12/10/2017
12/10/2017

An
Herrn Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl
Hauptplatz 1, Rathaus 8010 Graz

27.September 2017

OFFENER BRIEF
2.Teil: Die Tiefgarage in der Altstadt, antiquierte Verkehrspolitik und Feinstaub

Sehr geehrter Herr Bürgermeister!

Vor einiger Zeit wurde von Ihnen und dem Grazer Vizebürgermeister Mario Eustacchio das Projekt einer Tiefgaragenanlage am „Eisernen Tor“ in der Grazer Altstadt vorgestellt. Zu meinem Bedauern muss ich zur Kenntnis nehmen, dass grundsätzliche Regeln zu Projektvorbereitung, BürgerInnenbeteiligung, prozessualer Vorgangsweise und transparenter Informationsweitergabe missachtet wurden. Ohne die beschriebenen Grundlagen ist ein Projekt auf den Weg gebracht worden, das wie aus „der Zeit gefallen“ zu sein scheint.

Der motorisierte Individualverkehr in der Altstadt
Die Erreichbarkeit von Stadtzentren mit MIV (motorisierter Individualverkehr) und die „autogerechte Stadt“ war in den 50-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Ziel der Stadtplaner. Heute ist das Konzept, Tiefgaragen am Rand des Stadtzentrums zu errichten mit der Absicht, dieses mit Konsum zu beleben, überholt und antiquiert.
Die durch Innenstadtgaragen und den dadurch verursachten MIV ausgelösten urbanen Probleme verstärken mit jeder zusätzlichen Fahrt in das Stadtzentrum die im Grazer Becken eminente Umweltbelastung. Speziell die hohen Feinstaubwerte können nur durch Reduktion des MIV erreicht werden, denn auch der Elektroantrieb für MIV wird das Feinstaubproblem nicht lösen, weil die hohe Luftbelastung durch Abrieb bleibt.
Die Einsicht zur Notwendigkeit von urbaner Vielfalt, sanfter Mobilität und von Innen entwickelten Konzepten der Stadtentwicklung sind längst „state of the art“. Nah am Zentrum entwickelte Stadtgebiete (an der neuen Murstaustufe, ich erinnere an Teil 1 des offenen Briefes) mit Nutzungsmix, kurzen Wegen, hohen Bebauungs- und Einwohnerdichten und belebten öffentlichen Straßen und Plätzen können urbane Vielfalt herstellen. Durch eine eigenständige innere Entwicklung tragen diese Gebiete primär zur Verkehrsvermeidung bei, zusätzlich sind der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und sanfte individuelle Mobilität für Ballungsräume adäquate Konzepte.

Der 'Pfauengarten'
Wie beim Tiefgaragenprojekt am „Eisernen Tor“ wurde auch beim Investorenprojekt „Pfauengarten“ Stadtplanung nach altem Muster betrieben. Ohne adäquate städtebauliche Projektvorbereitung, welche auch die Auswirkungen auf die innere Stadt in die Bearbeitung einbeziehen hätte müssen, wurde eine Tiefgarage errichtet. Heute führen die Zufahrten durch Stadtpark und das Herz der Altstadt. Auch der folgende, aufwendige Architekturwettbewerb für den oberirdischen Teil der Bebauung konnte die städtebauliche Projektvorbereitung mit der komplexen Situation des besonderen Standorts nicht ersetzen. Das Projekt ist teilweise noch in Bau, die fehlenden urbanen Qualitäten sind aber bereits erkennbar:
Die wertvolle visuelle und funktionale Verbindung vom Karmeliterplatz zum Stadtpark ist stark eingeschränkt. Der Fußweg in den Stadtpark führt, wenn man ihn findet, durch ein „Loch unter der Stadtmauer“ in den Stadtpark. Die Baumassen und Gebäudehöhen sind überhöht, als Folge davon ist die charmante Sichtverbindung Stadtpark – Uhrturm nachhaltig zerstört.
Die Platzkante zum Park wäre für eine qualitativ hochwertige Funktion prädestiniert gewesen, jetzt wird dieser städtebaulich wichtige Ort als Einfahrt zur Tiefgarage „genutzt“. Der private Investor hat wegen des besonders wertvollen Standorts einen gewaltigen Widmungsgewinn erzielt und als Ausgleich dafür ist es nicht einmal gelungen, einen Nahversorger oder ähnliche sekundäre Funktionen einzurichten.

