25/03/2020

Kolumne
gelungen | nicht gelungen 2

NICHT GELUNGEN. Das Aufschütten des linken oberen Mühlgangs in Graz

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In der Kolumne gelungen | nicht gelungen zeigt Architekt und Stadtplaner Bernhard Hafner anhand realisierter Beispiele auf, was aus architektonischer und/oder städteplanischer Sicht in der Stadt Graz gelungen oder nicht gelungen ist.

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25/03/2020

Abb.1: Verlauf des linken Mühlgangs mit Kommentar.
Siehe > Links 1 und 2 _ Screenshot: Bernhard Hafner

©: Bernhard Hafner

NICHT GELUNGEN. Das Aufschütten des linken oberen Mühlgangs in Graz (1)

  • Auftraggeber: Die Stadt Graz, Stadtplanung
  • Ausführung: Beauftragung durch die Stadt Graz, um 1977

Um 1970 hatte Candidus Cortolezis sen. die Werkgruppe beauftragt, ein Haus mit Wohnungen, Geschäfts- und Büronutzung in Murnähe zwischen Körösistraße und Murkai über einem vom oberen linken Mühlgang mittig durchflossenen Grundstück zu planen. Dieser Mühlgang war projekt-bestimmend. Dieser Mühlgang und sein Zuschütten ist Thema dieses Artikels.
   Ursprünglich war der Grazer Mühlgang aus Seitenarmen und Nebengerinnen der noch nicht regulierten Mur errichtet worden, um ihre Wasserkraft wirtschaftlich zu nützen. Er bestand aus zwei Armen, einen längeren rechts der Mur und einen links der Mur, die beide das Grazer Stadtgebiet zur Gänze oder in Teilen davon durchflossen. Sie dienten dem Betrieb von Mühlen, Sägewerken, Leder- und Papierfabriken, die ab dem 13. Jahrhundert errichtet worden waren. Der Ausgangspunkt beider Arme war die Ortschaft Weinzödl im Norden von Graz, dort, wo sich in der Nähe der einst gefürchteten Stromschnellen bei der alten Weinzödlbrücke das obere und das untere Weinzödlwehr befanden und wo das Wasser in einen rechten und linken Arm abgeleitet wurde. Der rechte Arm ist etwa 25 km lang, ist stellenweise überbaut und wird heute noch fast durchgehend zur elektrischen Energie-erzeugung genützt. Der etwas mehr als fünf Kilometer lange, obere linke Arm floss durch die damals eigenständigen Gemeinden Geidorf und Andritz, verlief durch das heutige Wasserschutzgebiet Andritz, kreuzte die Weinzöttlstraße zweimal, verlief entlang Lindengasse, Kahngasse, Körösistraße bis an den nordwestlichen Ausläufer des Schloßbergs. Dort mündete er knapp unterhalb der Keplerbrücke in die Mur. Ein unterer Teil floss in der Nähe der Berta-von-Suttner Friedensbrücke nach Süden.
   Der linke Mühlgang hatte etappenweise mehrere Seitenarme. Ein erstes Entlastungsgerinne auf dem Gelände, auf dem nach dem Zuschütten die HTL-Ortweinschule errichtet wurde, und das sich, näher an der Mur fließend, erst nach der Rottalmühle mit dem Hauptarm und einem seiner Nebenarme vereinigte. Vor dem ehemaligen Unfallkrankenhaus (UKH), heute Seniorenzentrum, teilte sich der Hauptarm in zwei Spangen. Eine unterquerte die Körösistraße. Die andere floss auf dem Gelände des Seniorenzentrums bis vor die Lange Gasse. Er vereinigte sich dort, unter der Körosistraße hindurch fließend, mit dem westlichen Arm kurz oberhalb des den Mühlgang überbrückenden Gebäudes C1 und mündete auf dem Gelände des Umspannwerkes in die Mur (Abb.1). Ein unterer Teil des linken Mühlgangs floss in der Nähe der Berta-von-Suttner Friedensbrücke, zweigte beim Langedelwehr nach Süden ab und reichte möglicherweise bis Fernitz und Gössendorf.
   Als während des 1. Weltkriegs Kohle knapp wurde – sie wurde u. a. für den Betrieb der Dampfkraftwerke für die Erzeugung von Strom für die Straßenbahn benötigt –, wurden Stromlieferverträge mit Mühlen abgeschlossen, die entlang des linken und rechten Mühlgangs Strom für den Eigenbedarf erzeugten. Am linken oberen Mühlgang wurde von einzelnen Mühlen, etwa der Rottalmühle, bis 1975 Strom erzeugt. Andere hatten bereits 1950 damit aufgehört. Die Mühlengebäude selbst existierten allerdings noch.
   Mur und Mühlgang wurden um 1970 zum Gegenstand von Überlegungen zur Gestaltung von Fließgewässern. Einmal wegen der geringen Wasserqualität von die Mur speisenden Zuflüssen und der von ihr gespeisten Mühlgänge. Man sprach von der „schwarzen“ Mur, die durch Industrieabwässer stark verunreinigt war. Zum andern stießen landschaftsplanerische Aspekte auf Interesse. Hubert Rieß hatte 1975 seine Diplomarbeit über alle Fließgewässer in Graz verfasst. Dies zu einem Zeitpunkt, als mit dem Zuschütten des Gerinnes schon begonnen worden war. Vizebürgermeister Erich Edegger erteilte Rieß aufgrund dieser Diplomarbeit den Auftrag für eine Studie zur künftigen Nutzung des linksseitigen Mühlgangs, um das Zuschütten zu verhindern und den Mühlgang eventuell zu retten. Die folgenden Energieerzeuger bzw. Mühlen waren damals noch existent. Sie sind in ihrer Abfolge von Norden nach Süden gelistet:

