18/10/2022

Schau doch! 24

Das Sigmund-Stadtl des Barons Schwitzen

Die Kolumne Schau doch! von Peter Laukhardt erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.

18/10/2022

Bild 1: Karte des FK 1829 mit aktuellem Straßennetz

Bild 2: Freigarten bei der Eggenberger Mühle mit Sigmund Stadtl und Mühlgasse 1788 (de la Porté)

Bild 3: Die Mühlgasse auf dem Lendplatz-Plan von 1748 (schematisch)

Bild 4: Schutz-Kataster Lend, Ausschnitt Mühlgasse und Sigmundstadl, (www.grazerbe.at)

Bild 5: Sigmundstadl 1, ehem. Freihaus

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Sigmundstadl 4 und 6, beide unter Denkmalschutz

©: Peter Laukhardt

Bild 7: Portal von Sigmundstadl 4, dat. 1791

©: Peter Laukhardt

Bild 8: Gründerzeitbauten Sigmundstadl 10/12, 14/16, 18

©: Peter Laukhardt

Bild 9: Sigmundstadl 16, Portal

©: Peter Laukhardt

Bild 10: ehemalige Altbauten auf Nr. 9 und 13

©: Peter Laukhardt

Bild 11: Ehem. Gasthaus „Zum Apfel“

Bild 12: Sigmundstadl 34 mit Baum und Platzl

©: Peter Laukhardt

Bild 13: Mühlgasse 20

©: Peter Laukhardt

Bild 14: Mühlgasse 22, ehem. Knopfmacher-Haus

©: Peter Laukhardt

Bild 15: Mühlgasse 23

©: Peter Laukhardt

Bild 16: Mühlgasse 38, ehem. Tuchmacher-Haus

©: Peter Laukhardt

Kürzlich hat Elisabeth Lechner hier die verworrene, ja eigentlich „verhaute“ Situation der Einmündung der schmalen Gasse in die Keplerstraße kritisiert, durch welche die Gestaltung einer verkehrsberuhigten, begrünten Begegnungsfläche unmöglich gemacht wurde; obwohl schon ein Antrag auf Erklärung zur Wohnstraße eingebracht wurde, dient die Gasse vielen Autofahrern als „Schleichweg“ zur Umgehung des Lendplatzes. 

Ich möchte jetzt auf die ziemlich beispiellose historische Bedeutung dieser versteckten Gasse eingehen. Ein Spaziergang entlang der heute sehr inhomogenen Baustruktur bietet ein bauhistorisch-kunstgeschichtliches Erlebnis und zeigt die Veränderung urbaner Gefüge in geballter Form auf.

An der nordöstlichen Ecke des Volksgartens begegnen sich mehrere alte Gassen, was ein pittoreskes Bild ergibt, das kaum noch sonst wo zu finden ist. Den Lendplatz begleitet westlich die Josefigasse – sie war Teil der ältesten Nord-Süd-Verkehrsachse der Murvorstadt, bevor das Gelände des Lendplatzes Mitte des 17. Jhs überschwemmungsfrei wurde. Diese schmale Gasse (sie heißt 1829 nach einer vor der Nr. 47 aufgestellten Statue noch Johannesgasse) wird von der Mühlgasse gequert, die heute noch als enges Gässchen am Lendplatz beginnt und vor vielen Jahren noch über ein kleines Brückerl das Feuerbachl überquerte. Von der Mühlgasse zweigt nach Norden in einem Knick der Sigmundstadl ab. Der jüngste Verkehrsweg, die Volksgartenstraße, durchschneidet diesen Knoten. 

Bild 1 zeigt die Situation anhand der Riedkarte des Franziszeischen Katasters von 1829. Weiß eingezeichnet sind die späteren Durchbrüche für neue Verkehrswege: im Norden die Keplerstraße (nach 1870), im Süden die Volksgartenstraße (nach 1875); auch der Lauf des Mühlgangs wurde später mittig durch den Volksgarten geführt (blau skizziert).

Ein Siedlungsgebiet „im Sack“

Auf der Riedkarte von 1829 sind am Sigmundstadl und in der Mühlgasse rund 40 gemauerte und 10 hölzerne Gebäude zu erkennen. Ihr Ursprung geht auf Sigmund Freiherr von Schwizen (oder Schwitzen) zurück, der diese Keuschler-Siedlung nach 1770 anlegte.

