01/11/2011

Auf Umwegen ist ein in Österreich realisiertes Projekt in die Hauptausstellung der 9. Internationalen Architekturbiennale in São Paulo (02.11.-04.12.2011) gelangt:
Der Aussichtsturm an der Mur im steirischen Gosdorf der Architekten terrain:loenhart&mayr (München) wird mit 19 weiteren Projekten ab 2. November 2011 im Deutschen Pavillon in der flexiblen Ausstellungsarchitektur von J. Mayer H. präsentiert.

01/11/2011

Murturm in Gosdorf

Architektur: terrain:loenhart&mayr ©: Hertha Hurnaus

Foto: Hertha Hurnaus

Foto: Hertha Hurnaus

Foto: Hertha Hurnaus

Am 1. November 2011 wurde die 9. Internationale Architekturbiennale in São Paulo (Brasilien) eröffnet und ist bis 4. Dezember geöffnet. Die Hauptausstellung im Centro Cultural zeigt die zeitgenössische Produktion nationaler und internationaler Architektur und Städteplanung aus den Jahren 2009 bis 2011 und soll die Diskussion in Bezug auf das diesjährige Thema architecture for all : building citizenship vorantreiben.

Auf Umwegen ist ein österreichisches Bauwerk in die Hauptausstellung gelangt und damit das einzige gebaute Beispiel österreichischer Architektur auf der diesjährigen Architekturbiennale in São Paulo: Der Aussichtsturm an der Mur im steirischen Gosdorf der Architekten terrain:loenhart&mayr (München) wird mit 19 weiteren Projekten ab 2. November im Deutschen Pavillon in der flexiblen Ausstellungsarchitektur von J. Mayer H. präsentiert. Bereits im März dieses Jahres hatte die Bundesarchitektenkammer gemeinsam mit der Bundesingenieurkammer deutsche Architekten und Bauingenieure dazu eingeladen, ihre Projekte für den Deutschen Beitrag „Baukultur made in Germany“ einzureichen. Bei der Auswahl spielten neben der internationalen Relevanz sowohl gute Beispiele nachhaltigen Bauens als auch besondere landes- und klimaspezifische Lösungen eine Rolle. Auch der Grazer Architekt Klaus Kada ist mit dem Aachen Münchener Direktionsgebäude von kadawittfeldarchitektur im Deutschen Pavillon Teilnehmer in São Paulo (GAT berichtete).

Die grundlegende Idee des Aussichtsturms in Gosdorf folgt, laut Beschreibung der planenden Architekten, mit seinem Erschließungs- und Konstruktionsprinzip einer Doppelhelix, mit der die Vorstellung eines kontinuierlichen Wegs baulich in die Höhe getragen wird. Der Aufstieg des Besuchers wird zum landschaftlichen Erlebnis inmitten der Naturlandschaft des Biotopverbundsystems „Grünes Band Europa“. Der sich in die Höhe schraubende Weg führt durch die sogenannten „Waldetagen“ - die ökologischen Höhenschichten des Auenwaldes - und macht so die ökologische Ordnung und Mikroklimata im Auwald erlebbar. Nach 168 Stufen, auf 27 m Höhe erreicht man schließlich eine bewusst klein gehaltene Aussichtsplattform, von der sich ein atmosphärischer Panoramablick erschließt. Von dort oben führt ein weiterer Treppenlauf nach unten, sodass sich aufsteigende und absteigende Besucher auf zwei unterschiedlichen Treppen im Raum bewegen. Hier gibt es einen überraschenden Bezug zur historischen Doppelwendeltreppe in der Grazer Burg: Diese um 1500 erbaute Treppe erzeugt ein einmaliges Raumgefühl, von dem sich die Architekten des Murturms inspirieren ließen. Beim Tragwerk handelt es sich um ein „Hybridtragwerk“; die räumlich biegesteifen Knotenverbindungen bilden in Kombination mit einer Verseilung und Druckstäben das Tragsystem. Das Haupttragwerk wird von Tragrohren und Stützrohren gebildet und gewährleistet die Standsicherheit, während die Verseilung das Schwingungsverhalten und die horizontale Kopfauslenkung begrenzt.
Der Murturm wurde beim Architekturpreis des Landes Steiermark 2010 mit einem der insgesamt drei Anerkennungspreise ausgezeichnet, in zahlreichen Pressebeiträgen und sehr ausführlich im GAM 06. Nonstandard Structures besprochen (Hg. Architekturfakultät, TU Graz, erschienen 2009 im Springer Verlag).

Der österreichischen Architektenschaft bleibt also nichts anderes übrig, als neidvoll nach Deutschland zu blicken. Im Gegensatz zum Nachbarland hat man in Österreich eine öffentliche Ausschreibung verabsäumt, daher gibt es auch keinen offiziellen Österreichbeitrag. Vielmehr musste sich der Architekturschaffende hierzulande mit seinen Projektvorschlägen direkt an die Auswahlkommission in São Paulo wenden. Vier österreichische Büros wurden auf diesem Wege zur Ausstellung ihrer Beiträge eingeladen: das Atelier Thomas Pucher mit den derzeit noch nicht realisierten Projekten „Tallinn Music and Ballet School in Estland“ und „Sinfonia Varsovia in Warschau, Polen“, heri&salli mit dem realisierten Kunstprojekt „Flederhaus“ (GAT berichtete), das Office for Explicit Architecture (Arch. Lukas Gödl) sowie Delugan Meissl Associated Architects mit dem Porsche Museum in Stuttgart-Zuffenhausen. Sie haben nun die ehrenvolle Aufgabe, Österreich zu vertreten – in welcher Ausstellung genau, erschließt sich erst bei genauerem Studium der Biennale-Website. Dass mit dieser unkoordinierten Vorgehensweise, welche die zuständigen politischen Stellen in Österreich zu verantworten haben, kein Staat zu machen ist, versteht sich wohl von selbst. (mw)

BUCHHINWEISE:

_ GAM.06
Nonstandard Structures
Architekturfakultät, TU Graz (Hrsg.
Broschiert EUR 19,95
2009, Springer Verlag
ISBN: 978-3-211-99209-8

_ Hubertus Adam: Raum, verschraubt mit der Zeit / Space Twisted with Time – Architekturjahrbuch Graz Steiermark 2010 / Architecture Yearbook Graz Styria 2010
Eva Guttmann – Haus der Architektur (Hg.)
Fotoessay: Hertha Hurnaus
Textteil 88 Seiten, Bildteil 112 Seiten Duotone
20,4 x 28,4 cm, Leinencover, Fadenheftung
€ 49,90
ISBN 978-3-0346-0792-6

B.Bertold

Vermutlich ist der diesjährige Österreichbeitrag dem Sparstift zum 0pfer gefallen. Welchen Stellenwert Baukultur in den Köpfen der Politiker hat, zeigt sich wieder einmal deutlich und ist mehr als bedauerlich. Jedenfalls sollten sich die Architekturschaffenden bzw. deren Vertretung, die Bundeskammer, endlich nachhaltig gegen diese Geringschätzung wehren, damit ein derartiges Versäumnis wie in Sao Paulo nicht noch einmal passiert. Aktuell nehmen vier Teams an der Internationalen Biennale teil, sie mussten sich offensichtlich unabhängig voneinander bewerben, die Kosten für die Teilnahme und alles was damit zusammenhängt, also auch alleine tragen - eine Gruppenausstellung wäre für sie bestimmt in jeglicher Hinsicht angenehmer und effektiver gewesen.

Di. 01/11/2011 10:10 Permalink
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