  • Arlandmühle der Papierfabrik Arland mit Wehr, Krafthaus und Turbine. Auf diesem Gelände fand 1993 für die Bebauung mit Wohnungen ein öffentlicher Wettbewerb statt. Später wurde angrenzend ein Geschäftszentrum angesiedelt.
  • Die Leder-Fabrik auf den Steiner Gründen, auf denen die HTL- Ortweinschule errichtet wurde. Auf dem östlichen Teil des Areals floss der Schöcklbach in den Mühlgang. Die Bodenbeschaffenheit ließ eine Errichtung der HTL auf dem westlichen Teil des Grundstücks angeblich nicht zu, so dass der östlich auf dem Areal verlaufende dreiarmige Mühlgang stillgelegt werden sollte.
  • Die Rottalmühle, heute Manfred Schmelzer GmbH, Körösistraße 82, in dem sich noch ein außer Betrieb stehender Generator befindet. Die Mühle lag oberhalb der beiden Spangen links und rechts der Körösistraße vor dem Seniorenheim.
  • Die Kettenfabrik Pengg-Valenta auf dem Geviert Körösistraße im Westen, Theodor-Körner-Straße im Osten, Scheidtenbergergasse im Norden und Eichendorffstraße im Süden. 2006 begehrte die F+P Bauträger-GmbH als Eigentümerin der Grundstücke die Erstellung eines Bebauungsplanes, um die Liegenschaft für eine Neubebauung durch Umwidmung nutzen zu können. Geplant sei, die bestehenden Industriehallen abzubrechen und auf 10.645 m2 brutto eine Bebauung für Wohn-, Büro- und Geschäftsnutzung zu errichten.(2) Federführend bei der Zusammenarbeit des Eigentümers mit der Stadt Graz war die Stadtbaudirektion. Mit diesem Projekt war die letzte der industriell genützten, großen Flächen am linken Mühlgang durch einen privaten Investor verwertet worden, ohne Teil eines über den Bauplatz hinaus reichenden Planes zu sein.
  • Die Hauptmühle auf dem Gelände im Osten der Körösistraße gegenüber den GAK-Tennisplätzen am östlichen Arm des geteilten Mühlgangs zwischen Rottalmühle und Lange Gasse vor der Querung der Körösistraße. Erhalten ist ein barockes Einfahrtstor zum von der Straße zurückgesetzten Herrenhaus, Körösistraße 48. Der straßenseitige Bau Nr. 44 neben dem Tor wurde abgerissen und durch einen Neubau eines „stadtbekannten Investors“ ersetzt.(3)

