15/11/2022

Schau doch 25!

Durchgang verboten!?
Fall 1: Bischofplatz

Die Kolumne Schau doch! von Peter Laukhardt erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.

15/11/2022

Bild 1: Durchgang Bischofplatz – Mesnergasse – Hans-Sachs-Gasse – Herrengasse

©: Peter Laukhardt

Bild 2: Tor am Bischofplatz

©: Peter Laukhardt

Bild 3: Stockergasse 1 vor dem Abbruch (Zeitungsauschnitt)

©: Peter Laukhardt

Bild 4: Tor in das ehemalige Judenviertel

©: Peter Laukhardt

Bild 5: Mesnergasse 7 und Torbau von Westen

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Das geschlossene Tor von innen

©: Peter Laukhardt

Bild 7: Der Raum hinter dem Chor der Stadtpfarrkirche

©: Peter Laukhardt

Bild 8: Zugang von der Mesnergasse in den Kreuzgang, links Tür zur Kirche

©: Peter Laukhardt

Bild 9: Wegkreuzung: links Zutritt von Mesnergasse, dann Route zur Hans-Sachs-Gasse, in der Mitte Eingang zu den Büros, rechts Türl und Tor in den Brunnenhof

©: Peter Laukhardt

Bild 10: Brunnenhof der Stadtpfarre; links hinten Zugänge zum ehemaligen Kreuzgang, rechts das ehemalige Dominikanerkloster, heute Stadtpfarre

©: Peter Laukhardt

Bild 11: verwaister Gang in Richtung Hans-Sachs-Gasse

©: Peter Laukhardt

Bild 12: Öffnung in der Stadtmauer von der Hans-Sachs-Gasse aus

©: Peter Laukhardt

Die mittelalterliche Struktur der Grazer Altstadt bedingt, dass wichtige Verbindungen zwischen den wenigen Gassen in Gestalt von Durchgängen – auch Passagen genannt – hergestellt werden mussten. Nach einer vorerst groben Schätzung sind es mehr als ein Dutzend. Einige werden alltäglich benutzt, nicht alle sind ständig begehbar, einige harren überhaupt noch der Erschließung. Wir wollen die Altstadt von Süden her aufrollen und wollen daher mit einer Passage beginnen, die seit kurzem – hoffentlich vorübergehend – gesperrt ist, dem Durchgang zum oder vom Bischofplatz.

Nach der bis heute nicht ganz geklärten Auflösung des Judenviertels um 1438/39 wurde auf Anregung des damaligen Deutschen Königs Friedrich IV (ab 1452 Kaiser Friedrich III.) als erster christlicher Bau – wohl symbolträchtig – eine nur dreijochige Corporis-Christi-Kapelle errichtet, die dann ein Vierteljahrhundert nach ihrer Fertigstellung den Dominkanern übergeben wurde. Die Mönche errichteten an der Stadtmauer ihr Kloster und vergrößerten ab 1478 die kleine Kapelle um einen langgestreckten Chorraum zur heutigen Stadtpfarrkirche. 

Diese erste Kapelle stand: in der Judengasse – der heutigen Herrengasse. Dass die Stadt hier nach Süden vorher keinen Ausgang hatte, ist einer der vielen Irrtümer der Stadtgeschichtsforschung. Jüdische Händler haben sich mit Vorliebe an den Stadttoren niedergelassen. Und beim Bau der ersten Grazer Stadtmauer um 1240/50 haben sie mitgewirkt und große Teile der Südflanke der Stadt mit ihrem Viertel wehrhaft gestaltet.

Die östliche Begrenzungsmauer des Judenviertels ist noch heute – leider sehr versteckt – in einem Geschäft in der Hans-Sachs-Gasse zu sehen, ebenso ein altes Haustor, leider schon an der 3. Stelle versetzt. Hier wird Graz im Mittelalter fühlbar, wenn man sich durch die verwinkelten Regalreihen zwängt. 

Vom Bischofplatz aus führt der sicher bekannteste Zugang zu diesem Labyrinth. Ein Tor mit der der Haus-Nummer 121 und darunter der Inschrift 1777 sperrt den Zugang – derzeit hoffentlich nur wegen der Bauarbeiten; die eher kühle Mitteilung hat jedoch bei einigen Bewohnern Zweifel aufkommen lassen.

