07/06/2014

Für die Dauer der Festwochen 2014 (9. Mai - 15. Juni) entstand rund um das Festwochen-Zentrum im Stadtkino im Künstlerhaus am Karlsplatz eine temporäre Installation von Architektin Gabu Heindl, die dessen Außenraum als Handlungs- und betont öffentlichen Raum gestaltete.
 Der Außenraum wurde durch die Festwochen-Skulptur aktiviert und somit Teil des Spiels zwischen Innen und Außen, zwischen formellem Kultur-Ort und informellem öffentlichen Raum.

Alice Pechriggl, Kulturwissenschaftlerin und Philosophin, ließ sich von dieser Installation zum Essay Außeneinrichtungen ... inspirieren.

In der GAT-Reihe architektur> werden Bauwerke innerhalb und außerhalb Österreichs veröffentlicht, die an der Schnittstelle von Architektur und Kunst einzuordnen sind. Bei der Kuratierung werden Projekte von AkteurInnen bzw. ProtagonistInnen mit Bezug zur Steiermark bevorzugt.

07/06/2014

Das 'Stadtkino im Künstlerhaus' wurde Festwochen-Zentrum. Davor eine temporäre, vielfältig nutzbare Holz-Skulptur von Architektin Gabu Heindl

Architektur: Gabu Heindl©: Lisa Rastl

Abb. 1

©: Pechriggl Alice

Abb. 2

©: Pechriggl Alice

Abb. 3

©: Pechriggl Alice

Abb. 4

©: Pechriggl Alice

Abb. 5

©: Pechriggl Alice

Abb. 6

©: Pechriggl Alice

Abb. 7

©: Pechriggl Alice

Abb. 8

©: Pechriggl Alice

Abb. 9

©: Pechriggl Alice

Außeneinrichtungen ... So lässt sich die Holz-Installation der Architektin Gabu Heindl umschreiben, die zum Liegen-Sitzen-Lehnen einlädt, ohne im Voraus genau zu bestimmen, welche Plätze für welche Pose einzunehmen sind (oder welche Pose/n auf welchem Platz). So eignet sich der riesige, Gargantueske Stuhl (Abb. 1) eher zum Liegen, während die wie Liegen aussehenden Flächen aufgrund der Bodennähe (Abb. 2) eher zum Stehen/Lehnen genutzt werden. Die Grenzen zwischen den Posen verschwimmen so wie sie es in unseren alltäglichen Bewegungen und Rastbestrebungen auch tun und noch öfter täten, wären unsere rastlosen und eben so beständig Ruhe suchenden Körper nicht chronisch auf fixe Möbel angewiesen, ja in sie hineingepfercht (mit den dazu gehörigen verinnerlichten Riemen).

Die Installation ist ein Statement, will Zusammensitzen und –stehen ohne Konsumzwang herstellen. Ein Schüler der HTL Ottakring, der seit ein paar Jahren nach der Schule hierher kommt, ist froh um das Holzflächengelände, früher war hier nur Stein zum Sitzen. Die übergroßen Treppen in die U-Bahn-Stationsversenkung erhalten überhaupt erst durch diese Installation ihren Sinn eines theatrons (gr. für Publikum und später für Theater). (Abb. 3) In ihm können sich die Sitzenden, als Akteure und Publikum zugleich, selbst bestaunen, denn es gibt keine Bühne und auch keine Leinwand; die ist oben im Kino; hier unten, im Limbus der Stadt (Abb. 4) ist Pausen- und Zwischentheatron oder einfach nur beides, Unterbrechung (des Konsumarbeitsalltags) und Kontinuität bzw. Identität (zwischen AkteurInnen und Schaulustigen).

Das Anfangs helle Weichholz nimmt allmählich – vor allem in den bodennahen Bereichen – die Abdrücke diverser Fortbewegungsvehikel an, die nicht nur staubig sondern als Spuren auch physiosemiotisch wirksam sind: Schuhsohlen, Pfoten, Fahrradreifen, Vogelfüße, Skateboardrollen, Rattenfüßchen, Kinderwagenräder... – sie alle verweisen nicht nur auf regen Verkehr, sondern auf dessen Heterogenität zum Autoverkehr. Wir anderen „VerkehrsteilnehmerInnen“ merken sonst gar nicht, wie vielfältig unsere Wege sich ständig kreuzen, fixiert wie wir sind auf den die Aufmerksamkeit bannenden Autoverkehr.

Die Vertikalen dieser Installation sind allesamt eckig und flach, ebenso die Horizontalen und die Schrägen. Dieses Anfangs parallel zum Geländer der Badnerbahn vor dem neuen Stadtkino im Künstlerhaus (Abb. 5) verlaufende Gelände ist da zum Platznehmen und zum Platztauschen. Es gibt eine neue Sicht auf den Karlsplatz sowie auf das ihn flankierende Künstlerhaus frei, indem es alle (Sicht, Platz und Haus) eigentümlich gerüsthaft verstellt. Wenn Menschentrauben sich an den Theken wie unter Lauben in Gruppen versammeln, verstellen ihre Füße und Beine den Blick der auf anderen Flächen Liegenden und gewähren ihnen zugleich schräge Einblicke. „Recht auf Einsicht“... (Abb.6)