Durch das Auflassen von Mühlen und weiterer Kraftwerke ab 1950 verlor der Mühlgang an wirtschaftlicher Bedeutung und damit seine Daseinsberechtigung nach Ansicht der damaligen Stadtregierungen. Es wurde nach Gründen für ein Auflassen gesucht. Darunter waren: (4)

  • Gegen die Wasserqualität der „schwarzen“ Mur und der von ihr gespeisten Mühlgänge musste etwas unternommen werden. Damit auch gegen Betriebe, die zur Verunreinigung beitrugen. Dies beschränkte sich auf den linken oberen Mühlgang.
  • Der beabsichtigte Bau der HTL-Ortweinschule auf den Steiner-Gründen und die Realisierung des Kalvariengürtels. Für beide gab es Zusagen der Finanzierung durch den Bautenminister.
  • Das Schaffen neuer Verkehrsflächen, darunter von Parkplätzen, mit Ausbau der Körösistraße.
  • Das Schaffen von Radwegen, darunter den Radweg von der Keplerbrücke nach Andritz.
  • Gewinnen von Bauflächen durch Abwanderung von Gewerbebetrieben und Umwidmung von deren Grundstücken für Wohnbauten.

Das Erich-Edegger/Hubert-Rieß-Projekt für den linken oberen Mühlgang scheiterte. Der Bautenminister soll den damaligen Bürgermeister der ÖVP in einem Anruf mitgeteilt haben, die Stadt Graz könne die HTL-Ortweinschule und den Kavariengürtel haben. Wenn sie das Mühlgangkonzept verwirklichen wolle, stünden die Mittel des Bautenministeriums nicht zur Verfügung.
Von den ersten Plänen der Stilllegung bis zur Realisierung vergingen Jahre. Mitte Oktober 1976 wurde der Mühlgang ausgelassen. Doch anstatt sofort zugeschüttet zu werden, folgte eine jahrelange Diskussion. In dieser Zeit entstanden Überlegungen, den Mühlgang in ein Naherholungsgebiet umzuwandeln. Ein Plan, der an fehlenden finanziellen Mitteln scheiterte. Eine weitere Überlegung war die Straßenbahnstrecke der Linien 4 und 5 bei der Keplerbrücke in das ausgelassene Becken des Mühlgangs zu verlegen, damit Störungen zwischen Straßenbahn und Individualverkehr der Vergangenheit angehören würden.
   Der Mühlgang wurde spätestens in den frühen 1980ern vollständig zugeschüttet. Dennoch finden sich noch Straßenschilder, die auf Mühlgangbrücken hinweisen. Das zugeschüttete Becken selbst ist in Teilen noch erkennbar.

FAZIT
Das Zuschütten des linken oberen Mühlgangs ist eine nicht gelungene Planung der Stadt, gewollt von der Politik, ausgeführt vom Stadtplanungsamt. Die Notwenigkeit des Zuschüttens selbst ist umstritten – die Verbesserung der Wasserqualität erforderte es nicht, wie das Erhalten des rechten Mühlgangs und die Verbesserung der Wasserqualität durch Vermeidung des Einleitens von verunreinigenden Abwässern gewerblich- industrieller Betriebe zeigen. Nicht umstritten ist meiner Meinung nach, dass das Edegger/Rieß-Konzept einer landschaftsbewussten Gestaltung mit Rad- und Fußwegen als Oasen mit Baumpflanzungen und Wasserflächen zum Vorteil von Graz und seiner Einwohner zu verwirklichen gewesen sei. Es hätte auch verwirklicht werden können.
   Platz für Wohnbauten wären immer noch geblieben, im Besonderen auf dem Gebiet der Kettenfabrik Pengg-Valenta. Bautätigkeit hätte nicht allein privaten Investoren und Bauträgern überlassen werden sollen. Dies zeigt sich auf großen ehemaligen Freiflächen, wie am GAK-Stadion und auf ehemaligen Flächen der Industrie, wie etwa jener der Kettenfabrik Pengg-Valenta. Ein Stadtteil mit Charakter wurde im ganzen Bereich des zugeschütteten linken oberen Mühlgangs durch die Stadtplanung im Zusammenwirken mit Bauträgern nirgends erzeugt. Auch nicht das Konzept eines lokalen „grünen Bandes“, wie es europaweit entlang von Trassen mit Mauern und Sperrgebieten an Grenzen im Osten im überörtlichen, großen Maßstab entstanden ist.
   Nicht gelungen ist auch die Koordination von Stadtplanung und Baubehörde. Als mit dem Bau von Cortolezis C1 begonnen wurde, war die Aufschüttung schon in Erwägung, wenn nicht beschlossen. 1975 war C1 fertiggestellt. Schlitzwände auf beiden Seiten des Gerinnes hatten die Baukosten zu Lasten des Bauherrn erheblich erhöht. 1976 wurde das Wasser des linken oberen Mühlgangs ausgelassen. Das Projekt des Aufschüttens des linken oberen Mühlgangs ist aus städteplanerischer Sicht NICHT GELUNGEN.

