19/03/2018

Der Artikel von Christian Kühn erschien erstmals am
13. Jänner 2018 im SPECTRUM der Tageszeitung Die Presse.

19/03/2018

Science Tower neben der Helmut-List-Halle

Architektur: Markus Pernthaler Architekten©: paul ott photografiert

Science Tower

©: paul ott photografiert

Eine schlaue Stadt, flotte Architektur und ein insolventer Innovator. Die 'Smart City Graz' wirft die Frage auf, welche Forschung die Stadt der Zukunft wirklich braucht.

Es war kein glücklicher Tag für die Grazer Stadtplanung, als im Juli 2012 die Ergebnisse einer Volksbefragung bekannt gegeben wurden: 67 Prozent der Teilnehmenden hatten sich gegen den Vorschlag der Stadtregierung ausgesprochen, die Reininghaus-Gründe, ein Entwicklungsgebiet mit 52 Hektar Fläche auf dem Areal einer ehemaligen Brauerei, anzukaufen. Dass Politiker bei wichtigen Stadtentwicklungsfragen lieber zum Plebiszit greifen, als für ihre Entscheidung bei den nächsten Wahlen den Kopf hinzuhalten, ist in Österreich nicht selten. Im konkreten Fall war die Entscheidung tatsächlich nicht einfach zu treffen, da sie von der Einschätzung abhing, wie stark Graz in den nächsten Jahren wachsen würde. Inzwischen gilt es als sicher, dass die Stadtbevölkerung um 4000 bis 6000 Einwohner pro Jahr – und damit prozentuell stärker als Wien – zunimmt, vor allem durch Zuzug aus sogenannten strukturschwachen Regionen.
Was die Stadt 2012 mit einem Kaufvertrag hätte bekommen können, nämlich Gestaltungshoheit, muss sie heute – nach dem zwischenzeitlich erfolgten Filetieren des Areals – über städtebauliche Verträge mit den Eigentümern aushandeln. Solche Verträge sind nach österreichischem Recht immer ein Balanceakt. Die teilweise Abschöpfung widmungsbedingter Wertsteigerungen darf nicht wie eine Steuer erscheinen, sondern muss sachlich begründet sein, etwa als Kostenbeiträge für technische und soziale Infrastruktur, aber auch in Hinblick auf die Qualität öffentlicher Räume oder die Durchführung von qualitätssichernden Prozessen, etwa Architekturwettbewerben.

Graz hat sich 2011 mit dem Fachbeirat für Baukultur eine Institution geschaffen, die eine Qualitätssicherung auf mehreren Ebenen erlaubt, vom Städtebau bis zum Einzelobjekt. Auf der Ebene der Objektplanung kann die Vorlage beim Fachbeirat unterbleiben, wenn ein Architekturwettbewerb durchgeführt wird. In diesen Fällen ist in der Regel ein Mitglied des Beirats Mitglied in der Jury. Auch Wirtschaftsvertreter, die dem Beirat gegenüber anfangs skeptisch waren, akzeptieren ihn heute als wichtiges Instrument, um Planungssicherheit herzustellen.
Inzwischen sind die Reininghausgründe zwar noch immer nicht bebaut, die Planung ist aber weit fortgeschritten. Die Architekturwettbewerbe für die meisten Quartiere sind abgeschlossen, auch für den zentralen Stadtpark und eine verbindende Grünzone. Der lukrative Drang in die Höhe ist bei manchen Wettbewerbsergebnissen nicht zu übersehen. Ob dieser Urbanisierungsschub nach oben zu rechtfertigen ist, wird erst die Qualität der ausgeführten Bauten und Freiräume zeigen.

