19/06/2012
19/06/2012

Bild 2: Volker Giencke mit Günther Domenig, Graz 1973

Bild 3: Talk-In mit Reyner Banham, Domenig v.l. ca. 1977

Bild 5: Forschungszentrum Leoben, 1974, Architekten Domenig-Huth

Bild 4: SchwimmhalleMünchen, Architekten Domenig-Huth

Bild 7: Speisesaal Schulschwestern Graz-Eggenberg, Architekten Domenig-Huth

Bild 6: Künstlerhaus Graz, Trigon ´67

Bild 8: WB Ballhausplatz Wien, 1975, Architekt Domenig

Bild 1: Volker Giencke mit Günther Domenig, Biennale Venedig 2004

Am Himmel fliegt ein weißer Strich seine Runden, zwischen hohen Bergen. Bald werde ich selbst in der Luft sein, auf dem Flug über die Alpen und entfernt von den Dingen.
Günther Domenig ist nicht mehr.Der Halbstarke, den ich 1972 kennenlernte, mit den hohen Holzpantoffeln, der tief hängenden Gliederkette hinter dem halbgeöffneten Hemd, und der Vokuhila-Frisur wird für immer Erinnerung sein. 1972 war Günther Domenig Gastprofessor für Entwerfen an der TU Graz. Professoren hatten damals noch weiße Mäntel an - was ihre Position nicht unbedingt verbesserte. Günther Domenig hat viele Gesichter. Dahinter steht immer derselbe Mensch.
Er war unendlich scheu, oft fast wortlos, ging Auseindersetzungen am liebsten aus dem Wege - und schrie und verletzte andere, wenn er sich selbst verletzt fühlte.
7 Jahre, wilde, unendlich spannende Jahre folgten der ersten Bekanntschaft, Jahre voller Auseinandersetzungen und getragen von einer Freundschaft, die man nach außen hin nicht zeigt.Wie so oft im Leben von Architekten sind die besseren Entwürfe nicht gebaut worden. Die besseren Projekte verloren Wettbewerbe. Die großartigen Projekte aus der Partnerschaft mit Eilfried Huth, Medium Total, die Ragnitz und Floraskin blieben unrealisiert. Die Ragnitz, geplant mit den besten Studenten der Architekturfakultät, fand zumindest weltweite mediale Verbreitung. Floraskin erlebte seine Teilverwirklichung im Restaurant-Pavillon der Schwimmhalle, die anlässlich der Olympischen Spiele 1972 in München von Günther Behnisch und Frei Otto gebaut wurde. Doch das seltene Beispiel für eine zeitgenössische Raumskulptur von konstruktiver Schönheit wurde vor ein paar Jahren abgerissen. Die Pädagogische Akademie in Graz-Eggenberg, Zeugnis des Beton Brut in Graz, wurde inzwischen fragwürdig saniert und ergänzt. Das Forschungszentrum der Montanunion in Leoben, 40 Jahre lang das beste Beispiel für neue Architektur in der Steiermark außerhalb von Graz und Umgebung, wurde schlichtweg verunstaltet.
Die grandiose Rauminstallation vor dem Künstlerhaus in Graz anlässlich Trigon `67 war von Vornherein temporär geplant und ist Geschichte.
Und schließlich der Speisesaal der Schulschwestern in Graz-Eggenberg, eigentlich ein Mehrzwecksaal, meine erste örtliche Bauleitung. Eine wunderschöne Idee im Konstruktiven wie im Formalen. Später von kopflosen Barbaren eingerüstet mit Blech.Flamenco-Sänger schreien ihre Enttäuschung in die Welt hinaus und bewegen damit zumindest Flamenco-Tänzerinnen. Als Günther Domenig anlässlich der Eröffnung der Landesausstellung in Hüttenberg die Ignoranz und Verhinderungsmentalität des Bürgermeisters öffentlich geißelte, verließ dieser den Raum, aber nicht sein Amt.

