16/02/2016

Privatissimum vom Grilj

Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person
Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

16/02/2016
©: Mathias Grilj

Es gibt unendlich viel
Hoffnung, aber nicht für uns.
Franz Kafka

Vollendung ist furchtbar,
sie kann keine Kinder haben.
Sylvia Plath

Es war so einfach wie der Tod,
aber es hielt länger an.
James Salter

ÜBER DIE HÄUSER

Ein junger Mann verspricht der Mutter am Sterbebett, dass er ein eigenes Haus bauen werde. So ein Versprechen ist heilig. Für die Sterbende, vom Leben stets herumgestoßen und geprügelt, war ein eigenes Haus die Erfüllung aller Sehnsüchte. Sie hatte sich und ihrer fünfköpfigen Familie das Geld dafür tatsächlich vom Mund abgespart. Es war erhungert. Als es für ein Haus fast gereicht hätte, kam die Inflation, und vom grausam Ersparten konnte man ein Paar Schuhe kaufen. Die kriegt der Sohn, als er ins Internat der Jesuiten kommt. Dann zieht der Krieg über das Land, und die Familie in ein Arbeitslager. Sie wird überleben.

Der Sohn studiert, bezieht einen angesehenen Posten, heiratet, wird Vater zweier Kinder. In ihm wirkt beharrlich das Gelübde. Er arbeitet wie ein Vieh, wie zuvor seine Mutter, er spart eisern, in seinem Haushalt muss aber niemand hungern. Bald legt er los, in schöner und sonniger Lage, an einem Hang über der Stadt. Dann reihen sich Episoden der Schinderei und der Erschöpfung aneinander. Morgens um sechs ist man mit dem Fuhrwerk bei der Ziegelfabrik. Seine Frau wird sagen: „Wir haben mit bloßen Händen die noch heißen Ziegel aufgeladen.“ Jeder muss anpacken, auch der alte Vater, ein pensionierter Beamter, steht gebeugt an der Kalkgrube, auch der nun fünfjährige Sohn, brauchbar für Handlangerdienste, flitzt an der Baustelle herum, unentwegt zur Eile angetrieben. Der Grundsatz „untra posse nemo obligatur“ – über seine Möglichkeit hinaus wird niemand verpflichtet – ist außer Kraft gesetzt. Das Haus wächst, nicht schnell, aber beharrlich, zweigeschoßig, mit Balkon und Garage, und verglichen mit Wohnungen, in denen der Mann zuvor gelebt hatte, ein Palast.

Als der Palast fertig ist, ist es die Ehe auch. Alle Kraft und Liebe und Achtsamkeit, die aufgebracht werden können, waren verbaut worden. Die Frau bestellt ein Fuhrwerk und sagt: „Du behältst das Haus, ich nehme die Kinder.“ Der Mann ist – in schöner und sonniger Lage, an einem Hang über der Stadt und zwischen Apfelbäumen – allein. Was ihm an Gutem bleibt: Er hat das am Sterbebett gegebene Versprechen nicht gebrochen. Seine Mutter blickt wohl aus dem Himmel, an den er schon lange nicht mehr glaubt, mit Stolz auf den Sohn. Im Kinderzimmer steht er vor einer kleinen Zeichnung, die sein Bub mit Bleistift an die Wand gekratzelt hat: man sieht ein hübsches Haus, zweigeschoßig, mit Balkon und Garage, und aus dem etwas schiefen Kamin kräuselt sich fröhlich der Rauch. Damals hat er das Kind für diese Kritzelei geohrfeigt. Jetzt weint er, macht die nächste Flasche auf und wirft sie nachher an die Wand. Alles wird Symbol.

Die Frau zieht in ein anderes Land. Die Kinder werden größer, studieren und bewähren sich auf ihre Weise. Der Sohn wird heiraten und Vater werden. Schon vor der Hochzeit sagt er seiner schönen Braut: „Eines darfst du nicht von mir erwarten. Dass ich uns ein Haus baue.“

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