Besichtigung des Pflegezentrums Schloss Schwanberg: Susanne Baumann-Cox im Gespräch mit Architekt Irmfried Windbichler (li), dem ärztl. Leiter, Dr. Klaus Theil (2. v. li) und DI Michael Pansinger (KAGes, Teamleiter Planung). Foto: Redaktion GAT

Vor der Besichtigung erläutert Architekt Windbichler anhand eines Modells seinen Entwurf für den Zubau, in dem die Station M4 untergebracht ist. Foto: Redaktion GAT

Zugang zur Station M4

Vorraum der Station M4 mit Glasboden, der eine Schwelle darstellen soll und zumindest optisch einen deutlichen Übergang zwischen innen und außen schafft.

Durch Farbkodierung wird markiert, welche Bereiche für die Patienten frei zugänglich sind.

Um bettlägrigen Patienten den Blick an die Decke erträglich zu machen, ziehen sich durch das ganze Haus in einem riesigen Schriftband Ovids erste Zeilen der Metamorphosen, die vom Goldenen Zeitalter erzählen - durch die Trennwände werden sie zu abstrakten Zeichen.

„Snouzelen-Zimmer“

Gartengestaltung mit dem "Weg der Sinne“ und einem Springbrunnen.

Aus dem Löschteich wurde ein Springbrunnen. Fotos: Irmfried Windbichler

Im Allgemeinen hat man ja nicht allzu viel Erfahrung mit psychiatrischen Einrichtungen. Zumindest nicht mit jenen, die sich um besonders schwere Fälle kümmern. Diese Abteilungen heißen „geschützte“ Abteilungen, die dort untergebrachten Patienten sind Menschen mit schweren geistigen Erkrankungen und häufig auch körperlichen Behinderungen. Obwohl sie immer begleitet werden müssen und sich alleine „draußen“ nicht zurecht finden, dürfen sie rechtlich gesehen nicht festgehalten werden. Das war gleich eine von zahlreichen Herausforderungen, die man bei Umbau und Renovierung der Station M4 im Pflegeheim Schwanberg bewältigen musste. Wie kommt nun eine Patientengruppe am Rande der Gesellschaft zu einem so schönen, architektonisch anspruchsvollen Bau, wo doch die Geschichte konsequent und durch alle Phasen eine gänzlich andere Behandlung von Menschen mit geistiger Erkrankung zeigt?
Schwanberg war seit Verkauf durch die Familie Liechtenstein an das Herzogtum Steiermark 1891 und nach der Renovierung im Jahr 1892 in eine Pflegeanstalt für unheilbar Geisteskranke umgewandelt worden, gemeinhin „Landes-Siechenanstalt“ oder „Irrenhaus“ genannt. Menschen mit diesem Krankheitsbild wurden seit jeher abgeschoben, am Rande der Gesellschaft versteckt, in den Wald gebracht, auf ein Narrenschiff gesteckt, mit gewalttätigen Behandlungsmethoden gequält etc. – und die Nazis haben mit ihrem Euthanasie-Konzept der Bösartigkeit der Menschheit die hässlichste Krone aufgesetzt.

Nach der Übernahme durch die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft m. b. H (KAGes) 1985 war es deren erklärtes Ziel, eine qualitätvolle Betreuung für die Patienten zu bieten – ein Förderpflegezentrum sollte die Einrichtung sein. Bauliche Erneuerungen waren bereits in den 1970er Jahren veranlasst und nach der Übernahme durch die KAGes weiter vorangetrieben worden. Seit 1999 wird konsequent versucht, die Renovierungsarbeiten mit zeitgemäßer Architektur umzusetzen.
Architekt Irmfried Windbichler wird bereits um das Jahr 2000 mit den ersten Arbeiten, z.B. dem Umbau des alten Schweinestalls zur Zentralgarderobe für den Reinigungsdienst, beauftragt.

Dr. Klaus Theil, ärztlicher Leiter, vertritt ein Behandlungskonzept, das so nahe wie möglich an der Normalität ist, er bricht als erstes mit der Tradition, Frauen und Männer zu trennen und fördert Beschäftigungskonzepte innerhalb der Einrichtung.
2002 wird die M4 (Männerstation) gemeinsam mit Architekt Windbichler neu entwickelt. So entsteht in vielen Gesprächen und enger Zusammenarbeit mit der Pflegeheimleitung das neue Konzept. Die neue Station sollte auf jeden Fall offen sein, mit viel Licht und einfachen Systemen zur Orientierung. Durch Farbkodierung wird markiert, welche Bereiche für die Patienten frei zugänglich sind. Der Zugang war die oben angedeutete große Hürde, eine abschließbare Tür durfte es nicht sein – so gibt es jetzt im Windfang einen Glasboden, der eine Schwelle, ein Gefühl des Schwebens, vermittelt und somit zumindest optisch einen deutlichen Übergang zwischen innen und außen schafft. Eine Schiebetür öffnet sich zur Station. Das L-förmige Gebäude orientiert sich innen am zentral gelegenen Gemeinschaftsraum, dem Raum, den man direkt von außen kommend betritt. Gartenseitig öffnet sich das Gebäude zum gemeinsam genutzten Freiraum mit einem auf dem ehemaligen Löschteich gebauten Brunnen, daneben ein „Weg der Sinne“ mit diversen Spielgeräten wie auf einem Abenteuerspielplatz.