Wäre der Wettbewerbsentwurf Domenigs für die Neubebauung des Ballhausplatzes in Wien tatsächlich gebaut worden, die zeitgenössische Architektur in Österreich hätte ab 1975 eine andere Richtung genommen. So aber setzten sich postmoderner Quatsch und eine widerlich verbrämte Kisten-Architektur durch, die beide selbst von Fachjurien bis heute stolz als gemeinsamer Nenner für das Nichts in der Architektur präsentiert werden.
Günther Domenig musste sich mit einer Bankfiliale für die „Z“ auf einem kleinem Grundstück in Wien-Favoriten begnügen. Diese Bauvorhaben wurde während des Bauens von der Creme der Wiener Architektur, der sog. Wiener Klassik, ignoriert und danach für entbehrlich empfunden. Dank Krista Fleischmann/ORF und ausländischen Architekturmedien wurde dieses Projekt aber in jedes Werkverzeichnis über Emerging Architecture ab 1970 aufgenommen. Günther Domenig war plötzlich international bekannter als die Wiener Partie und hofiertes Mitglied der Szene. Nur Walter Pichler war ein Freund auf gleicher Augenhöhe. Der aus Paris nach Wien zurückgekehrte Helmut Richter, als Student in den 60er-Jahren Mitarbeiter im Grazer Büro, und ich, wir waren die bevorzugten Gesprächspartner im ehemaligen Cafe Erzherzog Rainer, beim Chinesen in der Schleifmühlgasse und ab 22.00 Uhr überall sonst. Domenig und ich waren uns einig, dass es heute in Jurien schwieriger ist, die eigenen Kollegen von der Qualität der Architektur zu überzeugen als Bürgermeister und Bauträger. Dass viele dieser kollegialen Gespenster auch noch akademische Karrieren erleben, macht die Situation unerträglich. Nicht zuletzt deshalb verließ Domenig vorzeitig die Fakultät. Doch das persönliche Beispiel bewirkte nichts. Im Gegenteil, man war froh einen Mahner weniger zu haben, bestellte die Mittelmäßigkeit als Ersatz und machte so weiter wie bisher - mittelmäßig, nun ungestört. Dass inzwischen selbst Baumanager die Architektur, die geschieht, als „bestenfalls auffällig oder nur mehr gefällig“ taxieren und Kreative mit mehr Rückgrat fordern, ist beschämend, lässt zugleich aber hoffen.
Das T-Mobile Center in Wien St. Marx hätte nie einen Preis gewonnen und wäre folglich nie gebaut worden, wäre es einem offenen Wettbewerbsverfahren unterworfen worden. Es war - wie die Bankfiliale der „Z“ - ein direkter Auftrag.

Der Abschied aus dem gemeinsamen Architekturbüro mit Einfried Huth war hart, aber doch so etwas wie ein Neubeginn. Ich war seit 1973 Mitarbeiter der beiden, danach oft einziger Mitarbeiter Domenigs in Wien. Ein Büro in Graz gab es nicht mehr, aber sowohl Domenig wie ich blieben in Graz wohnen, mit einem Quartier in Wien-Ober St. Veit, das Domenig gehörte und das ich überhaupt nur bei Dunkelheit erlebte. Die Strecke Graz-Wien und retour fuhren wir wie im Schlaf. Die Strecke war bis auf das Stück zwischen Wiener Neustadt und Wien Bundesstraße. Es war nicht der Alltag, doch passierte es mehr als einmal auf diesem einzigen Stück Autobahn, dass Domenig, mit mir als Beifahrer ins Gespräch vertieft, die Polizei mit 200km/h und mehr überholte. Die darauffolgenden Monate war ich dann Sportwagenfahrer und Privatchauffeur.

Dass Domenig am Ende seines Berufslebens von der Geschäftsführung des eigenen Büros noch einmal vor existenzielle Probleme gestellt wurde, ist zwischenmenschlich nicht nachvollziehbar. Nur mit Mühe und der Hilfe des Landes Kärnten konnte er diesem Würgegriff entkommen. Die Schönheit Kärntens hat er bedingungslos geliebt, die Mentalität der neureichen und politischen Geschäftemacher unter seinen Landsleuten nicht.

Ich war dabei als Domenig sich schließlich selbst beauftragte, im Hintergrund das geerbte Grundstück am Ossiachersee in Kärnten und der Gedanke an eine freie Universität. Der Auslöser war eine große Enttäuschung, aber auch der unbedingte Wille, Architektur für sich zu entwerfen. Dass ihm dabei sogar Scarpa in die Quere kam, hat mit Zeitgeist und Mode zu tun - Begriffe, die zu seinem Oeuvre gehören. Der Besuch des Steinhauses als Anzünder für eigene Gedanken kann kein Fehler sein. Die Studenten des Studio3 hatten und haben dort ihre besten Stunden als junge Architekten und Architektinnen verbracht.
Domenig wollte immer alles andere, nur nicht fad sein. Wenn Langeweile in seinen Projekten passiert, lässt das auf Einflüsse Dritter schließen. Gegensätzlich zur allgemeinen Meinung halte ich Domenig für einen Architekten des großen Maßstabs. Dort wo er versucht, zu sehr skulptural zu arbeiten und zu designen, wirkt er auf mich verspielt, wie ein Schwimmstar im Nichtschwimmerbecken.

Günther Domenigs persönlichste und beste Architektur ist wie ein Schrei, nach außen gerichtet. Ihn zu vergleichen, ist müßig. Er ist von überall her beeinflußt. Er ist kein Brutalist, schon gar kein Dekonstruktivist und kein Formalist. Er richtet sich bewusst nach außen, sucht die Konfrontation. Das Dokumentationszentrum am Reichsparteigelände in Nürnberg halte ich für keine herausragende Arbeit, nur für ein dankbares Thema.

Die Architekturwelt führt Günther Domenig als expressiven Architekten. Das hat der introvertierte Teil in ihm als Herausforderung gesehen und als Gegensatz für richtig gefunden.
Sein Ferrari steht eingehüllt in ein Ganzkörperkondom in der Garage im Steinhaus. Vielleicht kann man ihn jetzt davon befreien. Damit ihn Günther Domenig sieht und weiß, was er noch alles vergessen hat mitzunehmen, auf seiner langen Reise in die Ewigkeit. Der Sturmwind, den er zurückließ, wird dann nur ein Hauch sein. Aber ich werde ihn ganz sicher spüren.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+