04/05/2022

MINUS – Gehsteigmisere in Graz, Teil 2

Fußgänger*innen im Bezirk Gries sind vielen Hürden und Gefahren ausgesetzt. Gehsteige sind zu schmal oder gar nicht vorhanden. Gesetzliche Vorschriften für barrierefreie Gehsteige werden mitunter von Behörden ignoriert. Die Politik muss ihre Versprechen nach mehr Gehör für Fußgänger*innen endlich einlösen und handeln! 

04/05/2022

Gehsteigmisere in der Albert-Schweitzer-Gasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Albert-Schweitzer-Gasse, 1 m schmaler Gehsteig

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Albert-Schweitzer-Gasse, 80 cm schmaler Gehsteig

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Albert-Schweitzer-Gasse, Garagen statt Gehsteig

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Bethlehemgasse, zu schmaler Gehsteig und gefährliche Situation

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Grossbaustelle Karlauerstrasse zulasten der Fussgänger*innen

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Köstenbaumgasse, Zugang Citypark

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Brückengasse, aufgemalter schmaler Gehsteig

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Brückengasse, 90 cm Gehstreifen

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Diese allgemeine Information wurde bereits im 1. Teil dieser Reihe gebracht. Sie ist für die Argumentation wichtig und wird daher auch hier den Beispielen vorangestellt.

2010 wurde die Verkehrspolitische Leitlinie 2020 für Graz vom Gemeinderat beschlossen. Darin sind die wesentlichen Grundsätze der Verkehrspolitik für Graz bis 2020 festgelegt:
1. Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt

2. Graz als Stadt der kurzen Wege

3. Mobilität ist in ihrer Gesamtheit zu betrachten

4. Mobilität im urbanen Raum bedeutet Vorrang für die Sanfte Mobilität

5. Graz als Teil einer Region setzt auf Kooperation

Im Jänner 2012 wurde die Verkehrsplanungsrichtlinie vom Gemeinderat beschlossen, diese legte u.a. auch Standards für Gehsteige fest. 

Auszug aus der Richtlinie:

2.3 Regelbreiten Gehsteige/Gehwege

Die Regelbreite für Gehsteige beträgt 2,0 m. Mit dieser Breite ist ein gefahrenloses und bequemes Begegnen der FußgängerInnen möglich. Die Mindestbreite hat (laut ÖNORM B1600) 1,50 m zu betragen. Für unvermeidliche Engstellen muss eine minimale Durchgangsbreite von 0,90 m (minimaler Breitenbedarf eines Rollstuhlfahrers/einer Rollstuhlfahrerin) erhalten bleiben (ÖNORM B1600). Die Länge von Einschränkungen unter einer Breite von b=1,20 m darf maximal 1,0 m betragen. 
Zusätzlich kommen noch Zuschläge für Schutzstreifen zur Fahrbahn von 50 cm (Fließverkehr) bei Vzul > 30 km/h

Diese Richtlinie ist seit 10 Jahren gültig. Es ist davon auszugehen, dass die Stadt in diesen 10 Jahren doch einiges zur Verbesserung der Situation für Fußgänger*innen unternommen hat. Dem ist aber nicht so. In Gries gibt es unzählige Beispiele, wo die Gehsteige nicht die Mindestbreite von 1,50 m aufweisen und oftmals sogar nicht mehr als 0,90 m breit sind. Und es gibt Gegenden, wo es gar keinen Gehsteig gibt und Fußgänger*innen auf der Straße marschieren müssen. 

Schon in der Gehsteigverordnung der Stadt Graz vom 03.12.1982 sind Bestimmungen über die Breite und Ausführungsart von Gehsteigen erlassen worden. Auszüge daraus, die sich auf die von mir untersuchten Straßenarten beziehen.

Auf Grund des §10 Abs. 1 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 in der Fassung LGBl. Nr. 55/1977, wird verordnet:

§ 1 Gehsteigbreiten

3. Sammelstraßen
Diese dienen dem Binnenverkehr in einem Stadtgebiet und dem Anrainerverkehr. Sammelstraßen sammeln den Verkehr an Lokalstraßen und führen ihn den Verkehrsstraßen zu.
Gehsteigbreiten: 1,50 bis 3,00 Meter 

4. Anliegerstraßen
Diese dienen nur dem Anrainer- und Binnenverkehr. Man unterscheidet:
a) Geschäftsstraßen, Gehsteigbreiten: 3,00 bis 4,50 Meter
b) Wohnstraßen, Gehsteigbreiten: 1,50 bis 2,50 Meter
c) Industriestraßen, Gehsteigbreiten: 1,50 bis 2,50 Meter 
Von den genannten Gehsteigbreiten kann abgegangen werden, wenn eine bereits vorhandene Verbauung oder gegebene Geländeverhältnisse dies erfordern.

