novak

©: Emil Gruber

Ein Detail mit zeitgenössischer Improvisation an der Eingangstür zur Schule

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Der Verbindungsabsturz in Murska Sobota

©: Emil Gruber

Aktuelles Graffito an einer Wand in Murska Sobota, das an den Aufstand von 1919 und an die Ausrufung der unabhängigen Murrepublik erinnert. Ein Warnhinweis.

©: Emil Gruber

Ptuj, Murska Sobota, Slovenj Gradec, Velenje, Novo Mesto. Ein Teil des Konzeptes von Maribor im Kulturhauptstadtjahr besteht in der Miteinbeziehung von fünf Partnerstädten im Osten beziehungsweise Südosten Sloweniens. Sichtbarmachung der kulturellen Identität, Start für ein Entwicklungsprogramm des ländlichen Raums, Ankurbelung des Fremdenverkehrs lauten die Überschriften dazu. Örtliche Sehenswürdigkeiten, gemischt mit Schwerpunktprogrammen zu verschiedensten Themen heißen dazu die Attraktoren für sonst kaum von außen wahrgenommene Gegenden des Landes.

Als die Redaktion GAT mich fragte, ob ich eine Rundreise durch diese Orte machen möchte, zögerte ich lange. Unser Nachbar Slowenien steht ganz knapp vor dem Kollaps. Weit über zehn Prozent Arbeitslosigkeit, rund sechs Milliarden von faulen Krediten lauern in den Bilanzen der Banken, allein die größte Bank des Landes, die Nova Ljubljanska Banka, balanciert mit rund eineinhalb Milliarden auf der Rasierklinge des Bankrotts. Korruption und Spekulation haben verbrannte Erde zurückgelassen. Die österreichischen Banken, die seinerzeit mit einem lauten Hurra alles, was sich kaufen ließ oder woran sie sich beteiligen konnten, zusammenrafften, basteln nun plötzlich kleinlaut und verschwiegen an ihrem Ausstieg aus dem Land.
Für Maribor kam das alles zur ungünstigsten Zeit. Das große Spektakel fiel aus. Wie ohnehin hinlänglich bekannt, blieb im Zuge einer drastischen Budgetkürzung vom ursprünglichen Programm und den Bauvorhaben nur ein Torso. Andererseits entstanden aber auch nachdenkliche Ersatzprogramme wie das Urban Gardening, wo die Stadt seinen Bürgern Freiflächen zur kostenlosen Bebauung von Gemüse und Obst zur Verfügung gestellt hat. Das wirkt wie ein Menetekel, wenn auf internationaler Ebene Unilever, einer der größten Lebensmittelproduzenten Europas, bekannt gibt, sich in seiner Produktgestaltung mehr an einer neuen Armut der Konsumenten auszurichten. Es bleibt daher keine echte Zeit für Feiern. Unter der Party wartet der Vulkan. Trotzdem mag ich Slowenien. Die gemeinsame Vergangenheit wirkt in vielen Momentaufnahmen nach. Slowenien ist mehr eine Halbschwester als ein Nachbar Österreichs. Vieles wartet noch, um gemeinsam aufgearbeitet und ins rechte Licht gerückt zu werden. Aber abseits des neoliberalen Unrats duftet das Land.

