28/06/2019

In der Tiefe liegt die Kunst

Vorschau auf den steirischen herbst 2019

Festival
steirischer herbst ’19
Grand Hotel Abyss
19.9. – 13.10.2019
Eröffnungstage: 19.–22.9.19

Zahlreiche Veranstaltungsorte in Graz und in der Steiermark

Programmvorschau von Emil Gruber

.

28/06/2019

Sujet Grand Hotel Abyss. Copyright Grupa Ee

Pressekonferenz Programmvorstellung 2019 – von l.n.r. Christoph Platz (Leiter der Kuratorischen Belange), Henriette Gallus (Stellvertretende Intendantin), Intendantin Ekaterina Degot, Kurator Dominik Müller, Kuratorin Mirela Baciak

©: Emil Gruber

Anna Clementi und Angela Wingerath bei Proben zu Zorka Wollnys Eröffnungs-Performance steirischer herbst ’19, Berlin, 2019, Foto: Zorka Wollny

Elmgreen & Dragset, Bernhardkugeln (2019), courtesy the artists

Daniel Mann und Eitan Efrat, Rn (2019), Videostill, courtesy the artists

Buch 'Volksfronten'. Foto: Clara Wildberger

Der steirische herbst steht vor einem Abgrund. Nach Volksfronten geht das Festival heuer einen Schritt weiter. Der sehr streitbare und ambivalente ungarische Philosoph, Schriftsteller und Politiker Georg Lukács gibt das Thema 2019 aus: Grand Hotel Abyss.
Georg Lukács (1885 -1971) kam aus vermögendem Hause. Er war an der Räterepublik Bela Kuns nach dem Ersten Weltkrieg beteiligt. Er zeichnete für Todesurteile verantwortlich. Er lebte danach im Exil in Moskau, kehrte erst 1945 nach Budapest zurück. Er war zeit seines Lebens überzeugter Kommunist mit starken Zweifeln an der Umsetzung in der Realität. Er wurde zum Kulturminister in der Regierung Imre Nagy und nach Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1956 mit Berufsverbot in Ungarn belegt. Lukács beeinflusste mit seinen Ideen nachhaltig die einen wie er andere provozierte.
Seine Idee vom Grand Hotel „Abgrund“ entstand in der Zwischenkriegszeit. Es war die Kritik an der für Lukacs zu wenig stattgefundenen Auseinandersetzung mit dem heranziehenden Faschismus bzw. Nationalsozialismus. Seine Vorwürfe an die Frankfurter Schule, speziell Theodor Adorno, werden bis heute sehr kontroversiell betrachtet.
Extravaganza ist bei der Eröffnung am 19. September der Schutzpatron des Festivals.  Wie im Vorjahr wird es einen Auftaktparcours geben. Der Radius ist enger gezogen. Im Landhaushof wird Zorka Wollny eine Polit-Oper aufführen. Für Eröffnungsgäste, die sonst vor Ort arbeiten, eine Möglichkeit des Reality-Checks. Die Brasilianerin Cibele Cavalli Bastos vernetzt Künstlerin und Avatar, während Muskel-Bodys zu einem Tableau vivant sich builden. Elmgreen & Dragsei werden „einen ironischen Beitrag zu Österreichs Konfiserie-Landschaft“ liefern. Den Auftakt Weltuntergang im Jahr 2 der Indentanz Ekatherina Degot beenden zwei Performances. Eine „Lecture-Variante über Österreichs Genusskultur“ hat Gernot Wieland in Arbeit. Apokalyptisches servieren das isländische Duo Erna Omarsdottir & Valdimar Johannsson.
Wer den ersten Abend überlebt, darf bis zum 13.Oktober durch ein üppiges Programm waten. Nach längerer Zeit ist das Literaturhaus Graz wieder an Bord des Festivals. The Life and Adventures of GL werden die Untiefen rund um das Werk von Lukács ausloten. Die wohl berühmteste Stall-Installation der Welt, zu finden am Gsellmann-Hof in der Nähe von Feldbach, ist der Namensgeber für ein dreitägiges Festival im Festival. Weltmaschine Österreich wird diskutieren, performieren und spazieren.
Im Forum Stadtpark wird Bad Gastein unterwandert. Die Filminstallation von Daniel Mann und Eitan Efrat setzt sich mit den in der NS-Zeit entdeckten „Heilkräften“ des gasförmigen, radioaktiven Elements Radon auseinander, das sich in Stollensystemen unterhalb der Kurstadt ansammelt.
Zwischen Köflach und Graz lehren Heimo Halbrainer mit seinem Verein Clio und das Institut für Kunst im öffentlichen Raum fragwürdigen Denkmälern das Sprechen.
Das Theater im Bahnhof besucht die Markthalle in Eggenberg. Im brutalistischen Bau von Gustav Madritsch werden zu Marktzeiten mit den Besuchern Planspiele rund um den Armutsbegriff entwickelt.
In der Listhalle wird Michael Portnoy, schon im Vorjahr Gast des Festivals, in einer Großvideoinstallation über „The future of Sex“ nachdenken. Von Hard Core zu Art Cool wurde Annie Sprinkles Karriere umgeschrieben. Der einstige Pornostar ist mittlerweile ein Lustgewinn bei allen wichtigen Kunstfestivals. Gemeinsam mit Beth Stevens wird sie über Liebe und Leben mit Körperschwerpunkt sinnieren.
Neben den herbst-kuratierten Veranstaltungen wird ein reichhaltiges Parallelprogramm geboten. Aus einem offenen Call sind unter knapp 90 Einreichungen Kooperationen unter anderem mit bewährten Partnern wie >rotor< (Alphabet des anarchistischen Amateurs), Schaumbad (Maschinendivas), aber auch mit Neuzugängen wie dem Grazer kunstraum_8020 (Alienation. Who finishes first) und den Übelbacher prenninger gespräche (Skulpturen im Exil) ausgewählt worden.

Der bewährte Festivalpass (29 €, ermäßigt 23 €) ist ab sofort erhältlich. Einzelkarten werden ab Mitte August, wenn das vollständige Programm vorliegt, ausgegeben.

Buchtipp
Gleichzeitig ist auch seit Mai Volksfronten – das Buch zum vorjährigen Festival erhältlich. Herausgeber des bei Hatje Cantz erschienenen, durchgehend in Englisch gehaltenen, reich bebilderten Buchs sind Ekaterina Degot, David Riff, Katalin Erdődi und Dominik Müller.
Es  versammelt Essays von Ernst Bloch and Hanns Eisler, Anton Jäger, Ishay Landa, Sven Lütticken, Ewa Majewska, Oliver Marchart, Drehli Robnik, Tiago Saraiva, Sylvia Sasse, und Oxana Timofeeva.
Volksfronten ist im Buchhandel und direkt beim steirischen herbst zu einem Preis von € 32 erhältlich.

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+