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Foyer im Besucherzentrum
Architektur: Arge Nieto Sobejano Arquitectos/ eep architekten , ©: N. Lackner

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Bericht
Das Joanneumsviertel: Ein Museum trifft auf den öffentlichen Raum

Einen Dialog zwischen Kunst und Stadt zu initiieren - das und nicht weniger ist der Anspruch des neuen Joanneumsviertels in Graz, das am 26. November 2012 zuerst mit einem feierlichen Festakt zum 200. Stiftungstag des Universalmuseums Joanneum und danach mit einem großen Fest eröffnet wird. Im neuen Herzstück des Joanneums, welches das erste öffentliche Museum Österreichs und eines der größten Universalmuseen Europas ist, wird aus drei Kulturbauten verschiedener Epochen ein Zentrum für Kunst, Kultur und Wissenschaft geformt.

3 + 1 = ein großes Ganzes
Der Entwurf von Nieto Sobejano Arquitectos und eep architekten räumt den historischen Gebäuden des Joanneumsviertels, die generalsaniert und an die heutigen Anforderungen an Museumsbauten angepasst wurden (und teilweise noch werden), ihren individuellen Charakter und Stellenwert im Ensemble ein und schafft zugleich mit einem einzigen, sehr direkten Eingriff einen gemeinsamen Eingang und viel zusätzlichen Raum. Ein in die Erde gegrabenes Besucherzentrum verbindet das Museumsgebäude Neutorgasse und den Lesliehof in der Raubergasse, die sich bisher gegenseitig den Rücken zuwandten, sowie die Steiermärkische Landesbibliothek (LB). Darüber entsteht eine urbane Piazza, die diesen Teil der Grazer Innenstadt beleben und ihm einen Mittelpunkt geben soll. Die städtebauliche Strategie, Häuserblöcke zu perforieren und differenzierte öffentliche Räume abseits des Straßenverkehrs zu generieren, ist auch über dieses Projekt hinaus überaus reizvoll. Für Enrique Sobejano ist es eine der Hauptaufgaben des Projekts, die Ebene der Straßen und Plätze als zweites bestimmendes Thema der Grazer Altstadt neben der identitätsstiftenden Dachlandschaft zu stärken.

Das nun am Anfang seiner Vollendung stehende Joanneumsviertel blickt auf eine 14-jährige Projektgeschichte zurück. Nach einem Masterplan für die Neuaufstellung des damaligen Landesmuseums Joanneum im Jahr 1997 wurde 2005 von Hermann Eisenköck (Architektur Consult) der Masterplan "Museumsquadrant" erstellt, auf dessen Basis 2006 ein EU-weites Verhandlungsverfahren ausgeschrieben wurde, das die ARGE Nieto Sobejano/eep architekten für sich entscheiden konnte. In Jänner 2010 war schließlich Baubeginn. Diesen Samstag werden das Besucherzentrum, die Multimedialen Sammlungen und die Neue Galerie Graz eröffnet. Mitte 2012 wird dann der Umbau der Landesbibliothek abgeschlossen sein und mit der Neueröffnung des Naturkundemuseums wird das Joanneumsviertel 2013 komplett.

Die Menschen...
Das Herzstück des Projekts ist das neue Besucherzentrum, das neben dem gemeinsamen Foyer einen Museums-Shop, ein Auditorium für Veranstaltungen und den großzügigen Freihand- und Entlehnbereich der LB beherbergt. Durch die verschieden großen, kegelförmigen Patios gelangt Tageslicht in die Räume, sodass die Besucher, die über eine Rolltreppe im größten Glaskegel vom neuen Platz hinab gleiten, nie das Gefühl haben, sich unter der Erde zu befinden. Alle tragenden Wandscheiben sind in eine Richtung orientiert, was Durchblicke über die gesamten 80 Meter Länge ermöglicht. Im zweiten Untergeschoß ist der, auf eine Million Bände ausgelegte, Bücherspeicher der Landesbibliothek untergebracht, die dadurch im fast 120 Jahre alten Gebäude in der Kalchberggasse der seit Jahrzehnten andauernden, drückenden Raumnot entkommen kann und Raum für ruhige Arbeitsbereiche im Lese- und Zeitschriftensaal sowie einen eigenen Ausstellungs- und Vortragssaal erhält. Der unter dem Grundwasserspiegel liegende Bücherspeicher ist durch eine Betonit-Abdichtung (Braune Wanne) geschützt.

Im Prinzip ist das Bauen unter der Erde zwar etwas teurer, aber schon bei den Energiekosten bringt es klare Vorteile. Die Kühlung des gesamten Komplexes kann im Normalbetrieb übrigens aus dem Grundwasser bewerkstelligt werden. Das nach einer Redimensionierung, der unter anderem ein drittes Untergeschoß zum Opfer fiel, insgesamt 33,4 Mio € teure Projekt ist mit reinen Baukosten von nur 1.700 €/m2 ein wahres Schnäppchen: International sind für Museumsbauten Quadratmeterpreise von 2.500 bis 4.000 € durchaus üblich. Möglich wurde das vor allem durch Sparmaßnahmen überall dort, wo das Publikum nicht hinkommt.