Wie wir aus Pircheggers Häuserbuch erfahren, gehörte die Gasse ursprünglich zu einem großen Freigarten, der sich sackartig in einem vom Mühlgang ursprünglich umflossenen Gelände ausdehnte (Bild 2). Wie ältere Pläne beweisen, so der Claus-Plan von 1710, führte die Mühlgasse schon früh vom Lendplatz bis zur „Eggenberger“ Mühle, späteren Rusterholzer und zuletzt Marienmühle; 1829 hieß der Besitzer Joseph Gundhold. 

Bild 3 zeigt die Gasse 1754, damals hieß sie noch „Kreuzgasse“, wohl weil sie von der „oberen Eggenberger Mühle" den Mühlgang entlang zur Pestsäule am Lendplatz führte. Sie war von kleinen Handwerkern bewohnt, die 16 Häuser rechts unterstanden der Herrschaft Waldegg (Freiherr von Schwizen), die links gehörten nur teils zu Waldegg. 

Der Freigarten („Haus u. Garten bei der Eggenberger Mühle“) gehörte 1662 dem landschaftlichen Sekretär Wolfgang Andreas von Kaltenhausen, 1677 dem Wucherer zu Pößnitzhofen/Pesniški Dvor (nördlich Marburg) und ging 1697 mit dieser Herrschaft an die Freiherrn von Lang und vor 1698 an den Freiherrn von Jabornegg über. Im Jahr 1708/9 zählte der Besitz erst 12 „behauste Inwohner“. 

1753 kaufte Sigmund Freiherr von Schwizen (sen.) „den zum Gut Pößnitzhofen fassionierten auf der oberen Lend liegenden Freihof und Garten mit Haus und Keuschlern“ und vereinigte ihn mit seiner Herrschaft Waldegg (Schloss in Glatzau, südlich von Kirchbach). Die Familie der Schwizen stammte aus Laibach, wo Ferdinand II. dem Johann Schwiz ein Wappen verliehen hatte, und war später nach Graz übersiedelt. Sie besaß u.a. zeitweilig auch den Orthof in der Grabenstraße 39. Sigmund von Schwizen war mit Karoline (frankophil: Charlotte), geb. Freiin von Wittorf, verheiratet, nach deren ehemaligem Grundbesitz die steile Gasse zum Rosenberg als Charlottendorfgasse benannt ist. Sigmunds gleichnamiger Sohn (1747-1834) wirkte zunächst auf Waldegg als ausgezeichneter Landwirt. Den Grazer Garten teilte er ganz auf und errichtete ab 1770 eine Reihe von "Keuschen" – man  spricht von insgesamt 44 – in der Mühlgasse und am Sigmundstadl. 1787 trat er in den Staatsdienst ein und stieg dort sogar zum Staatsgüter-Administrator von ganz Innerösterreich auf. 

Der von ihm geschaffene Stadtteil war allerdings nicht nobel, sondern ziemlich berüchtigt: „Am Schwizischen Grund, wo die meiste Armut wohnt und verdirbt“, klagte 1808 der Stadtphysikus Benditsch. Noch 1827 bestand ein Viertel der Häuschen aus Holz. In der ursprünglich am Mühlgang mit einer Umkehrfläche endenden Sackgasse war man nicht sicher. Erst die Durchschneidung durch die neu angelegte Keplerstraße änderte das alte Bild hundert Jahre später wesentlich – im Stumpf beim Mühlgange blieben aber noch lange drei Häuschen als Sidmundstadl stehen. 

Altstadtschutz in der Vorstadt: auf schwachen Füßen

Die Schutzzone Lend hat leider weder Sigmundstadl noch Mühlgasse erfasst. Durch Bescheide des Bundesdenkmalamts geschützt sind nur die Bauten Sigmundstadl 4 (1829 Haus eines Tuchmachers) und 6, sowie Mühlgasse 43 (Mühlschlössl). Unser Antrag auf Unterschutzstellung von Sigmundstadl 1 ist bisher ebensowenig erfüllt worden wie der für Josefigasse 47, wo ein historischer Gülthof aus dem späten 17. Jahrhundert (!) vermutlich seinem baldigen Ende entgegensieht. Ich kann nicht darauf verzichten, auch an dieser Stelle wieder einmal darauf hinzuweisen, dass die Steiermärkische Landesregierung leider noch immer nicht willens ist, durch entsprechende Adaptionen in Raumordnung oder Baurecht „charakteristischen“ Altbauten Schutz vor dem Abriss zu gewähren.