Jetzt soll der rechte Mühlgang an die Reihe kommen. „Für Radhighway: Der Grazer Mühlgang soll trockengelegt werden.“ (5) Auch dem rechten könnte das Schicksal des linken Mühlgangs bevorstehen.

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(1)  Anlass für diesen Artikel war das Zuschütten des linken oberen Mühlgangs in Graz zusammen mit dem Bau des Hauses Cortolezis C1 (siehe Kolumne gelungen | nicht gelungen 1) der Werkgruppe Graz nach dessen Fertigstellung 1975. Eugen Gross, bearbeitender Architekt des Projekts, verwies mich an den Architekten Hubert Rieß für entscheidende Angaben zum Zuschütten des Mühlgangs.
(2)  Erlass der Stadt Graz, Stadtplanung, 03_13_0_ERL.pdf
(3)  Doris Pollet-Kammerlander, Heinz Rosmann, Erika Thümmel, Susanne Wechtitsch, „Erinnern Sie sich, 100 Grazer Häuser zerstört“, http://www.unverwechselbaresgraz.at/wp- content/uploads/2016/10/Erinnern-Sie-sich-kl.pdf
(4)  Die Geschichte des linken Mühlgangs in Graz, http://www.public- transport.at/muehlgang_links.htm
(5)  Kleine Zeitung, Michael Kloiber, 21. Februar 2019, ebenso „Mühlgang: Wirbel um Pläne zur Trockenlegung", 22. Februar 2019.

Laukhardt

Das Konzept von Hubert Rieß, das ich aus gutem Grund aufbewahrt hat, sah ja nicht vor, den Mühlgang in seiner alten Dimension zu bewahren. Er hielt auch den Gedanken fest, das wieder aufzugreifen, wenn die Mur eine bessere Wasserqualität aufweisen würde. Heute - in Zeiten des überhitzenden Stadt - würde auch ein kleineres wasserführendes Gerinne einen enormen Zuwachs an Lebensqualität bringen. Der alte Lauf des Mühlgangs entlang der Körösistraße würde dafür auch Platz bieten. Es muss ja nicht so klein dimensioniert sein wie die "Bächle" in der Stadt Freiburg im Breisgau. Gespeist könnte das "Bächle" auch von den Andritzer Bächen werden, es muss ja nicht der immer Wasser führende Andritzbach zur Gänze in die Mur geleitet werden.
Und übrigens: Da ja der Mur ihre Eigenschaft als Fluss (kommt von fließen) in Graz weitgehend genommen wurde, stelle ich mir auch eine ähnliche Lösung für den Grazbach vor, der derzeit völlig wirkungslos für die Umwelt unterirdisch in die stehende Mur geleitet wird. Allein der Augarten könnte - wie schon vor 150 Jahren - fließendes Bachwasser an seinem Rand zur Friedrichsgasse gut vertragen.

Do. 09/04/2020 7:41 Permalink
Bernhard Hafner

Antwort auf von Laukhardt

Ja, Wasser, Marsch! Mein NICHT GELUNGEN bezieht sich ja gerade auf die städtebaulich verfehlte Aktion des Zuschüttens des linken oberen Mühlgangs OHNE eine entsprechende Grün-und Wasserflächengestaltung zu überlegen und auszuführen. Nur ei geladenes Gutrachterverfahren zur Errichtung von Gebäuden wurde gemacht: eib Beistieel für die Aktion "gelungen | nicht gelungen".

Fr. 26/06/2020 4:36 Permalink
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