24/06/2014

Die Architektur-Biennale in Venedig findet 2014 zum 14. Mal statt und wurde diesmal von Rem Koolhaas kuratiert und mit dem Titel Fundamentals versehen.

Ausstellung von 7. Juni bis 23. November 2014.

24/06/2014

Die 14. Architektur-Biennale läuft bis 23. November 2014.

©: Martin Grabner

Rem Koolhaas, Kurator der 14. Internationalen Architekturausstellung.

©: La Biennale di Venezia 2016

Fair Enough: Russia’s past our Present. Messe-Design at its worst.

©: La Biennale di Venezia 2016

Bungalow Germania. Der Kanzler Bungalow räumlich überlagert mit dem deutschen Pavillon.

©: Martin Grabner

Modernity: Promise or Menace? Jacques Tatis Villa Arpel x 3 im französischen Pavillon.

©: Martin Grabner

Monolith Controversies. Der chilenische Pavillon gewann den Silbernen Löwen mit einem Betonfertigteilelement, das mehrere Ideologien miterlebt hat.

©: La Biennale di Venezia 2016

Crow’s Eye View: The Korean Peninsula. Der Goldene Löwe ging an den Pavillon der Republik Korea, der Architektur in Süd- und Nordkorea untersucht.

©: La Biennale di Venezia 2016

Plenum: Places of Power. Ein Wandteppich aus Parlamentsgebäuden: Der österreichische Pavillon.

©: Martin Grabner

The Urburb. Die Roboter im israelischen Pavillon zeichnen stupide Karten und Pläne in den Sand.

©: Martin Grabner

Der Eingang zu Rem Koolhaas’ Ausstellung Elements of Architecture.

©: Martin Grabner

Elements of Architecture: Das Kapitel Balkone.

©: La Biennale di Venezia 2016

Im Arsenale steht Italien im Mittelpunkt: Monditalia.

©: Martin Grabner

Insgesamt 82 italienische Filme vermitteln im Arsenale ein umfassendes Bild des Gastgeberlandes.

©: Martin Grabner

Rem Koolhaas baut übrigens auch gerade in Venedig: Fondaco dei Tedeschi nahe der Rialtobrücke.

©: Martin Grabner

Keine (Star-)ArchitektInnen, sondern Architektur soll auf der 14. Architektur-Biennale in Venedig zu sehen sein. So der Anspruch des diesjährigen Direktors Rem Koolhaas. Und das ist ihm tatsächlich gelungen! Unter dem Titel Fundamentals will er das Grundlegende in und hinter der gebauten Architektur vor den Vorhang holen, eine Art gemeinsame Basis des weltweiten Architekturschaffens finden. Geht es nach dem Niederländer, der zu Recht als der interessanteste sowohl bauende als auch schreibende Architekt der Gegenwart gilt, soll die Biennale keine Leistungsschau für Hochglanzarchitektur sein, sondern vielmehr selbst ein Forschungsprojekt.

Die Moderne absorbieren oder von ihr absorbiert werden

Um sie inhaltlich besser zu integrieren, wurde von Koolhaas erstmals auch den nationalen Ausstellungen ein Thema vorgegeben. Unter dem Titel Absorbing Modernity 1914–2014 untersuchen die einzelnen Länder die Konfrontation und Wechselwirkung ihrer charakteristischen nationalen Identitäten mit der internationalen Sprache der Moderne – mit unterschiedlich ausgeprägter Kreativität. Denn leider bleiben viele der Ausstellungen zu brav und zahnlos.
Am frechsten sticht der russische Pavillon hervor, der dafür auch eine der drei Anerkennungen erhielt: Fair Enough erinnert im ersten Moment an frühere russische Beiträge, die nur selten durch Zurückhaltung auffielen, entpuppt sich auf den zweiten Blick aber als scharfe und treffende Kritik am neoliberalen, oberflächlich gewordenen Geschäft mit der Architektur. In besonders banal gestalteter, marktschreierischer Messe-Architektur werden altbekannte Architekturkonzepte als Top-Seller angepriesen: Pre Fab Corp bietet Plattenbauwohnungen feil, Estetika Ltd. goldene Deko-Versatzstücke und auch der vertrauenswürdige Kreditberater für den Finanzierungsplan ist nicht weit. Eine parodistisch auftretende Inszenierung, die jedoch beängstigend nahe an der Realität liegt.

