21/03/2022

MINUS – Gehsteigmisere in Graz, Teil 1

In der Mariatroster Straße hat noch immer der motorisierte Verkehr Vorrang. Ganz im Gegensatz zur Mobilitätsstrategie der Stadt Graz und der Verkehrspolitischen Leitlinie 2020, wo u.a. das Ziel „Vorrang für die Sanfte Mobilität" formuliert wurde.

21/03/2022

90 cm breiter Gehsteig

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Gehsteigmisere Mariatrost

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

120 cm schmaler Gehsteig

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Mariatrosterstrasse 138

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

90 cm

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Gehsteig vor dem Projekt von Chronos

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

2010 wurde die Verkehrspolitische Leitlinie 2020 für Graz vom Gemeinderat beschlossen. Darin sind die wesentlichen Grundsätze der Verkehrspolitik für Graz bis 2020 festgelegt:

1. Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt

2. Graz als Stadt der kurzen Wege

3. Mobilität ist in ihrer Gesamtheit zu betrachten

4. Mobilität im urbanen Raum bedeutet Vorrang für die Sanfte Mobilität

5. Graz als Teil einer Region setzt auf Kooperation

Im Jänner 2012 wurde die Verkehrsplanungsrichtlinie vom Gemeinderat beschlossen, diese legte u.a. auch Standards für Gehsteige fest. 

Auszug aus der Richtlinie:

2.3 Regelbreiten Gehsteige/Gehwege

Die Regelbreite für Gehsteige beträgt 2,0 m. Mit dieser Breite ist ein gefahrenloses und bequemes Begegnen der FußgängerInnen möglich. Die Mindestbreite hat (laut ONORM B1600) 1,50 m zu betragen. Für unvermeidliche Engstellen muss eine minimale Durchgangsbreite von 0,90 m (minimaler Breitenbedarf eines Rollstuhlfahrers/einer Rollstuhlfahrerin) erhalten bleiben (ONORM B1600). Die Länge von Einschränkungen unter einer Breite von b=1,20 m darf maximal 1,0 m betragen. 
Zusätzlich kommen noch Zuschläge für Schutzstreifen zur Fahrbahn von 50 cm (Fließverkehr) bei Vzul > 30 km/h.

Im Jahr 2022 ließe sich davon ausgehen, dass sich die Situation für Fußgänger*innen damit wesentlich verbessert hat. Für in Mariatrost lebende Menschen, die ihre Alltagswege entlang der Mariatroster Straße zu Fuß erledigen wollen, trifft das aber keineswegs zu.

Schon in der Gehsteigverordnung der Stadt Graz vom 03.12.1982 sind Bestimmungen über die Breite und Ausführungsart von Gehsteigen erlassen worden.

Auf Grund des §10 Abs. 1 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 in der Fassung LGBl. Nr. 55/1977, wird verordnet:

§ 1 Gehsteigbreiten

2. Verkehrsstraßen
Diese dienen primär der Verkehrsbewegung und sekundär dem Anrainerverkehr. Verkehrsstraßen stellen die Verbindung zu den Hauptverkehrsstraßen und von Stadtteilen untereinander her.
Gehsteigbreiten: 2,00 bis 3,00 Meter

3. Sammelstraßen
Diese dienen dem Binnenverkehr in einem Stadtgebiet und dem Anrainerverkehr. Sammelstraßen sammeln den Verkehr an Lokalstraßen und führen ihn den Verkehrsstraßen zu.
Gehsteigbreiten: 1,50 bis 3,00 Meter 

Die Mariatroster Straße fällt aufgrund ihres Verkehrsaufkommens zumindest in die Kategorie Verkehrsstraße. Damit müssten die Gehsteige mindestens 2,0 m breit sein und das gilt seit 1982!
Diese erforderliche Breite ist nahezu nirgends vorhanden, oftmals sind die Gehsteige gar nur 80 cm bis vielleicht 1,20 m breit. Solch schmale Gehsteige sind also laut Baugesetz gar keine Gehsteige sondern werden vom Grazer Straßenamt als erhöhte Schutzstreifen bezeichnet. (In Ermangelung eines Maßbandes habe ich mit 30 cm langen Zeitungsblättern gemessen.)

Das gefahrlose und bequeme Gehen ist hier nicht möglich. Für Menschen mit Einschränkungen sind diese zu schmalen Gehwege viel zu gefährlich bzw. gar nicht nutzbar. Die Verantwortlichen der Stadt haben in ihren Planungen für Maria Trost auf nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer*innen, die auf barrierefreie Gehsteige angewiesen sind und auch ein (Menschen)Recht darauf haben, vergessen. Das ist skandalös!