Die historische Innenstadt als spezieller öffentlicher Raum
Die neoliberale Welt des institutionalisierten Investments profitiert von den besonderen Qualitäten der historischen Innenstadt. InvestorInnen schätzen die architektonische Kulisse, interessante Straßen- und Platzräume können genutzt werden, ohne gleichwertige kulturelle Gegenleistungen zu erbringen. Der Lebensraum „historische Innenstadt“ wird durch die Einmiete von internationalen Handelsketten und eine dem Tourismus dienende Eventkultur enorm beansprucht. Die technokratische Falle des Neubaus von Tiefgaragen belebt die Innenstadt nur scheinbar, denn wenn Touristen und Konsumenten als Nutzer abgezogen sind, bleibt die Stadt ohne Leben.
Es sind die ca. 4000 BewohnerInnen, die mit ihren täglichen Aktivitäten dafür sorgen, dass der Lebensraum Innenstadt seine wertvollere Substanz erhält. Die öffentlichen Straßen und Plätze garantieren eine besondere Qualität, mit der die gewöhnlichen Einkaufszentren in einem Außenbezirk niemals konkurrieren können. Eine substanzielle Stärkung für die historische Innenstadt kann nur durch die Vergrößerung der Einwohnerzahl und die Stärkung eines kleinteiligen, sekundären Nutzungsmix erfolgen. Garagen helfen nur den großen Handelsketten und InvestorInnen.
Bereits in den 70-er Jahren haben die Verfasser des GAEG (Grazer Altstadterhaltungsgesetz) festgehalten, dass die Altstadt am besten erhalten werden kann, wenn zusätzlich zu den Schutzmaßnahmen eine ausreichende Anzahl von BewohnerInnen die historische Bausubstanz und den öffentlichen Raum belebt. Touristen und Konsumenten können nicht jene „neighborhood“ herstellen, die ein lebendiger Stadtteil braucht.
Hier könnte die Politik mit einem offensiven Management von Gebäudeleerstand und der damit verbundenen Förderung für Wohnungssanierungen in der Altstadt ansetzen. Die Kosten sind durch das Steueraufkommen des institutionalisierten Investments, das durch die Nutzungsgewinne der Altstadt am meisten profitiert, gedeckt.

Künftige Entwicklungen
Das komplexe System Stadt ist mit technokratischen Methoden nicht zu bewältigen. Es braucht den politischen Willen, mit Hilfe der dem Gemeinwohl verpflichteten Hoheitsverwaltung klare Vorgaben zu erstellen, um im systembedingten Konflikt mit den gewinnorientierten InvestorInnen rechtzeitig agieren zu können. Klare öffentliche Vorgaben sind auch für InvestorInnen hilfreich.
Ergänzend zur Koordination von gesetzlichen Regelwerke der überörtlichen und örtlichen Raumplanung sind jedenfalls zeitgemäße Methoden der städtebaulichen Projektvorbereitung wie prozesshafte Vorgangsweisen, Transparenz in der Informationskultur, BürgerInnenbeteiligung zur Ausschöpfung komplexer Potenziale und damit verbundene, von Innen entwickelte Maßnahmen Voraussetzung. Bei der Entwicklung eines Stadtgebiets ist zuletzt aber die aktuelle, auf den konkreten Raum angepasste urbanistische Deutung entscheidend.

Wie schon im 1.Teil des OFFENEN BRIEF biete ich ihnen als Bürgermeister der Stadt Graz gerne meine Mitwirkung an, Sie zu unterstützen und dem Investorenmarkt klare, am Gemeinwohl orientierte Leitlinien vorzulegen.
Für das Projekt am „Eisernen Tor“ ersuche ich sie, auf Grund der beschriebenen Fakten auf den Bau der Tiefgarage zu verzichten.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Steinegger

Bisher
OFFENER BRIEF
 1.Teil: Widmungsgewinne um die neue Staustufe an der Mur

Ergeht an
Mag. Siegfried Nagl, Bürgermeister Stadt Graz
Mag. DI Bertram Werle, Baudirektor Stadt Graz
DI Bernhard Inninger, Leiter der Stadtplanung Graz
Alexander van der Bellen, Bundespräsident der Republik Österreich
Peter Pilz, Liste Pilz
Werner Kogler, die Grünen
Ao. Univ.-Prof. Dr. Christian Kühn, Vorsitzender des Beirats Baukultur Österreich
Dr. Reinhard Seiß, Mitglied des Beirats Baukultur Österreich
Dr. Gertrude Brinek, Volksanwältin
DI Christof Schremmer, Öst. Institut für Raumplanung
Dr. Doris Wilhelmer, AIT Austrian Institute of Technology
Univ.-Prof. Architekt DI Andreas Lichtblau, Institut für Wohnbau, TU Graz
Arch. Univ.-Prof. Aglaee Degros, Institut für Städtebau, TU Graz
Arch. DI Wolfgang Schmied, Studiengangleiter Architektur FH Joanneum
AIK Kammer der ZiviltechnikerInnen Steiermark und Kärnten
HDA Haus der Architektur Graz
ZV Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs
ASVK Altstadtsachverständigenkommission Graz
IG Architektur, Wien
Walter Müller, der Standard
Karin Tschavgova, die Presse
Hubert Patterer, Chefredakteur Kleine Zeitung
Martin Dopler, Radio Helsinki Graz

G. Mader

Zum Thema "Pfauengarten" möchte ich mit Verlaub noch folgendes anmerken:
Laut Juryprotokoll und Renderings des Wettbewerbs sollten "sowohl Fassaden- als auch Dachflächen farblich an die charakteristische ziegelrote Dachlandschaft der Grazer Altstadt angeglichen werden". Warum ist das nicht geschehen? Welche Entscheidungsprozesse haben dazu geführt, dass die farbliche Gestaltung vom Wettbewerbsprojekt abweicht?
Sollte das jemand von den Projektbeteiligten lesen, insbesondere vom Architekturbüro Pichler & Traupmann oder der ASVK, würde ich mich um Beantwortung meiner Fragen freuen. Ich persönlich kann der Farbgestaltung leider nichts abgewinnen und findes es schade, dass das Projekt nun derart realisiert worden ist.

Do. 12/10/2017 10:41 Permalink

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+