Windbichlers Herz blutet ein wenig, weil einige seiner Konzepte entweder dem Rotstift oder dem erhöhten Sicherheitsdenken zum Opfer gefallen sind, wie z. B. französische Balkone, die direkten Zugang zum Garten aus jedem Zimmer ermöglicht hätten, oder ein Rundgang um das Gebäude und die Theatertreppe, die vom Aufenthaltsraum in den Garten führen sollte.

Es wurde also ein ganz neuer Ansatz von der KAGes und dem Architekten verfolgt. Lange Zeit spielte die Unterbringung dieser Menschen eine völlig untergeordnete Rolle. „Die kriegen doch eh nichts mit von ihrem Umfeld“, war die gängige Meinung. „Oh doch“, sagt Windbichler, „gerade, weil keine Kommunikation im herkömmlichen Sinn möglich ist, beobachtet man eine 1:1 Reaktion auf das veränderte Umfeld. Freude, wachere Gesichter, Aufgeregtheit.“ Theil konnte nach kurzer Zeit feststellen, dass der Bedarf an Beruhigungsmitteln und Schlaftabletten erheblich abnahm. Wo Patienten vorher ins Leere starrten oder monoton mit dem Körper wippten, wird jetzt gemeinsam ferngesehen, herumspaziert, gespielt, springt man im Sommer im Wasser des Springbrunnens herum. Die Stimmung ist wesentlich friedlicher und harmonischer als zuvor. Hat jemand das Bedürfnis nach Wärme und Kuscheln, gibt es das „Snouzelen-Zimmer“, einen loungeartigen Raum in Weiß, mit bunten Lichtern und wassergefüllten Röhren, in den man sich zurückziehen und wo man entspannen kann. Beim Besuch der Zimmer fällt auf, dass diese zwar schön eingerichtet, aber bar jeglicher persönlicher Gegenstände sind. Nach dem Grund gefragt, sagt Theil: „Diese Menschen haben nichts, nichts und niemanden, die Familien, wenn es überhaupt welche gibt, haben sie bei uns und damit hinter sich gelassen.“

Im Keller finden wir eines der Highlights des Umbaues, den Veranstaltungsraum für Patienten und Personal. Mit einem ausgeklügelten Beleuchtungs- und Soundkonzept strahlt er Wärme und Geborgenheit sowie den Luxus einer intelligenten und sensiblen Architektur aus. Windbichler hat die teils wasserführenden Felswände gekonnt in das Konzept integriert und deren Feuchtigkeit positiv für das Raumklima eingesetzt, indem er die saisonalen Wassereintritte an der Innenseite der Natursteinwand sichtbar in eine Drainage ableitet. Dieser Raum steht auch der Öffentlichkeit zur Verfügung und ist als Veranstaltungs- oder Seminarraum zu mieten.

Zurück im alten Schlosstrakt, den wir nicht durch Windbichlers ursprünglich geplanten unterirdischen Verbindungsgang, sondern über den Klanggarten erreichen, bewundern wir den Bau des neuen Treppenhauses und stellen fest, dass es auch im Haupthaus noch einigen Spielraum für Verbesserungen gibt. Der Architekt freut sich darauf und die KAGes ist dankbar, in Windbichler den perfekten Kooperationspartner gefunden zu haben.

Bemerkenswert, dass es ein Vorzeigeprojekt gibt, an einem Ort, den bislang eigentlich kaum einer besucht hat – das sollte sich ändern ...

PROJEKTDATEN:
Pflegezentrums Schloss Schwanberg
Standort: Gressenberg 5, 8541 Schwanberg, Österreich

Bauherrschaft: KAGes Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft m.b.H.
Planung: Arch. DI Irmfried Windbichler, Graz
Mitarbeit Architektur: Barbara Fuhrmann-Rauscher, Christina Fischer, Heike Heldrich
Tragwerksplanung: Lechner Zt Gmbh

Planungszeitraum: 2002
Eröffnung: 2004
Bruttogeschossfläche: 1.100 m²
Baukosten: 1,9 Mio EUR

FOTOS (falls nicht anders angegeben): Irmfried Windbichler

Verfasser/in:
Susanne Baumann-Cox, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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