29/09/2014

gat.st veröffentlicht in der Serie young theory  Diplomarbeiten und Dissertationen, die im Zusammenhang mit Architektur, Städtebau und Umwelt stehen.

Peter Hellweger. Leben und Werke eines Architekten der Grazer Schule geprägt durch den Dualismus von Perfektion und Imperfektion von Marlene Bartelme ist 2014 als Diplomarbeit an der TU Graz entstanden. Die Arbeit wurde von Anselm Wagner, Vorstand des Instituts für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften betreut.

Die Arbeit liegt in der Bibliothek der TU Graz auf.

29/09/2014

Fahrradüberdachung, TU Graz, Fertigstellung 1988, Foto 2013

©: Marlene Bartelme

Haus Meindl München, Fertigstellung 1986. Gartenansicht, Foto: Peter Hellweger, Archiv der TU Graz

Maschinenhaus Kraftwerk Unzmarkt/Frauenburg, Fertigstellung 1989, Foto 2013

©: Marlene Bartelme

Kapelle im Ortszentrum Kaindorf an der Sulm, Originalzeichnung von Peter Hellweger, Archiv der TU Graz

©: Peter Hellweger

Entwurf für eine Gedenkstätte in Lassing, Originalzeichnung Peter Hellweger, Archiv der TU Graz.

©: Peter Hellweger

Entwurf eines Kraftwerks in Leoben. Originalzeichnung Peter Hellweger, Archiv der TU Graz.

©: Peter Hellweger

„Ich bevorzuge ja den Imperfektionismus und habe was gegen die allgegenwärtige Betulichkeit in Blech, Glas und Metallprofilen, die sich allenfalls einen Sichtbeton als Zubrot gestattet. Die Glasbox, die völlig flachgemachte Fassade, das ängstliche Vermeiden von Tiefenwirkung, die Unkenntnis in kleinen, ästhetischen Details [...], die aber die schwere, große, plumpe, die hingeschlachtete […] Masse gliedern.“ – Peter Hellweger, Brief an einen Freund, April 2005

Dieser Imperfektionismus ist ein maßgeblicher Bestandteil des Lebens und auch der Arbeit von Peter Hellweger. Er preist den Individualismus und die Einzigartigkeit an und stellt das Streben nach Perfektion und Vollkommenheit in Frage. In diesem Zitat schreibt Hellweger über Architektur, doch auch auf sein privates Leben und die Person hinter der gebauten Welt trifft es weitestgehend zu. Es stellt sich die Frage, ob es nur die späte Einsicht war, zu der er rückblickend auf das an tragischen Momenten nicht arme Leben kam, oder ob es vielleicht doch sein Leitmotiv durch viele Jahre war. Gibt es wirklich diesen einen roten Faden, der sich durch die Projekte von Peter Hellweger zieht, und wie unterschied er sich im Hinblick auf seine Generation an Architekten, die heute allgemein als Mitglieder der Grazer Schule bezeichnet werden? Konrad Frey schreibt etwa im Buch Was bleibt von der „Grazer Schule“? – Architektur Utopien seit den 1960ern revisited (2012): „Einen eigenen Weg ist dann auch Peter Hellweger (schon mitwirkender Student in der ‚Gründerzeit‘) gegangen, der die technoide Ideologie als zu eng empfunden und einen weiter reichenden, zeitunabhängigen Horizont gesucht hat.“