Verfallstudie – Ptuj


Südöstlich von Maribor liegt Ptuj inmitten einer Weinregion, galt als älteste Stadt der Steiermark und beherbergt die größte Therme Sloweniens. Der zur Römerzeit gegründete Ort war einmal ein Teil der legendären Bernsteinstraße, die sich vom Baltikum bis zum Mittelmeer erstreckte. Die ehemalige Untersteiermark erlebte unter den Habsburgern ihre Blütezeit, aber die Monarchie war auch wieder für den Niedergang verantwortlich, als die Bahntrasse von Wien nach Triest Ptuj aussparte und über Maribor gebaut wurde.
„Ich kriege seit meinem Diplomabschluss vor zwei Jahren keine Arbeit hier“. Der junge Önologe, der derzeit im Touristenbüro zumindest vorübergehend eine karg bezahlte Anstellung gefunden hat, schüttet mir im Gespräch bereits nach ein paar Sätzen sein Herz aus. Es ist ein heißer Tag, die Hitze dringt auch hier herein in den kleinen Raum gegenüber der romanischen St.Georg Kirche, auf der verwitterte Grabtafeln vom Fleiß und Schaffen der Altvorderen erzählen. Draußen labt sich gerade eine Handvoll Touristen im Gastgarten der beiden angrenzenden Cafes. „Slowenien ist das neue Griechenland“, lächelt er bitter, „wenn sich nichts ändert, werde ich zu meinen Verwandten nach Regensburg gehen. Die haben ein Lokal dort, in dem ich arbeiten kann. Aber eigentlich will ich nicht fort von hier.“

Gut die Hälfte aller Geschäftslokale im Zentrum steht leer. Von den Bürgerhäusern im Altstadtkern bröckelt der Verputz, obwohl diese unter Denkmalschutz stehen. Viele der historischen Lagerhäuser hier haben keine Funktion mehr, werden dem Verfall preisgegeben. Metallgitter stehen vor Häusern, deren halb eingefallene Dächer sich schon bedrohlich Richtung Straße neigen. Die Freiluftbühne von den Artstays, die den Sommer über Ausstellungen, Installationen und Performances nach Ptuj brachten, wird demnächst abgebaut. Das Informationsbüro 2012 ist geschlossen. Ab September ist das Kulturhauptstadtjahr für Ptuj gelaufen, erklärt mir der Mann vom Tourismusbüro.
Was auffällt, sind die Graffitis, die sich als Kontrapunkt zu den Römersteinen, den Kunstschätzen im Schloss oberhalb der Stadt oder zur gotischen Schutzmantelmadonna in der naheliegenden Wallfahrtskirche Ptujska Gora immer wieder als aktuelle, politische Stellungnahmen erweisen und von hohem Können zeugen. Ich frage mich, wie der hier geborene Luigi Kasimir wohl heute diese Stadt darstellen würde. 
Ein offizielles Überbleibsel aus dem Kulturhauptstadtjahr, das länger Bestand haben wird, finde ich als ironische Intervention an: Ein kleiner Platz, dessen desolater Asphaltbelag, von unzähligen Rissen durchzogen, in ein buntes, explodierendes Schachbrett umgefärbelt wurde. Und das schönste Bauwerk von Ptuj? Das hat weder mit den Habsburgern noch mit Sozialismus und schon gar nicht mit Moderne zu tun. Das ist das noch immer bespielte 50er-Jahre Kino. 

Auf dem Weg zum Auto, unter anderem in Gedanken bei meinem ersten Moped und Johann Puch, auch einem Sohn dieser Stadt, lese ich nahe dem historischen Rathaus auf einem üppig ornamental geschmückten Bau aus der Gründerzeit – der übrigens zum Verkauf steht – einen Spruch in deutscher Sprache: „Arbeit adelt. Bildung macht frei.“ Schön wär’s, würde das heute noch gelten – auch für den sympathischen Weinakademiker aus dem Tourismusbüro.

