21/12/2009
21/12/2009

Valerio Olgiati

v.li.: Urs Hirschberg, Tamara Olgiati, Hannes Wagner (GRANIT), Valerio Olgiati.

Fotos: Florian Lierzer

Sein Ruf als konsequenter, aber auch polarisierender Architekt und pointierter Redner eilte dem Schweizer Architekten Valerio Olgiati offenbar voraus. Der Hörsaal 1 der Technischen Universität Graz, in dem am 11. November der vom HDA veranstaltete Vortrag stattfand, war zum Bersten voll, als Olgiati nach einer kurzen Begrüßung und Vorstellung durch Dekan Urs Hirschberg und HDA-Vorstand Markus Bogensberger an das Rednerpult trat. Ohne Umschweife stieg er mit dem Wunsch, es im Saal „stockfinster" zu machen, direkt in die Materie ein. Anhand von vier Projekten sowie Bildauszügen aus seiner Monografie präsentierte der mehrfach ausgezeichnete Architekt und Inhaber mehrerer Professuren die Grundpfeiler seiner Architektur.

Olgiati betrachtet jedes realisierte Projekt als die physische Manifestation einer Idee. Die Reinheit und Ganzheit dieser Idee führt zur Reduktion der Form und des Materials. Wie bei den meisten seiner Projekte ist das Material auch bei dem neuen Nationalparkzentrum Zernez Beton, genauer, weißer Sichtbeton. Neben der Integration des Wärmeschutzes in das Material selbst, um Schichtungen zu vermeiden, bestechen die fast zu einfach wirkenden Details. Die großen Fenster liegen nicht in der Laibung, sondern der Metallrahmen ist neben den Öffnungen an der Innenwand befestigt. So ist von außen kein Fensterrahmen, sondern nur eine Öffnung in der Betonwand sichtbar. Olgiati versucht erst gar nicht, Elemente mühsam zu integrieren, die nicht zusammenpassen, sondern stellt sie schlicht nebeneinander. So verfährt er auch mit dem Lift und der Fluchttreppe, die er „hinten dranklebt“, um das System der zwei ineinandergreifenden Betonquader rein zu halten.
Dass Beton auch anders aussehen kann, beweist der Architekt beim Atelierhaus Bardill in Scharans. Unmittelbar in der Dorfkernzone gelegen, unterlag das Projekt strengsten Bestimmungen bezüglich der Kubatur: Die Außenabmessungen eines abgetragenen Stalls mussten zentimetergenau eingehalten werden. Wieder vor Ort gegossen, wurden der Beton hier terracottarot eingefärbt und mittels einer aufwändig handgefertigten Holzschalung Ornamente in Rosettenform erzeugt, die bis in das Fundament die gesamte Oberfläche überziehen. Denn auch, wenn man es nicht sehen kann, so würde man ihr Fehlen dort spüren.
Modulares Bauen kommt für Olgiati nicht in Frage. Seine Gebäude müssen und können nur genau so sein, wie sie sind. Wird ein Teil entfernt, dann soll, zumindest im übertragenen Sinn, das ganze Gebäude einstürzen. Der nicht realisierte Entwurf für ein neues Studienzentrum der Universität Lausanne baut auf diesem Prinzip auf: Die Form ergibt sich aus der Konstruktion, jedoch nicht als ein modulares System, sondern als gewachsener Organismus. Ohne die einzelnen Schritte ist die Logik nicht nachvollziehbar, nur wer den Schlüssel kennt, kann die Konstruktion lesen. Olgiati nennt diese Eigenschaft superlogisch.

Einige der Einflüsse und Inspirationen zu seinem Werk und den klaren Worten, die Olgiati findet, wenn er über das Wesen seiner Architektur spricht, offenbarte der Schweizer anhand einiger Bilder aus seiner inkonografischen Monografie, die bei 2G erschienen ist. Unter anderem Bilder von präkolumbianischen Ruinen, Klöstern, einer japanischen Holzverbindung und einigen Grundrissen zeugen von seiner Faszination für Präzision, göttliche Erhabenheit und Absolutheit sowie einfache und klare Lösungen. Auch der eigene Küchentisch birgt für Olgiati eine auf die Architektur übertragbare Wahrheit: Er zieht italienisches Essen dem französischen vor, weil bei den Italienern jeder Bissen nach genau einer Sache schmeckt.

Als letztes Projekt zeigte der Architekt das Gebäude für das Büro, das er gemeinsam mit seiner Frau Tamara, ebenfalls einer Architektin, führt. Ein Holzhaus auf einem Betontisch, das direkt neben seinem eigenen Wohnhaus im Dorfkern von Flims steht. Dieses wurde von seinem Vater Rudolf Olgiati erbaut, der ebenfalls ein bekannter Architekt war. Das Selbstbewusstsein, mit dem er das neue Bürohaus als ebenbürtige Gegenposition neben das Wohngebäude setzt, zeigt wie wichtig es für Olgiati war, eine eigene, von seinem Vater unabhängige Position zu erarbeiten.

Als eine zentrale These postuliert Olgiati, dass Architektur ohne Kontext möglich ist. Seine Werke funktionieren auch als isolierte Objekte. Die Idee hinter seinen Gebäuden ist so stark, dass sie aktive statt reaktive Architektur darstellen. Der Architekt erklärt diese Haltung als Gegenströmung zur starken Fixierung auf kontextuelles Entwerfen der letzen Dekaden. Für ihn persönlich dürfte es allerdings gleichzeitig eine Antwort auf die Bauten seines Vaters sein, der die Moderne stets im Kontext zum alpinen Umfeld interpretierte. Diese, teils auch persönlichen Informationen erhielt das Publikum aus einem Interviewfilm, der anstelle einer Diskussion am Ende des Vortrags gezeigt wurde.

Insgesamt zeichnete Olgiati in seinem interessanten und bewusst pointiert gestalteten Vortrag von sich das Bild eines Architekten mit einer stark entwerferischen Ideologie, der diese auch überzeugt vertritt. Auch wenn seine Bauten nicht jeden Geschmack treffen mögen und es gegen viele Entscheidungen begründete Einwände geben mag, ihre Konsequenz und Klarheit sind von einer Qualität, die sich viele Planer zum Vorbild nehmen könnten.

Dieser Bericht eines Vortrags ist als Übungsarbeit im Rahmen der Lehrveranstaltung "Architekturkritik" bei Karin Tschavgova an der TU Graz entstanden.

MARTIN GRABNER, geboren 1979, studiert und studierte Architektur, Geschichte und Fotografie in Graz. Er arbeitet am Institut für Städtebau der TU Graz und als freischaffender Fotokünstler.

Verfasser/in:
Martin Grabner, Bericht
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