Dann sind es wieder die Auffächerungen und Entfaltungen verschachtelter Eckbögen, die neue Ausrichtungen des Blicks veranlassen und Einblick in neue Fluchtlinien eröffnen. Ein faltobjektivartiges trompe l'oeil zum Beispiel (Abb.7), das zwischen Museums- und Kinoblock die Wahrnehmung irritiert und damit desillusionierend wirkt: die Falschheit der Mimikri, also die Kunststofffassade vor der „echten“ Künstlerhausfassade (Abb.8) wird von dieser noch deutlicher abgeschattet, was erkennen lässt, dass auch diese Echtheit immer schon Mimesis war, eine aus Stein zwar und eine klassizistische zudem, aber doch eine Mimesis, Nachahmung und zugleich eine im Sinne der Aristotelischen Poetik erfundene Geschichte. Auch die Kinoprospekte, die immer wieder auftauchen, evozieren die Frage nach der räumlichen Tiefe der Bilder auf der Leinwand.
Dagegen wirken die Escherhaft und doch real ineinander verschränkten Pultfluchten noch artistischer wenn schon nicht artifizieller, wie Möbiusschleifen nämlich, aber ohne Rundungen. Wieso nur Eckenkantenschrägen- und -flächengefüge mag gefragt werden. Damit uns liegen und sitzen vergeht, während wir nicht aufhören können, weiter zu schauen, einzublicken, rastlos die Aufmerksamkeit von einem ums andere Eck schweifen zu lassen? Es ist ein immanentes Leitsystem, das uns an keinen bestimmten Ort außerhalb seiner selbst führt, sondern vielmehr in immer neue Szenen, die wir darin und dadurch erschließen. Vielleicht ist auch das eine Anlehnung an die Kinowahrnehmung, die sich – im Sinne des „Traumwandelbildes“ – eher in szenischen Schleifen vollzieht als in linearer Bilderabfolge. Allerdings reißt diese Abfolge uns im Kino unerbittlich mit und lässt uns – anders als diese Außeneinrichtung, ein homemovie oder ein Roman – bei einer Szene nicht verweilen; es sei denn in der erinnernden Vorstellung.

Auf der rechten Seite der musealisierten Künstler(innen) und historistischen Kunstmusen, die dieses neualtneu verkleidete Haus zu beherbergen und auszustellen vermeint, vor dem brut-Theater im Künstlerhaus also, kann der Blick am Eck und auch der Körper im Holz zum Liegen kommen – nicht allerdings zur Ruhe. Das mag auch daran liegen, dass der Stadtbewohnerkörper aufgrund einer ständig auf/geforderten Aufmerksamkeit per se rastlos ist. Deshalb bedarf es so vieler Rastplätze für die Leiber in der Stadt, die nicht dem alleszermalmenden Er-Schöpfer anheimfallen sollen: Bänke, Wiesen, Stühle, Liegen... und es bedürfte ihrer noch viel mehr.

Das Riesenmöbel rankt sich auch in Richtung Kunst-am-Künstlerhausfassaden-Bau und spielt gen Himmel gerichtet ganz anders mit dem Licht als das windige Kunststoffgehänge, das uns seit Jahren vergeblich, weil verdeckend, eine nicht baufällige Fassade repräsentieren soll. Repräsentation als Ver-tretung und Vorstellung ist das von Psychoanalyse und Repräsentationskritik in der politischen Theorie und den Kunstwissenschaften unablässig bearbeitete und transformierte Bedeutungsgefüge, das sich hier in seltsamen Schrägen zu spießen scheint. Die passagere Einrichtung im Außen ist Außeneinrichtung an den Grenzen der Posen, mittels trompe pose, wenn es das gäbe, aber auch an den Grenzen der Sphären und Materialien: zwischen privat, öffentlich und politisch, zwischen Einzelnen, Gruppen und Gesellschaft, zwischen Holz, Kunststoff, Fleisch und Asphalt. Sie bearbeitet – mit und durch die Körper, die hier vorübergehend Platz nehmen – die Repräsentation: Neuvermessung von Abständen und Dichtegraden, Destituierung und Neuinstituierung von Platzhalterschaften, Wiedererkämpfen von Räumen...

Wofür steht in unserer leiblichen Vorstellung der Sessel und was mag es bewirken, wenn dieser Sessel so groß ist, dass wir eher dazu neigen uns darin hinzulegen? Wie ergeht es uns, die wir das Konsumieren so eingeübt haben, wenn wir uns mitten in der Stadt gemeinsam mit anderen an einem Ort niederlassen, an dem nicht nur kein Konsumzwang besteht, sondern an dem es auf den ersten Blick nichts zu konsumieren gibt? Wofür steht dieser Konsumzwang in und zwischen uns? Cogito ergo sum wird incognito ergo consum, wenn konsumieren in der „Konsumgesellschaft“ zum Inbegriff und zum spezifischen Habitus des Zusammenseins geworden ist: als eine den Genussmoment verscheuchende Attitüde unermüdlicher Geschäftigkeit. Ein solches Zusammensein ist kein wirkliches Verzehren in und nach der Gemeinschaft (der FreudInnen und der Sinne...); es ist vielmehr eine Abspeisung und ein Abgespeist-Werden/Sich-Abspeisen-Lassen in den Museumsrestaurationen, den von einer massenschlächterischen Agroindustrie belieferten Vertragspartnern der Museumsdirektionen, Ausstellungsbürokratien, KunstmarktinvestorInnen und anderer stakeholder – um nicht zu sagen Zombies – (post)moderner Kreativität.

In dem hellen, schutzlosen und doch zähen Weichholzgelände bricht dieses Herrschaftsdispositiv nicht nur symbolisch sondern auch habituell. Es wird deshalb wohl auch nicht von Dauer sein, denn diese „Stadt gehört schon längst nicht mehr uns“; oder gibt es doch noch einen kollektiven Umschwung? Wir werden seinen Beginn vielleicht an der plötzlichen Ausbreitung derartiger Stadtgeländemöbel erkennen.

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