Schon fertiggestellt ist ein Turm in einem anderen nahe gelegenen Entwicklungsgebiet, dem Waagner-Biro-Areal, das sich als Smart City Graz positioniert. Auch dieses Areal ist ein ehemaliges Industriegebiet, woran die Helmut-List-Halle erinnert, eine vom Architekten Markus Pernthaler 2003 im Kontext des Kulturhauptstadtjahres für Großveranstaltungen adaptierte Industriehalle. Von Pernthaler stammt auch der Turm, der neben der List-Halle stehend an einen Campanile neben einer Basilika erinnert. Ob der Turm zum Symbol einer Smart City taugt, hängt davon ab, was man unter smart versteht. Als Bürohaus ist der Turm jedenfalls alles andere als schlau, nämlich aufgrund seines geringen Durchmessers schlicht unwirtschaftlich. Wenn mit Smart City technologische Innovationen gemeint sind, ist der Turm dagegen ein gut gestalteter und effektiver Werbeträger. Die äußere Schicht der Doppelfassade besteht aus extrem dünnen Glasscheiben, die teilweise mit neuartigen, elektrochemisch arbeitenden Solarzellen kombiniert sind. Im obersten Geschoß, umgeben von einer leichten Stahlkonstruktion, die dem Turm wie eine Krone aufgesetzt ist, befinden sich Stahlbetontröge, in denen mit Nutzpflanzen experimentiert werden soll.
Bauherr des Turms ist der steirische Unternehmer Hans Höllwart, dessen Firma SFL im Anlagen- und Fassadenbau tätig ist und den Turm als Vorzeigeprojekt nutzen möchte. Ende vergangenen Jahres musste die Firma, die unter anderem die Murinsel, die Hülle des Kunsthauses Graz und die Fassade des Wiener Uniqa-Towers ausgeführt hat, Insolvenz anmelden. Der Turm wird damit auch zu einem Symbol für das – in diesem Fall hoffentlich nicht endgültige – Scheitern, von dem Innovatoren in Übergangszeiten immer bedroht sind.

Die Smart City Graz besteht aber nicht allein aus der List-Halle und dem Turm. Mit dem Bau einer neuen Schule wird nächstes Jahr begonnen, mehrere Wohnblocks und Bauten für gemischte Nutzung kommen dazu. Hier wird sich zeigen, wie smart diese City wirklich ist. In Bezug auf öffentliche Bauten hat Graz zwar in den vergangenen 20 Jahren einen hohen Standard vorzuweisen; der Wohnbau gelangt aber bei Weitem nicht an dieses Niveau heran. (Wer sich für die Zeiten interessiert, als die Steiermark das Nonplusultra des österreichischen Wohnbaus war, sollte die aktuelle Ausstellung Graz Architecture im Grazer Kunsthaus besuchen. Projekte wie die Terrassenhaussiedlung St. Peter und generell Ambition und Resultate des Modells Steiermark, das ab den frühen 1970er-Jahren die Entwicklung prägte, sind immer noch inspirierend.)

Grundsätzlich ist die Stadt aber auf dem richtigen Weg. Sie setzt auf die Verdichtung möglichst im Bestand oder auf Brachflächen, auf Nutzungsdurchmischung und attraktive öffentliche Räume. Ziel ist die energieeffiziente, ressourcenschonende und emissionsarme Stadt. Niemand wird etwas gegen diese Ziele einzuwenden haben. Dass ihre Erreichung einen radikalen Wandel unserer Lebensweise und unserer Wohnvorstellungen erfordert, wird aber immer klarer.
Gerade deshalb ist es wichtig, mehr in Forschung zu dieser Frage zu investieren. Smart City Graz hat Förderungen in der Höhe von 4,2 Millionen Euro erhalten, und zwar aus dem größten österreichischen Förderungstopf zum Thema, dem beim Klima- und Energiefonds angesiedelten Programm Smart Cities Demo, das zum Zeitpunkt der Förderungszusage 2011 noch Smart Energy Demo hieß. Trotz der Namensänderung ist das Programm nach wie vor technologielastig, obwohl der Fonds selbst betont, dass nur eine ganzheitliche Betrachtung, die auch soziale und kulturelle Aspekte berücksichtigt, die Erreichung der Klimaziele ermöglicht. Seit seiner Gründung 2007 hat der Fonds 1,1 Milliarden Euro an Förderungen vergeben, davon knapp 40 Millionen im Smart Cities-Bereich, und davon 16,5 Millionen für in Summe sieben Umsetzungsprojekte, die sich nicht nur mit Technologie, sondern auch mit Lebensräumen beschäftigen. Dazu gehörte neben dem Grazer Turm auch das Montfort-Haus in Feldkirch, das im Rahmen der SmartCityRheintal gefördert wurde. Das ist zu wenig. Die öffentliche Hand sollte sich neue Wege für eine Baukultur- und Städtebauforschung – die es als reine Wohnbauforschung bis 1988 im Rahmen der Wohnbauförderung ja schon gab – überlegen.

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