Für die nahe gelegene Volksschule St. Johann wird im Schulwegplan, der von der AUVA u.a. auch mit Grazer Straßenamt und Verkehrsplanung erstellt wurde, auf die besondere Gefahrensituation für Schulkinder hingewiesen. 
Dafür wurden in einem Bereich des Schulweges mit besonders schmalen Gehsteig (0,80 bis 0,90 Meter) Längsparkbuchten für Autos realisiert.

Seit Jahren werden entlang der Mariatroster Straße viele neue Wohnbauten mit hoher Dichte errichtet. Sogar Felsen wurden für Anlegerwohnbauten weggesprengt. Gierige Bauherren/Investoren nutzen jeden Quadratmeter für Verwertungszwecke aus und positionieren ihre Wohnbauten meist unmittelbar am Gehsteigrand mit Zustimmung der zuständigen Planungsämter und unter Beteiligung von Architekturbüros. Beim Wohnobjekt Mariatrosterstraße 138 (Mag. Maier Immobilien) wurde mit Laubengang und Maschendrahtzaun direkt an den nur 1,20 m breiten und damit nicht der Ö-Norm entsprechenden Gehsteig herangebaut. (Planung smire Architektur). Auch hier hat sich die Stadt Graz nicht um eine erforderliche Gehsteigverbreiterung gekümmert. Am Ende der Heinrichstraße und Beginn der Mariatroster Straße hat vor kurzem die Chronos-Wohnbaugruppe ein „unglaubliches“ Wohnprojekt errichtet (Baubeginn Herbst 2019). Auch hier hat man zwar eine für die Situation zu hohe Bebauungsdichte ermöglicht, aber auf eine Gehsteigregulierung verzichtet. Fußgänger*innen müssen um straßenseitige Parkplätze herum einen Zickzackkurs am ebenfalls zu schmalen Gehsteig hinlegen. Dafür passen eigentlich nur mehr Wörter wie: Wahnsinn, Schildbürgerstreich, Planlosigkeit. Am besten trifft es aber das Wort Verantwortungslosigkeit! 

Trotz aller Zielsetzungen, Regeln und Vorgaben hat die Stadt Graz es in Mariatrost (seit fast 40 Jahren) nachhaltig verabsäumt, für genügend breite und damit auch attraktive Gehsteige zu sorgen. Und somit hat in der Mariatroster Straße auch weiterhin der motorisierte Verkehr Vorrang und nicht die Sanfte Mobilität.  

Elisabeth Kabelis-Lechner

Antwort auf von Robert Bittner

Herr Kollege Bittner, das ist die Wahrheit. Das Gebäude ist bis auf diesen minimalistischen privaten Grünstreifen von einem Maschendrahtzaun umgeben und dieser steht direkt an der Grundgrenze.
Als Planer hätten Sie sich ja auch im Sinne der Fußgänger*innen bzw. des Stadtraumes engagieren können.

Fr. 01/04/2022 16:34 Permalink
Jördis Tornquist

Diese ausgezeichnete Analyse bitte in der Heinrichstraße fortsetzten!
Z.B. Gegenüber des "neuen" Wohnprojektes Heinrichstraße Nr. 73?, gibt es gegenüber gar keinen Gehsteig. Es gehen dort immer junge Leute! Die Fahrbahn muss verengt werden, das Tempo runter auf 30! Auch vor dem Weißen Kreuz (Gasthaus). Frau Kahr/verhersamt haben seit Jahren eine Petition am Tisch.
PS: Super kreativ mit den Zeitungsblättern, sollte man überall, wo nicht einmal 4 der Länge nach Platz haben auslegen, zur Mahnung und gleich mit Farbe nachzeichnen!

Mo. 04/04/2022 11:51 Permalink
Astrid Wlach

Sehr geehrte Frau Kabelis-Lechner,
Ich stimme Ihnen zu, dass die bisherige Art und Weise zu bauen eine gänzliche Missachtung der Bedürfnisse von gehenden/radfahrenden/rollifahrenden Personen ist.
Die zuständige Vizebürgermeisterin und ihr Team arbeiten intensiv am Vorrang der zu Fuß gehenden Menschen und ich werde mich natürlich in Mariatrost weiterhin dafür einsetzen.
Astrid Wlach
Bezirksvorsteherin Mariatrost

Mi. 30/03/2022 9:51 Permalink
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