09/11/2011
09/11/2011

R.E.P (Revolutionary Experimental Space): Patriotism, 2011 (Grazer Version), Klebeband (Foto: wm)

Ungarn: Jobbik Partei Anhänger (die paramilitärische Magyar Gárda / Ungarische Garde), 2010, ein Beispiel dafür, wie eine nationalistische Politik ihren eigenen Folklorismus produziert - in Form einer eigenen Tracht. Die Analyse der einzelnen Elemente der Tracht zeigt, dass diese völlig divergente kulturelle Einflüsse adaptiert. (© Grazer Kunstverein)

Christian Philipp Müller: Burning Love (Lodenfüßler), 2010, Filmstill (Foto: wm)

Nicht eigentlich Volkskultur ist Thema der von Søren Grammel kuratierten Schau „Public Folklore“ im Grazer Kunstverein. Es geht um die in der Öffentlichkeit zunehmende Volkstümelei, deren großteils naive Aufnahme und deren absehbar gefährliche Tendenzen.

Von einer geglückten „Symbiose aus Laptop und Lederhose“ sprach der CSU-Politiker und vormalige deutsche Bundespräsident Roman Herzog schon auf der Münchener CeBit 1999. In Bayern, hielt er fest, seien wahrscheinlich „Tradition und Modernität sichtbarer als in anderen Regionen Deutschlands vereint.“ Diese „Symbiose zwischen heimatlichem Verwurzeltsein und weltoffener Aufgeschlossenheit“ aber sei „in Wirklichkeit … überall in Deutschland anzutreffen. Unsere Kraftquelle ist die Region.“ In solch tautologischer Darstellung insinuiert dieser Slogan immerhin, gerade weil man sich trachtig uniformiert und damit seine Verbundenheit mit dem Land zeigt, wäre die Aufgeschlossenheit darüber hinaus erst glaubhaft gemacht. Edmund Stoiber übernahm schließlich den Spruch „Laptop und Lederhose“ quasi als Motto für die CSU. Inzwischen wird er in Adaption ( … und iPod etc.) auch von Modelabels gebraucht und es fällt auf, dass allenthalben auf Tracht basierende Kleidung angeboten, gekauft und getragen wird. Beworben und befördert wird die nun in der „Mode“ auftretende (Ver-)Kleidung gleichermaßen von Zieh-Harmonisten, die versuchen, ihre Stad’lmusi als Rockmusik zu verkaufen – und die Masse jubelt.

In der von Søren Grammel erstellten Schau für den Grazer Kunstverein wird dieses Phänomen gleich eingangs in einer Video-Bildstrecke von der Ethnologin Andrea Praßl zur Ansicht gebracht. Da sitzen die Chefs der rechten Parteien im Trachtenjanker im österreichischen Parlament, deutlich sichtbar dazu die Accessoires von Rolex und buddhistischen Armbändern. Umgeben von Dirndln im Dirndl steirert der Grazer Bürgermeister zünftig auf und schlägt Fässer an. Die frohgemute Menschenmenge dagegen nimmt offensichtlich vorlieb mit den für sie erschwinglichen pseudoländlichen Shopvarianten der Tracht und fühlt sich unter ihresgleichen. Dass inmitten der Masse, und unterhalb des Lederhosenendes, vermehrt die weißen Stutzen der Rechtsrechten reüssieren, wird im heimatlichen Wohlbefinden nur von wenigen wahrgenommen. Die in Gruppen auftretenden Stutzenträger pöbeln auch wieder – wie ich es selbst in letzter Zeit mehrfach erlebt habe – und bestätigen einander lachend, wenn sie vor allem dunkelhaarigen Frauen im Vorübergehen „türkischblond“ attestieren.
Was geht in Gesellschaften vor, könnte eine Fragestellung sein, die angesichts nicht nur der gezeigten Beispiele aus „Public Folklore“ doch entstehen sollte, wenn Wirtschafter und Politiker auf internationale Vernetzung und Akzeptanz pochen und zugleich Tradition und Identität als äußerliche Konstruktion erscheinen lassen?

