07/12/2005
07/12/2005

Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Jede Windung ist Ausdruck existierender Machtverhältnisse: Concrete Wall von Edgar Endress

Moderne, wunderbar undiszipliniert: Living Megastructures von Helmut Weber und Sabine Bitter

Engagierte Auseinandersetzung oder ausgemachte Sache? Werbeveranstaltung oder offener Diskurs? Die Bilanz des Eröffnungsfestivals der 7. Medien und Architektur Biennale Graz fällt ambivalent aus.

Viel war bei der Eröffnungsveranstaltung der 7. Medien und Architektur Biennale Graz von Verantwortung die Rede: Der Philosoph Peter Sloterdijk meditierte vor zahlreich erschienenem Publikum über Architektur als atmosphärische Verantwortung; Kulturlandesrat Kurt Flecker betonte die soziale Komponente der Architektur ebenso wie Biennale-Direktorin Charlotte Pöchhacker, die in ihrer Eröffnungsrede von Architektur als eminent Sozialem sprach; Architekt Klaus Kada sah eine aktive politische - nicht parteipolitische! - Einstellung als Grundvoraussetzung engagierter Architektur. Im Lauf der folgenden Tage der Biennale, bei Debatten zu Film, Fotografie, Architektur und Kunst, schienen die Inhalte dieser kantigen Eingangsthesen allerdings zuweilen in den Untiefen fachinterner Diskurse zu entschwinden. Im Folgenden ein Überblick.

In seinem einleitenden Wort zur Medien und Architektur Biennale Graz, die vom 1. bis 4. Dezember in Kooperation mit der Neuen Galerie Graz in der Alten Universität stattfand, erläuterte Peter Weibel den Begriff der "postmedialen Kondition", der sowohl die gegenwärtig in der Neuen Galerie gezeigte gleichnamige Ausstellung als auch die Medien und Architektur Biennale prägt. Widmete sich vormoderne Kunst überwiegend der Abbildung des Realen, reflektieren künstlerische Medien heute andere künstlerischen Medien. Malerei beobachtet Fotografie beobachtet Film beobachtet Architektur: Künstler und Künstlerinnen operieren zwischen den Medien, die Disziplinen mischen sich, ein Netz neuer Referenzsysteme entsteht. Ganz nebenbei hatte Weibel damit aber auch das Dilemma der Thematik angedeutet. Die Reflexion der Reflexion der Reflexion: eine selbstreferenziellen Endlosschleife?

In der Aula der jüngst renovierten Alten Universität wurde jedenfalls ein absolut zeitgenössisches Setting unterschiedlicher Medien installiert. Dem Besucher der Medien und Architektur Biennale bot sich ein weitläufiger Parcours, aus dessen Angebot je nach Gusto frei gewählt werden konnte - von Videomonitoren über Filme auf Großbildleinwänden bis zu einer Reihe thematisch hochkarätiger Vorträge, Symposien, Diskussionsrunden und Workshops.

Dominierendes Thema der interdisziplinär besetzten Symposien war freilich das Verhältnis von Bild und Architektur, das sich nicht nur im Architekturfilm, sondern auch in unterschiedlichen Ausstellungsstrategien niederschlägt. Kann Architektur, fragt etwa Moritz Küng, Programmdirektor am International Art Center deSingel in Antwerpen, können Gebäude, die per se nicht Ausstellungs-, sondern Nutzobjekte sind, überhaupt adäquat ausgestellt werden? Den ebenfalls anwesenden Grazer Architekten Eilfried Huth hatte diese Überlegung jedenfalls schon in den frühen Siebzigerjahren dazu veranlasst, anstelle eines Vortrages über eigene realisierte Architekturprojekte Buskarten an Interessierte zur Besichtigung vor Ort zu verteilen.

Die Unmöglichkeit, dreidimensionale Räume zweidimensional abzubilden, ist Ausgangspunkt der Arbeiten des deutschen Filmemachers Heinz Emigholz. Anstelle des beschönigenden Abbildens von Architektur, bekannt aus diversen Hochglanzmagazinen, konzentriert sich Emigholz in seinen filmischen Architekturporträts auf die Interpretation von Architektur durch Sichtbarmachen sinnlicher Erfahrungen in Architekturen wie jener von Licht, Wetter und Geräusch. Emigholz' Arbeiten werden die ab 2006 im Rahmen des Architektur Laboratoriums Steiermark ausgestellten Architekturprojekte filmisch begleiten.