Der einzige echte Luxus sind die Glaskegel des Besucherzentrums. Ihre runden Öffnungen strukturieren, ergänzt durch ebenfalls runde Grünflächen und Sitzelemente, den Platzraum über dem Besucherzentrum. Der offenporige Asphaltbelag verbreitet nicht nur eine urbane Atmosphäre, sondern nimmt Feuchtigkeit auf und heizt sich im Sommer weniger stark auf. Der Versuch, mit dem Innenhof Öffentlichkeit und Museum zueinander zu führen, kommt besonders der Landesbibliothek und den Multimedialen Sammlungen zugute, die mit ihren rund 2,5 Millionen Fotografien, Filmen, Tonaufzeichnungen und digitalen Medien ein mediales Gedächtnis der Steiermark darstellen. Sie erhalten die Möglichkeit, sich stärker als öffentliche Anlaufstelle für die Bevölkerung zu positionieren.

...und die Museen
In die Innenräume der Bestandsgebäude wurde eine zeitgemäße Klima-, Beleuchtungs-, Medien- und Sicherheitstechnik integriert, ohne die Kubatur oder das äußeres Erscheinungsbild maßgeblich zu verändern.
Im neobarocken Museumsgebäude Neutorgasse stehen jetzt zwei Geschoße für die Ausstellungen der Neuen Galerie und ein Verwaltungsgeschoß zur Verfügung. Mit einem neuen Aufzug, der das Prunkstiegenhaus ergänzt, wird das Gebäude direkt aus dem Besucherzentrum barrierefrei erschlossen. Im nördlichen Bereich befindet sich ein Zugang für die Anlieferung.
Die Besucherführung ist ein wesentlicher Faktor in der Museumsplanung. In langen Diskussionen zwischen Architekten und Ausstellungsmachern – die sich naturgemäß möglichst viel Wandfläche für die Kunst wünschen – wurde eine Lösung gefunden, die zumindest bei jedem Richtungswechsel ein Fenster für einen Orientierung gebenden Blick ins Freie bietet. Kombinierte Wand-Decken-Elemente entlang jeweils einer Längsseite der Ausstellungsräume maximieren die Hängeflächen. Sie verbergen auch Haustechnikleitungen, die wegen, während der Bauarbeiten entdeckter Stahlträger in den Decken zum Großteil in Vorsatzschalen entlang der Wände geführt werden. In den Wänden selbst wurden in den Fensterlaibungen Wandheizungen installiert, um Kondensation vorzubeugen. In Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt und Restauratoren wurden darunterliegende Wandmalereien mit abnehmbarem Putz geschützt. Wenn es die Budgetlage in Zukunft erlaubt, können sie einfach restauriert werden. In den Ausstellungsräumen wurde geöltes Industrieparkett mit eleganten, überlangen Parkettstäben verlegt, das durch seine Porenoffenheit eine bessere Akustik bewirkt.

Der Lesliehof in der Raubergasse wird nach seiner Fertigstellung 2013 wieder das Naturkundemuseum beherbergen. Im Zuge der Sanierung wurden die Ausstellungsräume entflochten. Ein später angebautes Stiegenhaus wurde zugunsten der Wiederherstellung der originalen Fassade entfernt, dafür eine gläserne Brücke eingefügt, die eine bessere Wegeführung durch die Ausstellungen ermöglicht. Der umlaufende Gang um den Innenhof wurde weitgehend geöffnet, wodurch die ursprüngliche Funktion des, zu Teilen frühbarocken Gebäudes als Kloster wieder präsent wird. Im Hauptstiegenhaus mussten – bei Umbauten historischer Gebäude nicht selten – aufgrund einer überraschenden Entdeckung die Pläne geändert werden: Beim Abnehmen des Stucks von der Decke, um den Lift bis ins Dachgeschoß zu führen, kam eine barocke Holzdecke zum Vorschein. Sie wird restauriert, der direkte Zugang zum Dachgeschoß über dieses Stiegenhaus musste dem Bauerbe weichen.

Das Café in Joanneumsviertel, das im Frühsommer eröffnet wird, die Absicht, den neuen Platz auch abseits einzelner Events mit Kunst im öffentlichen Raum zu bespielen und der Plan der Stadt, das Viertel mit einer Fußgängerzone aufzuwerten, stimmen optimistisch, dass das Angebot eines urbanen Platzraums von Bevölkerung und Touristen gleichermaßen angenommen und die fotogene Architektur mit Leben gefüllt wird.

Projektdaten

Bauherrin: Landesimmobilien-Gesellschaft Steiermark (LIG)
Architekten: Nieto Sobejano Arquitectos, Madrid und eep architekten, Graz
Gesamtkosten: 33,4 mio €
davon Baukosten: 27,5 mio €
Gesamtfläche: 11.150 m2
Ausstellungsfläche Neue Galerie: 2.100 m2 (vorher 1.600 m2)
Ausstellungsfläche Naturkunde: 2.100 m2 (vorher 1.500 m2)
Steiermärkische Landesbibliothek: 4.130 m2 (vorher 1.530 m2 + Anmietungen)
ERÖFFNUNG
Joanneumsviertel, Graz
SA, 26.11.2011, 16.00 Uhr
Zeitkarten erhältlich im Museum im Palais
Mariahilferstraße 2-4, 8020 Graz

Verfasser / in:

Martin Grabner

Datum:

Thu 24/11/2011

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Das Joanneumsviertel

3 + 1 = ein großes Ganzes
Bericht von Martin Grabner

Architektur
Nieto Sobejano Arquitectos
und eep architekten

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Fest der Sinne 
26.11.-23.12.2011

AUSSTELLUNG
Hans Hollein
Neue Galerie
Kuratoren:
Peter Weibel, Günther Holler-Schuster
27.11.2011–09.04.2012
DI-SO 10.00-18.00 Uhr

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