It’s all about Ideologies

Am interessantesten sind durchwegs jene Beiträge, die sich auf einzelne Aspekte der Moderne konzentrieren, anstatt umfangreiche Kompendien an Bauwerken der letzten 100 Jahre zu präsentieren. (Das funktioniert nur bei Ländern aus architektonisch hierzulande sonst wenig beachteten Weltregionen.) So erschaffen die deutschen Kuratoren einen ziemlich leeren, aber umso spannenderen Raum, indem sie den deutschen Pavillon mit dem ehemaligen Kanzler-Bungalow in Bonn, dem früheren Wohnzimmer der Nation, räumlich überlagern. Das heutige Aussehen des Pavillons stammt aus dem Jahr 1938, sieht auch genauso aus und verlangt jährlich nach einer kritischen Auseinandersetzung, der Kanzler-Bungalow wurde 1964 von Sep Ruf errichtet. Die beiden geschichtlich aufgeladenen, der Repräsentation gewidmeten Gebäude verschmelzen zu einer reduzierten und doch verdichteten Analyse der Wechselwirkung von Architektur und Gesellschaft.
Der gleich gegenüberliegende französische Pavillon beschäftigt sich mehr mit dem französischen Einfluss auf die Moderne als umgekehrt und erhielt ebenfalls eine Anerkennung. Die Themen Vorfertigung, Vorhangfassade und groß dimensionierter sozialer Wohnbau (anhand der 1942 zu einem NS-Lager umfunktionierten Cité de la Muette) umgeben den zentralen Raum, in dem Szenen aus Jacques Tatis kritischem Meisterwerk zur Moderne, Mon Oncle, zu einem 1:10 Modell des Hauptdarstellers des Films, der Villa Arpel, in Bezug gesetzt werden.
Vorfertigung ist auch das Thema des mit dem Silbernen Löwen ausgezeichneten chilenischen Beitrags. Ein Betonfertigteil steht nicht nur mitten im Raum, sondern auch symbolisch für die politisch konnotierte Hybris der Moderne in Chile unter verschiedenen Ideologien: Die Sowjetunion schenkte dem Bruderstaat Chile 1972 eine Produktionsanlage für die, KPD genannten, Wandelemente, in der im Laufe der Jahrzehnte 170 Millionen Appartements produziert wurden.
Der Goldene Löwe ging an den koreanischen Pavillon, der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Architektur der beiden Koreas untersucht. Im Norden wird moderne Architektur zur Repräsentation des Staates instrumentalisiert, im Süden verkörpert sie die Ideale des globalisierten kapitalistischen Systems. Die jeden Winkel des Pavillons ausnützende, interdisziplinäre Analyse von Kollektiv und Individuum in den gegensätzlichen politischen Systemen schafft alternative Narrative zur dominanten westlichen Geschichtsschreibung.

Welche Form hat die Demokratie?

Auch der österreichische Pavillon, kuratiert von Christian Kühn und Harald Trapp, beschäftigt sich mit der Architektur der Repräsentation. Alle knapp 200 Parlamentsgebäude der Welt wurden für Plenum: Places of Power untersucht und einige nicht uninteressante Erkenntnisse gewonnen. Etwa, dass zwar der Großteil der Parlamentsgebäude nach 1950 gebaut wurde, aber nur die wenigsten den Idealen der Moderne folgen, sondern zumeist im Klassizismus verharren: Die Demokratie ist noch auf der Suche nach ihrer architektonischen Form. Der ästhetisch ansprechende Teppich aus weißen Parlamentsmodellen, der die Wände von Josef Hoffmans Pavillon (selbst ein Zwitter aus antimodernem Konzept bei seiner Errichtung 1934 und späterem Umbau im Sinne der klassischen Moderne durch Hoffmann selbst) ziert, nimmt den Parlamenten als mahnende Referenz an aufkommende nationalistische Tendenzen zwar den Boden unter den Füßen, kann aber die umfangreichen, in einem Buch veröffentlichten Fakten leider nicht vermitteln. Etwa, dass nur ein Drittel aller Parlamentsgebäude auch Demokratien beherbergen. Oder nur 25 voll entwickelte Demokratien auf der Erde existieren (Österreich gehört dazu), aber 51 Autokratien. Schade ist auch, dass die Eröffnung im Gegensatz zu vielen anderen Ländern auf Deutsch bestritten wurde. Fehlt das Selbstbewusstsein oder geht es letztlich gar nur um ein Sehen und Gesehen werden innerhalb der österreichischen Szene? Der Architektur und Kunst würden etwas mehr Öffnung und Internationalität sicher nicht schaden. Gerade bei einem so internationalen Thema.
Nicht versäumen sollte man auch den italienischen Pavillon, den israelischen Beitrag, der mit stupide Karten und Pläne in Sandbetten zeichnenden und dann wieder löschenden Robotern siedlungsplanerische Irrwege kritisiert, die weder Stadt noch Land, sondern endlose Suburbanität produzieren, und den nahe der Gallerie dell’ Accademia beheimateten zyprischen Pavillon, wo unter Beteiligung der Besucher die kulturellen und sozialen Schichten der geteilten Inselhauptstadt Nikosia freigelegt werden. Einen Besuch ist auch die umfangreiche Ausstellung Time Space Existence wert, die mit österreichischer Beteiligung im Palazzo Bembo und im Palazzo Mora stattfindet.