Die Straßen im Untersuchungsbereich sind bis auf die Karlauerstraße, die zur Kategorie Sammelstraße gehört, Anrainerstraßen. Die Mindestbreite müsste laut ÖNORM und Baugesetz mindestens 1,50 m breit sein und nach der seit 2012 gültigen Verkehrspolitischen Leitlinie eine Mindestbreite von 2,0 m aufweisen. 

Beispiel 1: Neubauten in der Albert-Schweitzer-Gasse:
Bauträger wie GWS und Immola durften hier direkt an die Grundgrenze heranbauen, somit ging sich leider nur ein 0,80 bis 0,90 cm schmaler Gehsteig aus. (Ich habe plakativ mit Gratiszeitungseinheiten gemessen.) Das 2018 von der Immola errichtete Gebäude mit dem Namen dasAlbert wurde geringfügig von der Grundgrenze = Gehsteigrand abgerückt. In diesen Miniabstandsstreifen wurden neben der Zufahrt zur Erdgeschossgarage Bäume gezwängt. (Das war der Wunsch des Architekten.) Das unbefriedigende Ergebnis ist: weder Fußgänger*innen noch Bäume haben hier ausreichend Platz. Beim einige Jahre davor errichteten Objekt A.-Schweitzer-G. 27 besteht das gesamte Erdgeschoss aus Einzelgaragen. Hier gibt es genaugenommen gar keinen Gehsteig sondern nur eine Ansammlung von Garagenzufahrten. Diese negativen Beispiele in der Albert-Schweitzer-Gasse zeigen auf, dass die zuständigen Ämter und Behörden Gesetze und Normen missachtet und Entscheidungen zuungunsten von Fußgänger*innen getroffen haben. Ein kleiner Skandal!
Unser abgewählter langjähriger Bürgermeister und Planungsreferent Nagl schrieb als Vorwort zur von der Stadtbaudirektion herausgegebenen Broschüre „Barrierefreies Bauen für ALLE Menschen“ u.a. diesen Absatz: 
„Viele meinen Barrieren im Städte- bzw. Wohnbau sind ein Thema, dass vor allem Menschen mit Behinderung betrifft. Diese sind wahrscheinlich noch nicht mit einem Kind im Kinderwagen und mit einem zweiten an der Hand durch unsere Stadt spaziert.“ Offensichtlich sind auch die Verantwortlichen von GWS, Immola, deren Planer*innen und die zuständigen Beamt*innen noch nie mit Kinderwagen auf 0,90 m schmalen Gehwegen spaziert.

Beispiel 2: Gleich ums Eck liegt die Bethlehemgasse. Sie führt vom Griesplatz zum Haupteingang des Geriatrischen Zentrums. Auch hier ist der Gehsteig mit nicht einmal 90 cm, viel zu schmal und verläuft sehr gefährlich hinter einem Kundenparkplatz vorbei.

Beispiel 3: In der Karlauerstraße wird gerade die Rankencity errichtet. Das Anlegerprojekt (von UBM und NHD entwickelt und an die Investmentfirma GalCap verkauft) wird von der Baufirma Porr errichtet. Diese hat die Baustellenabzäunung weit in den Gehsteig hinein versetzt und mutet den Fußgänger*innen während der langen Bauzeit so einiges zu. Laut Auskunft vom Straßenamt muss bei Baustellen eine Mindestgehsteigbreite von 1,20 m frei bleiben, hier sind es aber nur 0,95 m.

Beispiel 4: Köstenbaumgasse – Brückengasse – Korngasse
Die Köstenbaumgasse ist für Autofahrer*innen und Fußgänger*innen eine wichtige Verbindungsstraße zum Citypark. Der ordentliche Gehsteig endet nach der Polizeistation Karlau. Ab hier gibt es nur mehr einen aufgemalten, sehr schmalen Gehstreifen, der im Bereich der Köstenbaummühle ganz verschwindet. Gehen ist hier ein wahres Abenteuer. Auch in der Brückengasse und in der Korngasse gibt es nur einen zu schmalen niveaugleichen Gehstreifen. Und obwohl die Situation für Fußgänger*innen schon sehr gefährlich ist, wurde auch noch ein aufgemalter Radweg gegen die Einbahn errichtet. Wo die Brückengasse für den zusätzlichen Radweg zu schmal ist, wird die Radwegbemalung einfach ausgesetzt. Der motorisierte Verkehr hat hier extrem zugenommen und die Situation ist für Fußgänger*innen aber auch Radfahrer*innen lebensgefährlich.

Es gibt Normen und Leitlinien, aber diese werden, wie die Beispiele zeigen, seitens der Behörden nicht immer eingehalten bzw. umgesetzt. Wie kann das sein? 

„Grüne wollen mehr Gehör für Grazer Fußgänger“ titelte ORF Steiermark am 16. September 2021 kurz vor der Gemeinderatswahl.

In Vertretung der Fußgänger*innen von Gries fordere ich nochmals mehr Gehör ein. Aber Gehör allein ist zu wenig. Es gibt akuten Handlungsbedarf für die rotrotgrüne Stadtregierung! 

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