03/12/2008
03/12/2008

Abb. 4

Abb. 8

Abb. 9 Foto: Ruth Oberthaler

Abb. 10

Abb. 11, Fotos wenn nicht anders angegeben: Kinderbüro Graz

Abb. 1 Foto: Ruth Oberthaler

Abb. 2 Foto: Ruth Oberthaler

Abb. 3, Foto: Ruth Oberthaler

Abb. 6

Abb. 5

Abb. 7

Vortrag im Rahmen des Symposiums IN/OUT - ARCHITEKTUR FÜR ALLE, einer Veranstaltung des Grazer Architekturnetzwerk LIVING ROOMS zu den Themen Barrierefreiheit, Fluchtverhalten und Fluchtwege, am 10.10.2008 im Kunsthaus Graz.

KINDERGERECHTE RÄUME. KINDERGERECHTES PLANEN UND BAUEN.

Ich möchte Ihnen in drei Blöcken einen Einblick geben, was kindergerechte Räume ausmacht. Was es braucht, damit sich Mädchen und Buben in Räumen wohl fühlen. Und auf welche Hürden Kinder stoßen, wenn sie sich selbständig auf den Weg machen.
Unser Leben wird – besonders im urbanen Raum – sehr von der baulichen Umwelt geprägt. Dort, wo praktisch keine Naturräume mehr erhalten sind, ist die Qualität der Architektur und des Städtebaus entscheidend für die Lebensqualität. Hier muss umso mehr auf die Grundbedürfnisse von Mädchen und Buben nach Rückzug und Bewegung, Naturerfahrungen, Spiel und Erholung eingegangen werden, da das Aufwachsen in einer kindergerechten Umgebung ganz wesentlich zu einer positiven Entwicklung unserer Kinder beiträgt.
Dies lässt sich anhand dreier Lebenswelten gut beschreiben:

1. die elterliche Wohnung mit dem dazugehörigen Außenraum
2. das Umfeld der Wohnsiedlung
3. Kinder im öffentlichen Raum

Im Anschluss werde ich kurz auf Kriterien für kindergerechte Räume eingehen.

Zu Punkt 1
Kinder sollen so wohnen, dass sie ihr ganzes Entwicklungspotential ausschöpfen können. Dazu ist es notwendig bei der Planung von Wohnungen unterschiedliche entwicklungspsychologische Bedürfnisse zu berücksichtigen. Kinder entfernen sich das erste Mal von ihrer Bezugsperson, sobald sie zu krabbeln beginnen. Mit den ersten Schritten wird der Aktionsradius von Kleinkindern nach und nach erweitert, bis hin zum Schulalter, wo sich Kinder den Raum von ihrem zuhause aus bis zur Schule und FreundInnen erobern.
Kinder, besonders Jüngere spielen und lernen bevorzugt in der Nähe ihrer Bezugspersonen. Babys und Kleinkinder brauchen nicht unbedingt ein eigenes Zimmer. Ein Bereich für Spielsachen und ein eigener Schlafplatz sind meist ausreichend.
Ist der klassische Wohn- Küchenraum geräumig, so kann hier das Familienleben stattfinden. Hier kann gearbeitet und gespielt werden. Ein zentraler Familienraum (Wohnzimmer und/ oder Küche) mit ausreichend Platz sollte in keinem Wohnbau fehlen. Er dient als Treffpunkt für alle Familienmitglieder, hier wird gegessen, gespielt und gearbeitet. Spielsachen können in dem dafür vorgesehenem Bereich auch einmal liegen bleiben und sind trotzdem nicht störend.

Zu Punkt 2:
Für den Außenbereich von Siedlungen bedeutet dies, kleine überschaubare Spielbereiche zu schaffen, die in Sicht- und Hörweite zur Wohnung liegen. Das ermöglicht kleinen Kindern alleine nach draußen gehen zu können und Eltern können trotzdem ihre Kinder im Auge behalten. Diese sollten so ausgestattet sein, dass sich auch Eltern wohlfühlen, mit anderen Eltern ins Gespräch kommen und verweilen, wenn sie ihre Kinder begleiten.
Diese klassischen Kleinkinderspielplätze sind in den meisten Wohnsiedlungen anzutreffen. Werden sie überlegt und nachhaltig gestaltet, bieten sie Mädchen und Buben für viele Jahre einen anregenden Spielort. (Abb. 1) Wenn es an diesen Spielorten ansprechende Sitzgelegenheiten gibt, können sie auch zum Treffpunkt und Kommunikationsplatz für die Eltern werden.
Ältere Kinder brauchen zunehmend mehr Raum für sich. Sie benötigen sowohl Platz zum Toben und Spielen als auch Raum für Rückzug und Ruhe. Im Schulalter, spätestens mit Beginn der Pubertät, sollte jedem Kind sein eigenes Zimmer zugestanden werden.
Gute Schalldämmung, auch innerhalb der Wohnung macht sich spätestens dann bezahlt, wenn Jugendliche beginnen mit ihren FreundInnen Musik zu hören. Gute Schalldämmung ist ein wesentlicher Beitrag Nachbarschaftskonflikten präventiv zu begegnen und erhöht die Wohnqualität aller BewohnerInnen.