Im gegenwärtigen Zustand sind es noch 8 Objekte, die im „Schutz-Kataster Lend“ von SOKO Altstadt noch als bestehend geführt werden; (noch) nicht aufgenommen sind darin die sechs Gründerzeit-Bauten: rechts 10-12, 14-16, 18, links 15-17, 19, 33. Vier Objekte mussten seit 2010 Neubauten weichen (11, 13, 34, 35, 37).

Lokalaugenschein

Wir beginnen unseren Spaziergang an dem neuerdings schön begrünten kleinen Platz am Beginn des Sigmundstadls – vor dem „Volksgartencafé“. Diesen wichtigen urbanen Platz hatte früher eine Tankstelle besetzt. Die das Areal umgebenden Gebäude führen uns direkt in die Geschichte des 17. bist 21. Jahrhunderts (zurück). Mit Hilfe der Österr. Kunsttopographie von 1984 werden wir die Bauten zu beschreiben versuchen.

Sigmundstadl 1 (auch Mühlgasse 14) war einst ein Freihof und wurde dann zum Herrenhaus der Schwizen.

Die Österr. Kunsttopographie von 1984 schreibt dazu: Laut Baudatierung am südlichen Giebelfeld 1668 errichtetes zweigeschossiges, breit gelagertes, sechsachsiges Gebäude mit dreiachsigen Giebelfronten (die südliche mit Fußwalm). In der 1. Hälfte des 19. Jh. wurde der Westfront ein dreigeschosssiger Stiegenhaustrakt angefügt. Aus dem 2. Viertel des 19. Jh. stammt das mit rechteckigen Pilastern gerahmte Einfahrtstor aus Stein mit erneuerten Torflügeln. Das Kordongesims ist durchgehend profiliert, die Obergeschoßfenster haben gerade profilierte Verdachungen und Sohlbänke des 17. Jh. Breit profiliert ist das Kranz-Gesims, vier Dachhäuschen und drei Schleppgaupen prägen das Bild. Die breite, kreuzgratgewölbte Einfahrt stammt noch aus dem 17. Jh. Im nördlichen Stiegenhausanbau führen zweiläufige Stiegen um einen gemauerten Kern, platzlgewölbte Podeste und der flachgedeckte Flur sind noch zu erwähnen. Aber dennoch: kein Denkmalschutz!?

Die Altbauten Sigmundstadl 4 und 6 stehen zueinander im rechten Winkel und verdeutlichen, wie sich hier nach 1770 die neue Gasse hineinzwängen musste. Nr. 4 ist ein zweigeschossiges, traufseitig an der Straße stehendes Gebäude des späten 18. Jh. mit siebenachsiger klassizistischer Plattenstilfassade (erhalten an der rechten Haushälfte). Die Fenster sind von Putzfaschen gerahmt, das Erdgeschoß ist mit sog. Schabrackensturzfeldern, das Obergeschoß ist mit rechteckigen Parapetten geziert, das breite Kranzgesims profiliert. In der Mittelachse befindet sich ein steingerahmtes Rundbogenportal, am Keilstein bezeichnet mit 1036 (1636?) und den Initialen des Erbauers I. W. (1829 hieß der Besitzer Anton Wissmann). Darüber im Obergeschoß eine rechteckige Tür mit stuckiertem Sturzfeld und Mittelrosette, datiert mit links 17, rechts 91, darunter je zwei Guttae („Tropfen“).  An der linken Haushälfte ein Laufgang unter dem stark vorkragenden Dach mit sieben Dachhäuschen.

Nr. 6 ist ein zweigeschossiges breitgelagertes Schopfwalmgiebelhaus des späten 18. Jh. mit fünfachsiger traufseitiger Eingangsfront, in der Mittelachse rechteckige einflügelige Holztür mit Rhombendekor aus der Bauzeit. Der Dachausbau erfolgte durch drei schleppgaupenartige Dachhäuschen. 1829 hieß der Besitzer Alois Hochenegger, er war „Paraplue-Macher“, also Regenschirmmacher.

Am Beginn der schnurgerade angelegten Gasse wurden nach 1911 die älteren Bauten durch einige sehenswerte Gründerzeit-Miethäuser mit sezessionistischen geometrischem Dekor ersetzt (Bild 8 und 9); die dann weiter auf der rechten und auch der linken Straßenseite folgenden Neubauten verdienen keine weitere Beachtung, abgesehen davon, dass die Neubauten 22, 24, 26 das schlechte Beispiel von Nr. 18 aufgenommen und weit in den Innenhof reichende Quertrakte realisiert haben. Auf den Schutz der Innenhöfe, wie ihn das Stadtentwicklungskonzept vorschreibt, wurde hier wohl vergessen, ebenso auf die Beschattung der übrigen Wohnungen. Der kürzlich von der Stadtplanung wieder zurückgezogene Bebauungsplan 03.25.0 für die Zinzendorfgasse hat dieses Muster wohl aufnehmen wollen.