Diesen eigenen Weg gilt es in der Arbeit noch einmal zu gehen, um zu analysieren, welche Rolle Peter Hellweger neben den sich damals herausbildenden Strukturalisten, Funktionalisten oder auch Dekonstruktivisten einnahm und ob man ihn tatsächlich wie andere Protagonisten dieser Zeit einer dieser Grundhaltungen zuordnen kann oder ob sein Werdegang isoliert von den übrigen betrachtet werden muss. An ausgewählten Projekten versucht diese Arbeit zu analysieren, ob sich der Wandel und seine Einstellung zum Perfektionismus in der Architektur während der einzelnen Lebensabschnitte in den Bauten wiederfindet und ob und inwieweit sich das auch in der Formensprache, der Materialwahl, der Detailarbeit und Konstruktion ablesen lässt. Wesentlich ist hier die Frage der Definition von Perfektionismus und Imperfektionismus in der allgemeinen Architekturauffassung und zur Zeit der Grazer Schule sowie deren Einfluss auf das Leben und die Arbeiten des Architekten.
Mit Hilfe des zu diesem Zeitpunkt noch ungeordneten vorhandenen Materials aus dem Nachlass des verstorbenen Architekten wird unter anderem mit der Erstellung einer vorläufigen Werkliste versucht, sein Leben und Wirken unter dem Einfluss der Grazer Schule zu rekonstruieren. Dieser Nachlass, seit gut einem Jahr Bestandteil des Archivs der TU Graz, ist umfangreich und nicht selten unvollständig und so muss auch die Rekonstruktion und Interpretation fragmentarisch bleiben.

Der Hauptteil der Arbeit widmet sich unter anderem der Auswirkung der Lebensumstände des Architekten auf seine Architektursprache. Hierzu wurden vier exemplarische Beispiele aus den Anfängen in den 70er Jahren, der Zusammenarbeit mit Günther Domenig und der Arbeit an der Technischen Hochschule Graz in den 80er Jahren und eines der letzten realisierten Projekte aus dem Jahr 2005 herangezogen, um primär den Zusammenhang seiner Einstellung zu Perfektionismus/Imperfektionismus in der Architektursprache im Wandel der Zeit zu betrachten. Anfangs noch klarer Imperfektionist und Querdenker seiner Zeit, der durch andersartige und gewagte Projekte die Architektursprache revolutionieren wollte und den Bau als Experiment sah, welches auch scheitern konnte, entwickelte sich Peter Hellweger in seiner Grazer Phase in den 80er Jahren zu einem Befürworter des dekonstruktivistischen und expressionistischen Gedankenguts. Dies ging mitunter sicherlich mit der Zusammenarbeit mit Günther Domenig einher, der seine Person und sein Leben nachhaltig geprägt hat. Zuletzt vollzieht der Architekt abermals einen Wandel zu harmonischen und unaufgeregten Gesamtkunstwerken, die vor allem durch den Symbolismus, die tiefere Bedeutung der einzelnen Komponenten und deren penibel durchdachten Details ein Streben Hellwegers nach Vollkommenheit und Perfektion nicht mehr leugnen können.

Die ausgewählten und beschriebenen Projekte zeigen, dass Peter Hellweger sich über die Jahre an Änderungen im privaten und beruflichen Umfeld und die sich ändernden Umstände, die damit einhergehen, angepasst oder vielmehr sich an ihnen orientiert hat, es aber nie in seinem Interesse war, sich auf eine architektonische Sprache festzulegen. Seine Werke, egal ob realisiert oder nur mehr in Theorie und Zeichnung vorhanden, besitzen alle für sich eine ganz individuelle Sprache, die sich in Form, Materialität und Bedeutung gravierend voneinander abgrenzen. Somit unterscheidet sich Peter Hellweger in gewisser Weise doch von Architekten dieser Zeit, deren persönliche Handschrift unverkennbar in den realisierten Bauten wiederzufinden ist. Doch diese Handschrift ist gleichzeitig auch Markenzeichen und, überspitzt gesagt, auch ein Stück weit Unterschrift und Wertsteigerung. Eine individuelle, einzigartige, aber sich durch alle Werke hindurchziehende Formensprache eines einzelnen Architekten sticht aus der Masse hervor und prägt sich im Sprachgebrauch und in den Köpfen ein, wird somit nicht vergessen und übersehen.
Vielleicht ist gerade dieser Umstand der Unsichtbarkeit von Peter Hellweger das Besondere an diesem Architekten – oder zumindest das Einzigartige, das es wert macht, dem Vergessenwerden mit Hilfe dieser Arbeit zumindest ein Stück weit entgegenzuwirken und den roten Faden in einem Buch festzuhalten.

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