Auch für das Spiel im Freien wird mit zunehmendem Alter von Mädchen und Buben mehr Platz beansprucht. Kinder erobern sich ihre Spielräume, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Schrittweise entfernen sie sich vom Kleinkinderspielbereich in umliegende Zonen. Häufig sind dies nicht jene Orte, die Erwachsene für Kinder vorsehen.
Eingangsbereiche oder Tiefgaragen können beliebte Verweilorte für Mädchen und Buben sein, auch, oder vielleicht gerade deshalb, weil sie für eine andere Nutzung bestimmt sind.
Mit zunehmendem Alter verändert sich die „Spielkultur“. Schulkinder brauchen Platz zum Fahrradfahren, Baumklettern, ein gestaltbares Gelände, wo sie vielleicht eine Hütte bauen können, Sport Möglichkeiten,……toben, laufen, fangen, verstecken, laut sein. Dazu eignet sich eine Fläche an der Außengrenze der Siedlung besser als der "Innenhof" (geringeres Konfliktpotential durch unterschiedliche Bedürfnisse von verschiedenen BewohnerInnen). (Abb. 2-3)

Leider wird bei der Planung und Gestaltung von Außenräumen häufig auf die Bedürfnisse von jugendlichen Mädchen und Burschen vergessen. Dies wird spätestens dann spürbar, wenn sie sich laut und deutlich Räume erobern. Freiflächen am Rand der Siedlung erlauben altersadäquate Spiel- und Sportmöglichkeiten. Durch die Randlage und einer guten Abgrenzung zu Verkehrsflächen wird dem Konfliktpotential entgegengewirkt, das durch unterschiedliche Bedürfnisse von verschiedenen BewohnerInnen entstehen kann. (Abb.4) Eine gemütliche Sitzlaube kann zum beliebten Treffpunkt für Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters werden. Gemeinschaftsräume in Wohnsiedlungen, in denen Mädchen und Buben auch bei Schlechtwetter Möglichkeit zum Spielen und Treffen mit FreundInnen haben, bieten eine Alternative zum oft kleinen Kinderzimmer in der kühleren Jahreszeit. Leider ist die Errichtung von Gemeinschaftsräumen im steirischen Wohnbau nicht vorgesehen.

Zu Punkt 3:
Kinder machen sich selbständig auf den Weg. (Abb. 5). Mit zunehmender Selbständigkeit wird es auch interessant, sich von der Siedlung zu entfernen, einen Spiel- oder Sportplatz aufzusuchen oder ins nahe gelegene Schwimmbad, oder in die Bibliothek zu gehen. Kinder sind entweder zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, um ihr Wohnumfeld zu erkunden und Freunde oder Freundinnen zu besuchen. Gibt es ein Fußwegenetz, das für Jung und Alt attraktiv ist? Oder stoßen Kinder auf Hürden, wenn sie sich weg von der Siedlung zum Sportplatz begeben? Gehwege werden häufig zugeparkt oder der Gehweg endet abrupt und Kinder sind gezwungen die Fahrbahn zu betreten. Spiel- und Sportplätze sind nur so gut wie ihre Erreichbarkeit.
Beim öffentlichen Verkehr mangelt es nach wie vor häufig an der Gestaltung der Haltestellen. Sie muss übersichtlich und einsehbar sein. Fahrpläne müssen so montiert sein, dass die auch von jungen Schulkindern mühelos gelesen werden können. (Abb. 6)
Kleine Kinder und Babys sind natürlich in Begleitung von Erwachsenen unterwegs. Eltern mit Kinderwagen haben oft einen Hürdenlauf zu bewältigen: Mülltonnen, Plakatständer, Baustellenabsperrungen, Fahrräder und Autos verstellen häufig die Gehwege. Eingangstüren sind oft schwer und kaum mit einer Hand zu handhaben. Endlich im Gebäude angelangt, stellen Treppen eine erneute Hürde dar. (Abb.7)