Der Architekt und die Enten – Murska Sobota

Mächtig prangt in der Mitte eines kleinen Parks ein Denkmal, errichtet zur Erinnerung an den Widerstand in Slowenien im Zweiten Weltkrieg. Unter einer Stehle mit rotem Stern stehen zwei überlebensgroße Soldaten, flankiert von zwei Geschützen. Pittoresk hat jemand eines der Kanonenrohre mit einem Brautschleier umwickelt. Gegenüber reckt der Kirchturm der Kathedrale vom Heiligen Nikolaus sein Kreuz in den Himmel, die „Duell-am-Bau-Version“ von Don Camillo und Peppone.
Es war nur eine halbe Stunde Fahrt von Ptuj hierher, jetzt öffnet sich weit das Land. Goričko – das Land der Hügel – oder das Übermurgebiet gehört noch zu den Ausläufern der Pannonischen Tiefebene. Murska Sobota lag seit dem Mittelalter auf ungarischem Gebiet. Auch 1918 blieb die Region Prekmurje rund um die Stadt gegen den Willen der Bevölkerung Teil der neugegründeten ungarischen Räterepublik. 1919 riefen Rebellen die Unabhängige Murrepublik aus. Wurde dieser Aufstand auch niedergeschlagen, so war es doch ein Initialfunken, dass kurze Zeit später Prekmurje zumindest dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, dem späteren Jugoslawien angeschlossen wurde. 1941 besetzte Ungarn im Zuge seiner Kollaboration mit dem Dritten Reich bis 1945 wieder das verlorene Gebiet.
Ich parke an der Straße hinter dem Kriegerdenkmal. „Vorsicht!“, informiert mich ein Schild, unter dem die Abbildung einer Ente mit offenem Schnabel hängt. Ob in der, nur knapp zehn Minuten von der österreichischen Grenze entfernten, nordöstlichsten Stadt Sloweniens die Federtiere hier häufig die Straße queren oder aber eher durch zuviel Hitchcock´sche Vögelscharen zu aggressiven Flugungeheuern mutierten, lässt dieses Zeichen offen. Etwas abseits davon findet sich auch der Pfeil zum Informationszentrum 2012. Enten und Kultur - beides liegt in Richtung Renaissanceschloss im mit mächtigen Eichen und Buchen bewachsenen, weitläufigen Friedenspark der Stadt. Um jeder Spannung zuvorzukommen, die Entenpopulation ist hier beeindruckend, aber definitiv nicht angriffslustig, dafür hat das Kulturhauptstadtbüro geschlossen. Genauer gesagt, es ist gar nicht mehr vorhanden.

Als einziges Überbleibsel des Kulturhauptstadtjahres gibt es noch einen Ständer an einer Straßenecke, wo sich auch ein Plan zu neun Gebäuden, alle vom hier geborenen Architekten Feri Novak konzipiert, befindet. Novak, der 1959 recht früh mit dreiundfünfzig Jahren starb, hatte dennoch rund fünfundzwanzig Jahre einen prägenden Einfluss auf die Stadtplanung Murska Sobotas. Er kann durchaus als eine Art Masterplaner bezeichnet werden, der sich neben dem Bau von Privathäusern, Versammlungsstätten, dem Kino oder der Schule generell Gedanken zur Stadtentwicklung machte und auch den Verlauf der Hauptstraße durch den Ort sowie den Hauptplatz plante. Wie oft im seinerzeitigen Jugoslawien üblich, zog sich die Neue Sachlichkeit wie ein roter Faden durch sein Werk. Während sich der Großteil seiner Bauten etwas renovierungsbedürftig, aber in ziemlich ursprünglichem Zustand zeigt, hat Umbauwut sein für mich spannendstes Objekt bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. So ist von der markanten Fassade des Serbec-Hauses, über die sich ursprünglich eine teilweise Überdachung spannte, die an ein Sprungbrett in einem Schwimmbad erinnern ließ, praktisch nur mehr ein Balkon übrig.

Doch wirklich restlos beeindruckt hat mich dann doch etwas anderes. Etwas, das mittlerweile mehr und mehr zum Kanon der Architektur im 21. Jahrhundert zählt: der Sendemast. Hier in Gestalt einer gewaltigen, sich zum Boden hin verjüngenden Betonsäule inmitten zweier Einfamilienhäuser. So ähnlich dürfte es nach den ersten Tests der sowjetischen Sojus-Raketen ausgesehen haben, nachdem ihre Triebwerke zu früh ausgefallen waren.

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