Das schöne Steintor steht aber nicht an seinem ursprünglichen Platz. Es war früher in der Stockergasse der Eingang in das Haus Nr. 1, das 1944 von Bomben schwer getroffen wurde und viele Jahre als Ruine an den Krieg gemahnte. Als das Haus endlich abgerissen wurde – daneben begann schon der Neubau der Raiffeisenkasse – kam man auf die Idee, das Portal zu erhalten und an den Durchgang zu versetzen. Solche Gedankengänge sind in unserer Zeit, die man einmal die „Plünderzeit“ nennen wird, nicht gefragt; rücksichtslos werden ähnliche steinerne Zeitzeugen zerstört, nicht einmal für gutes Geld kann man sie retten, „keine Zeit“ lautet die Begründung der Abrissfirmen.

Nach dem Tor kommt man durch eine Art Reiche in den umzäunten Hofraum des bischöflichen Palais, umrundet ihn und gelangt zu einem weiteren Tor, das eindeutig von außen erreicht wird (Bild 4 und Bild 5). Wie meine Recherchen schon vor mehr als 20 Jahren ergaben, durchschreitet man hier die Ostmauer des Judenviertels. Nun geht man zwischen den Häusern Mesnergasse 7 und 4 durch und betritt den Raum hinter dem Chor der Stadtpfarrkirche. 

Wenn man sich hier umsieht (Bild 7), kann man sich mit etwas Fantasie vorstellen, dass hier vor 600 Jahren noch die jüdische Bevölkerung von Graz wohnte. Wie noch die Karte des Franziszeischen Katasters von 1829 gut zeigt, sind im ehemaligen Judenviertel westlich der Herrengasse, also in Frauengasse, Fischer-von-Erlach-Gasse und Stubenberggasse, völlig andere, nämlich rechteckige Parzellen-Grundrisse ausgesteckt gewesen, wie sie in der übrigen Stadt nicht zu finden sind.

Der weitere Weg zur Herrengasse durch die Mesnergasse ist relativ gut bekannt. Wenn man sich aber in Richtung Südwesten wendet, erreicht man durch ein kleines Türl (Bild 8) den ehemaligen Kreuzgang des Dominikanerklosters (heute Stadtpfarre), der sich hinter der Abmauerung noch in den Büros fortsetzt.

Hier ist man an einer richtigen Wegkreuzung (Bild 8). Von hier kann man geradeaus durch den Brunnenhof der Stadtpfarre (Bild 9) auch die Herrengasse erreichen. Man kann aber auch rechts direkt in die Kirche gelangen, das Altarbild von Tintoretto bewundern und durch die Corporis-Christi-Kapelle die Herrengasse erreichen. Auch das Taufbecken aus rotem Marmor mit der Inschrift 1442 und eine Reihe interessanter Grabsteine wären einer Besichtigung mehr als wert. 

Noch spannender aber ist die nach links verlaufende Route zur Hans-Sachs-Gasse, die man durch eine schwere Tür mit Gusseisengitter erreicht. Zunächst folgt eine derzeit öde „mall“, die zu Zeiten des berühmten Cafés „Bellevue“, der Kunsthandlung und Buchhandlung Moser noch belebter war.

Zuletzt durchschreitet man eine rundbogige Toröffnung. Hier sollte man kurz Halt machen und sich bewusst werden, dass dieses Tor durch die ehemalige Stadtmauer führt, was die Mauerstärke unterstreicht. Noch ein weiterer kurzer Gang – etwas nach rechts gedreht – und man ist wieder im Freien; dieser Gang überbrückt den seinerzeitigen Innenhof zwischen dem Kloster an der Stadtmauer und den neuen Häusern in der Hans-Sachs-Gasse, die erst gebaut werden konnten, als eine neue Stadtmauer weiter nach vorn gerückt war.

Jedenfalls ist dieser Durchgang zum bzw. vom Bischofplatz eine ganz besondere Möglichkeit, sich in die älteste, mittelalterliche Geschichte der Stadt Graz zu versenken. Wenn die Passage nach den Bauarbeiten wieder geöffnet wird – und das wollen wir alle doch hoffen – dann sollte man die Gelegenheit bald nutzen!

  

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