Folgende Fragen können als Kriterium für Kindergerechtigkeit im Wohnbau und im öffentlichen Raum herangezogen werden:
Haben Kinder Raum sich zu entfalten?
Können sich Mädchen und Buben frei bewegen? (Gibt es ausreichend Platz für Bewegung? Dürfen öffentliche Plätze/ Räume bespielt werden?) (Abb. 8)
Gibt es genügend Rückzugsmöglichkeiten für Kinder? (z. B. Lümmelzone in einem Museum) (Abb. 9)
Wird kindliches Spielen als eine dem Kind innewohnende notwendige Aktivität gesehen? Kinder eignen sich ihre Umwelt im Spiel an. Dies findet jedoch nicht nur innerhalb bestimmter Grenzen und in dafür vorgesehenen Räumen statt.
Können Kinder Spuren in ihrem Umfeld hinterlassen? (Abb. 10)
Werden Kinder bereits in die Planung eingebunden? Dürfen sie sich bei der Planung und Gestaltung „ihrer“ Räume beteiligen?
Können Kinder ihr Umfeld gestalten? (Ist es möglich die Möbel im eigenen Zimmer umzustellen?
Werden Kinder durch bauliche Maßnahmen in ihrer Selbständigkeit unterstützt? Kann die Klingel erreicht werden? (Abb. 11)
Kann das Kind das Fahrrad alleine aus dem Fahrradabstellraum holen? (Garderobenhaken in Kinderhöhe; Ausstattung von WCs)
Können sich Kinder in ihrer Umgebung orientieren? Kann der eigene Hauseingang wieder erkannt werden?
Die Eingangssituation bei öffentlichen Gebäuden hat einen anderen Charakter als in Wohnsiedlungen, stellt trotzdem häufig eine Hürde für Eltern und Kinder dar. Hier geht es weniger um den Wiedererkennungswert, sondern häufig um die Frage des Öffnens und Eintreten können.
Wird der Bewegungsdrang von Mädchen und Buben durch den Autoverkehr eingeschränkt? Können sie sich frei bewegen?
Gibt es markante Plätze, Wege, Gebäude, Straßen, die eine Orientierung erleichtern? Die einen Wiedererkennungswert haben?
Können verschiedene Stadtteile von Kindern gefahrlos erreicht werden?
Sind Rad- und Gehwege durchgängig?
Wird Familien das Leben erleichtert?
Gibt es ausreichend Platz für Kinderwägen und Kleinkinderfahrzeuge? (die nicht im Fahrradraum abgestellt werden?)
Wird die Kommunikation innerhalb der Siedlung gefördert?
Gibt es Plätze, an denen man sich gerne trifft?
Gibt es in öffentlichen Gebäuden einen ansprechenden Raum, um sich mit einem Baby auch zurückziehen zu können, es zu wickeln und zu füttern?
Gibt es in öffentlichen Gebäuden Plätze die zum Verweilen einladen, an denen nichts konsumiert werden muss?

Kinder und Jugendliche wollen ihren Raum aktiv mitgestalten. Sie wollen mitreden dürfen bei der Gestaltung von Räumen und Plätzen, die sie nützen. Dies betrifft sowohl das eigene Kinderzimmer, die Freiraumgestaltung in der Siedlung als auch die Gestaltung von öffentlichen Räumen und Plätzen. Die Vorteile der Partizipation von Kindern und Jugendlichen liegen klar auf der Hand: Dort wo Kinder ihr Umfeld mitbestimmen dürfen, fühlen sie sich ernst genommen und ein Stück weit verantwortlich für ihr Umfeld.
Es ist kein Luxus die Bedürfnisse von Kinder mit zu denken, sondern eine Notwendigkeit auf die Mädchen und Buben ein Recht haben.

Kind ist nicht gleich Kind: Es gibt große und kleine Kinder, Babys, Kleinkinder, Schulkinder, behinderte und nicht behinderte Mädchen und Buben, jugendliche Burschen und jugendliche Mädchen, Kinder unterschiedlicher Kulturen und Religionen. Und trotzdem sind sie alle Kinder, deren Recht es ist, dass man sie mitdenken, und sie mit entscheiden lässt, wenn es um sie betreffende Angelegenheiten geht. Für öffentliche Gebäude bedeuten dies auf unterschiedliche Bedürfnisse von unterschiedlichen Menschen einzugehen. Ein/e Rollstuhlfahrer/in hat vielleicht ähnliche Raumansprüche wie ein Baby im Kinderwagen. Ein dreijähriges Mädchen allerdings andere Bedürfnisse bei der Ausstattung der WC-Anlage als ein achtjähriges Mädchen (kleine WC Brille, Schemel beim Waschbecken, Spiegelhöhe,…).
Trotzdem sind beides Kinder.

Kurzbiografie der Autorin:

Mag.a Monika Zachhuber, geb. 1973 in Linz, Mutter zweier Söhne, Studium der Erziehungswissenschaften, Trainerin der Erwachsenenbildung, Ausbildung in Montessoripädagogik, seit 2003 Projektmanagement im Kinderbüro Steiermark, Bereiche Wohnen, Stadt, Verkehr.

Verfasser/in:
Monika Zachhuber, Kinderbüro Steiermark für kinderGAT
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