Peter Weibel wiederum verwies in seinem gemeinsam mit Manfred Wolf-Plottegg gehaltenen Vortrag "Kunst und Architektur. Resonanzen und Interferenzen im Ausstellungsraum" auf die Rolle der Medien als "Propagandaministerium der Architektur". Dies nicht zuletzt deshalb, da die Zahl der von Architekten selbst herausgegebenen, meist beeindruckend umfangreichen Publikationen zur Promotion der eigenen Arbeit seit dem wegweisenden Band "SMLXL" (1376 Seiten) des niederländischen Architekten Rem Koolhaas deutlich zugenommen hat. Dass auch steirische Architekturbüros auf dieses Vehikel der Selbstdarstellung nicht verzichten wollen, zeigen jüngste
Publikationen etwa der Architekturgruppierungen ortlos (216 Seiten)
oder Splitterwerk (625 Seiten).

Ganz im Zeichen der Selbstvermarktung stand denn auch der Roundtable "Das Hypothetische Objekt an der Peripherie" im Rahmen des ersten Architekturdialogs des Architektur Laboratoriums Steiermark - einer Veranstaltungs- und Ausstellungsreihe, die in den kommenden drei Jahre die Promotion aktueller steirischer Architektur sowie ihre
Vernetzung mit der internationalen Architekturszene zum Ziel hat (der Falter berichtete). Die Besprechung der im Rahmen des Roundtables gezeigten realisierten Bauten der anwesenden Architekten und Architektinnen beschränkte sich allerdings auf die Präsentation der Projekte vor eingeweihtem Fachpublikum. Moritz Küng, der die gezeigten Projekte aus einer von Pöchhacker getroffenen Vorauswahl ausgesucht hatte, ergänzte die Präsentationen um seine Außensicht der steirischen Architekturproduktion; tiefer gehende inhaltliche Aspekte blieben aufgrund der aus Zeitgründen abgesagten Diskussion aber unterbelichtet. Obwohl die Entstehung der Ausstellung als öffentlicher Prozess ablaufen sollte, hat Pöchhacker bereits eine Vorauswahl getroffen. Allerdings ist diese nicht zur Gänze bekannt, da noch keine Liste der teilnehmenden Projekte und Architekturbüros öffentlich vorliegt.

Breite inhaltliche Auseinandersetzung boten dagegen Filme und Diskussionen zur politischen Rolle der Architektur im israelisch-palästinensischen Konflikt im Rahmen der Veranstaltungsreihe "ON TERRITORIES". Die in den besetzten palästinensischen Gebieten angewandte Politik der Landnahme durch Siedlungsbau führte eindringlich die zweifelhafte Rolle der Architektur als Handlanger politischer Kräfteverhältnisse vor Augen. Auffällig sei an der israelisch-palästinensischen Situation, so Eyal Weizman, Direktor des Centre for Research Architecture am Goldsmiths College in London, dass Planung in den besetzten Gebieten immer erst in Reaktion auf geänderte Sicherheitsbedürfnisse stattfinde; die Autorenschaft verschwinde, einen "Masterplan" für die Anlage neuer jüdische Siedlungen gebe es nicht. Hinterfragenswert erschien der Diskussionsrunde jedenfalls die einseitig von Israel betriebene Politik der Abgrenzung, die jeglichen, auch konstruktiven Kontakt der beiden Bevölkerungsgruppen unterbinde. Demgegenüber wurden vom Grazer Architekten Johannes Fiedler sowie von Gabu Heindl und Bernd Knaller-Vlay, Lehrende an der TU Graz und an der Akademie der Bildenden Künste Wien, Strategien der kontinuierlicher Neuverhandlung von Territorien ins Spiel gebracht, wie sie etwa täglich am Karlsplatz in Wien stattfinden. Knaller-Vlay verwies in diesem Zusammenhang auch auf das Dilemma der Architekten, die, gewohnt, Probleme zu lösen, angesichts Situationen unlösbarer, weil täglich neu entstehender Konflikte auch zu neuen Handlungsmethoden finden müssten. Was in diesem Sinn durchaus als konkreter Handlungsauftrag verstanden werden kann.Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Verfasser/in:
Fabian Wallmüller, Kommentar; erschienen im Falter Steiermark 49/05
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