Auf der linken Seite des Sigmundstadl waren noch vor einigen Jahren zwei Häuschen erhalten, die für die ursprüngliche Bebauung typisch waren: Nr. 9 und Nr. 13 (Bild 10). Nun ist der Charakter der alten Gasse an keiner Stelle mehr erhalten!

Meine letzte Hoffnung war noch vor einigen Jahren, das ehemalig Gasthaus „Zum Apfel“, Sigmundstadl 34, könnte erhalten bleiben und an der Einmündung in die Keplerstraße weiter an die geschichtsträchtige Gasse erinnern. Auch dieses einstöckige Vorstadt-Gasthaus stammte aus der 2. Hälfte des 18. Jh., und war mit Walmgiebel und drei Schleppgaupen geziert. Ein kleines Platzl mit dem alten Baum hätte hier zum Rasten in der hektischen Keplerstraße einladen können. Aber die Investoren hatten anderes im Sinn, der karge Raum wurde bis zum letzten Dichte-Zentimeter ausgereizt, eine Art „Ohrwaschl“ belauscht jetzt die Sinfonie der Keplerstraße…. 

Wie wir gesehen haben, teilt die Mühlgasse das Schicksal des Sigmundstadls, ihre letzten Altbauten sehen wohl auch schutzlos ihrem Untergang entgegen. Auch wenn ihre Bedeutung weniger in ihrer baukünstlerischen Qualität liegt, sollen sie hier noch einmal gewürdigt werden. Es sind dies die Häuschen Nr. 20 und 38 aus der Schwizen-Ära, während die stattlichen Bauten auf Nr. 22 und 23 wohl noch älter sind. 

Die von der Stadtplanung schon vor Jahren zugestandene maximale Dichte von 2,0 könnte aus der ehemaligen Keuschengegend mit ihren vielen Handwerkerbetrieben sicher im Nu ein schmuckes Klein-Manhattan zaubern. Das soziale Grün darf dann der Volksgarten liefern.

Astrid Kohlfürst

Wenige Grazer bezeichnen die Gegend rund um das Sigmundstadl als "schön", die Häuser schauen ja auch ärmlich aus, und doch sind sie Zeugen des alten Graz, wie es einmal war. Deshalb auch schützenswert, da diese ja auch fast noch in der Innenstadt liegen, wo so Vieles verschwunden ist. Auch weiter südlich, hinunter zum Südtiroler Platz, gibt es noch ein ähnliches Ensemble, möge all dies erhalten bleiben!
Ich höre in Gedanken schon den Lärm der Abrissbirne, aber auch eine "Verschönerung" oder "Behübschung" braucht es nicht!

Mi. 19/10/2022 12:41 Permalink
"Janos" Johann Eder

Dem wirklich unermüdlichen Peter Laukhardt ist wohl der ganz besondere Ehrentitel
zu verleihen: "Grazer Altstadtgewissen".
Herr Prof. Kubinzky als "Altstadtwissen" und Herr Peter Laukhardt als "Altstadtgewissen" sind zusammen eine ungemeine Bereicherung für
die Landeshauptstadt Graz. Aufrichtiger Dank dafür!!

Do. 20/10/2022 20:26 Permalink
Dr. Harald Vetter

Herzlichen Dank für diesen wieder einmal hervorragend verfassten und gestalteten Beitrag! Leider geht das "alte" Graz allmählich zugrunde. Was der Bombenkrieg nicht geschafft hat (erinnere mich noch als Schulbub an die vielen Ruinen in diesem ganzen Viertel!), das wird jetzt von Spekulanten, "Planern" bzw. Abrissfirmen besorgt. Umso wichtiger ist es, ein neues Bewusstsein für Geschichtlichkeit, Ästhetik und letztlich vor allem Bauqualität aufrecht zu erhalten!

Do. 20/10/2022 15:54 Permalink
Anonymous

Wieder ein hervorragender Beitrag und akribisch recherchiert. Danke vielmals. Ich bin stolz, in dieser Stadt, die so viele Besonderheiten hat, leben zu dürfen.

Di. 18/10/2022 15:36 Permalink
Netzwerktreffen
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