Elementares

Den zentralen Pavillon der Giardini bespielt Koolhaas mit seiner Ausstellung Elements of Architecture, die die (anscheinend) 15 der Architektur zugrunde liegenden Elemente behandelt. Sie ist ein Auszug aus dem gleichnamigen Buch, das Koolhaas mit Studierenden der Harvard Graduate School of Design erarbeitet hat. Jedem Element ist ein Raum gewidmet, in dem spezifische Aspekte gezeigt werden – in sehr unterschiedlicher Qualität. Beeindruckend ist die riesige, geöffnete abgehängte Decke, die unter der Kuppel installiert wurde und das Primat von Funktionalität und Pragmatismus in der heutigen Architekturproduktion schonungslos offenlegt und zur Diskussion stellt. Ebenfalls spannend ist das Kapitel Balkone, in dem die enge Verknüpfung eines architektonischen Elements mit gesellschaftlicher Bedeutung und politischen Ereignissen deutlich wird. Die meisten anderen Räume bleiben unauffällig, leben oft nur von den vielen originalen, teilweise technisch sehenswerten Ausstellungsstücken. Und die Rolltreppe hat es vermutlich nur aufgrund der Passion Koolhaas’ in die Auswahl geschafft, die er ihr seit „Junkspace“, seiner genialen Analyse kommerzieller Räume von 2001 entgegenbringt. Insgesamt wirkt der Pavillon überladen und hektisch, in einer postmodernen Heterogenität wechseln sich Spezifisches und Allgemeines, Konkretes und Abstraktes, Großes und Kleines ab. Viel schwerer wiegt jedoch, dass Koolhaas die teilweise ernüchternde Realität aufzeigt, jedoch nicht einmal versucht, Antworten oder Strategien zu liefern.

Italien als Prototyp der Gegenwart

Konsequenter präsentiert sich die ebenfalls von Koolhaas kuratierte Ausstellung Monditalia im Arsenale, die das Gastgeberland Italien als den Prototyp eines Landes im Umgang mit den Herausforderungen und Potenzialen der globalisierten Welt mit künstlerischen Mitteln beforscht. Dazu wurden erstmals auch die anderen Sparten der Biennale – Film, Tanz, Theater und Musik – eingeladen. Sie bespielen zahlreiche Bühnen innerhalb der Ausstellung, was allerdings zu dem Problem führt, dass dort ziemlich oft genau gar nichts passiert. Die fast 80 italienischen Filme, die im Arsenale projiziert werden, laden hingegen dazu ein, sich in die vielen Facetten und Narrative Italiens fallen zu lassen. Die Italian Case Studies, die einzelnen Beiträge von Architekten, Künstlern und Wissenschaftlern, zeichnen ein abwechslungsreiches und oft knallhartes Bild vom Italien der Gegenwart. Sie bearbeiten beispielsweise den schwierigen Umgang mit dem reichen kulturellen Erbe und der Natur, moderne Projekte und deren Folgen oder das Flüchtlingsdrama auf Lampedusa. Hier werden die Fragen gestellt, die Elements nicht stellt: Wo führen uns die aktuellen gesellschaftlichen, politischen und architektonischen Entwicklungen hin? Und vor allem: Was können wir tun?

Nicht perfekt, aber eine Reise wert!

Die 14. Architektur-Biennale lässt einen, wie auch die Vorgängerinnen, zwiespältig zurück. Vielleicht waren die Erwartungen angesichts des großen Namens Koolhaas, der eine Biennale ohne große Namen gestaltete, zu hoch. Vielleicht konnte er sich auch nicht so frei entfalten, wie in seinen Büchern und Bauten (zumindest wirkte er bei den eher unter Peinlichkeit einzuordnenden Podiumsdiskussionen mit Vertretern sponsernder Firmen nicht gerade befreit). Während einige der nationalen Kuratoren seine Vorgabe erfolgreich umsetzen konnten und auch Monditalia durchaus überzeugt, erscheint Elements zu viel und zu wenig zugleich. Architektur ist eben doch mehr als die Summe ihrer einzelnen Elemente.

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