Künstlerische und dokumentarische Beispiele für Zusammenhänge zwischen politischer, kommerzieller – also auch touristischer – Inszenierung werden in der Ausstellung vor Augen geführt. Dabei kommt es durchaus zur Gegenüberstellung von besagtem Folklorismus und (echten) historischen Exponaten wie in einer mit Beständen des Landesmuseums ausgestatten Vitrine mit „Wummhaube“, „Wummkittel“ und einer Männerhose aus starkem Loden, mit denen man sich vor Zeiten tatsächlich gegen Kälte schützte. „Wer kann sich’s leisten“ ist der vielsagende Arbeitstitel. Die Verklärung ländlicher Geschichte hätte in diesem Umfeld ohne weiteres auch über Szenen aus österreichischen Heimatfilmen der 1950er Jahre verdeutlicht werden können. Martin Krenn aber legt sein Video „Ein Dorf aus Österreich“ (2011) so an, dass er Aufnahmen aus dem Freilichtmuseum Stübing und Interviews mit dessen Leiter mit Passagen aus Hans Leberts Anti-Heimatroman „Die Wolfshaut“ durchsetzt. Wirklich merkwürdiges Unbehagen bereitet „Airways“ (2008). Joanna Rajkowas Zweikanal-Videoinstallation zeigt in der einen Projektion den Flug einer alten Soviet-Maschine nach Budapest. Dazu hat Rajkowa Passagiere aus Syrien, der Mongolei, Nigeria, Bulgarien, Russland, Serbien, Großbritannien, China und Ungarn eingeladen; das sind ein Obdachloser, ein Homosexueller, zwei Roma, ein Jude und eine Lesbin, außerdem vier Mitglieder ungarischer rechtsradikaler Organisationen, der Magyar Gárda und der Goy Motoroszok. Der Raum ist eng, der Flug unruhig, die Passagiere kommen gerade so irgendwie miteinander aus. Parallel dazu läuft ein Video einer Angelobungszeremonie neuer Mitglieder der Magyar Garda vom 21. Oktober 2007; gefährliche Hampelmänner und -frauen in Uniformen mit Anklang zu historischen Kostümen – ein deutlich faschistischer Aufmarsch.
„… wir gehen eher vom Praktischen aus …“ ist in einer Audioaufnahme zu hören, die ebenfalls von Christian Philipp Müller stammt. Er und der Soziologe Günther Marchner haben mit dem Bad Ausseer Schneider Christian Reich ein Interview zum Thema Lodenbekleidung geführt. Und in Müllers Video „Burning Love“ ist der Lodenfüßler zu sehen, 20 Personen in einem riesigen Lodenumhang, die während der regionale10 quer durch die Obersteiermark nach Schloss Trautenfels wanderten.

Am 15. November um 19.00 Uhr hält Ulrich Becker (Chefkurator der Alten Galerie) im Grazer Kunstverein einen Vortrag unter dem Titel „Ach das Nationale ist immer so schön. Zur Erfindung der Nation“.
Kurzfilme zum Thema präsentiert Søren Grammel am 22. November um 18.00 Uhr im KIZ RoyalKino, C. v. Hötzendorfstraße 10, Graz.

„Public Folklore“ ist bis zum 7. Dezember 2011 im Grazer Kunstverein, Palais Trauttmansdorff, zu sehen.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Empfehlung
Tschavgova

Ein Danke für diese Empfehlung, die mir aus der Seele spricht. Die nicht nur inhaltlich interessante, sondern auch kulinarisch gemachte Ausstellung von Sören Grammel zeigt für mich auch erschreckend deutlich und entlarvend eines: dass mit den Politikern von Land und Stadt jedweder Couleurs hierzulande „kein Staat zu machen“ ist, solange die Politik geprägt ist von Provinzialität und solange Politiker glauben, sich an Volkes Brauch anbiedern zu müssen. Mit dem grünen Steirerherz verzerren sich Schützis und Voves Gesichter ungewollt zu Grimassen und wird der sich aufs Hutschpferd schwingende Nagl zur Schießbudenfigur. Was für eine Reputation für das Land! Dazu gleich eine meiner Lieblingsfragen: wann wird man endlich verstehen, dass es nicht möglich und statthaft ist, die Steiermark als Hochburg für Baukultur/-qualität (und Hochtechnologieland) zu verkaufen und zugleich jährlich am Wiener Rathausplatz ein Spektakel zu veranstalten, das die Steiermark mit Steirerdorf-Idylle in unbeschreibbar hässlichen Buden und verflachter, billiger Folklore präsentiert? Was für ein Steiermark-Bild!

Mi. 09/11/2011 9:33 Permalink
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