12/02/2018

ArchitektInnen und das Land - eine Kapitulation?
Masterarbeit von Theresa Reisenhofer, TU Graz,
Oktober 2017

Die provokative Fragestellung im Titel zeigt auf, dass es in vielerlei Hinsicht eine gegensätzliche Beziehung zwischen ArchitektInnen und dem ländlichen Raum gibt.

In Interviews mit Architektur- schaffenden und Studierenden erkundet Reisenhofer, was diese über das Land denken und welche Herausforderungen es aus deren Sicht gibt.

Die Arbeit wurde von Univ.-Prof. Mag.phil. Dr.phil, Anselm Wagner, Vorstand des Instituts für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften an der Technischen Universität Graz zur Erlangung des akademischen Grades Diplom-Ingenieurin im Masterstudium Architektur erstellt.

Interessierte können in der Universitätsbibiothek der TU Graz in die 230 Seiten umfassende Arbeit Einsicht nehmen.

Die GAT-Reihe young theory präsentiert theoretisch-wissenschaftliche Arbeiten an Universitäten und Fac

12/02/2018
©: Theresa Reisenhofer

Die Beziehung zwischen den ArchitektInnen und dem Land ist in vielerlei Hinsicht ambivalent. Die Architekturdisziplin wird als ein gesellschaftliches Gestaltungsmerkmal im ländlichen Raum wenig anerkannt und akzeptiert. Architektur am Land bleibt die Ausnahme. Gegenstand dieser Arbeit ist die Darstellung einer allgemeinen, aber subjektiven Wahrnehmungsstruktur durch Architekturschaffende, die diese Beziehung näher begründen soll.

„The countryside is now the frontline of transformation.“ Rem Koolhaas beschreibt mit diesen Worten die aktuelle Transformation von ländlichen Strukturen. Seit der Industrialisierung vor mehr als hundert Jahren hat sich das traditionell geprägte Bild des ländlichen Raumes gewandelt. Digitalisierung und Globalisierung haben die Strukturen der Landwirtschaft und Lebensweisen gravierend verändert. Wir fokussieren dabei die anderen fast 50 %, die nicht in urbanen Gebieten leben. Sie befinden sich direkt an der Frontlinie, wie es Koolhaas formuliert, und sind die unmittelbar Betroffenen und GestalterInnen dieses Wandlungsprozesses.
Doch wie verhält es sich mit den Begriffen Stadt und Land in diesem strukturellen Wandel? Wie können die tradierten Begriffe vom Städtischen und Ländlichen in neue Zusammenhänge gebracht werden? Wie ist es in der Steiermark? Spricht man hier von einer verstädterten Landschaft oder von einer ländlichen Stadt? Welche Auswirkung hat dieser Wandel von Raum auf die Politik, die Gesellschaft und schlussendlich auch auf die Architektur und das Berufsfeld der Architekten und Architektinnen?

METHODE
Die vorliegende Studie nähert sich der Problematik von Architektur und dem ländlichen Raum nicht über das Gebaute, der Politik und Raumplanung oder durch die LandbewohnerInnen, sondern durch eine qualitative Untersuchung von Architekturschaffenden. Befragt wurden durch Interviews 25 ArchitektInnen in der Steiermark sowie 16 Architekturstudierende der TU Graz. Themenbereiche wie die Ausbildung auf der TU Graz, der Arbeitsstandort, die Arbeit mit ländlichen Strukturen und auch der persönliche Bezug zum Thema Land und Landschaft bilden einen problemorientierten Leitfaden in drei Abschnitten. Die Interviews wurden aufgezeichnet und wörtlich transkribiert. Für die Auswertung wurde die große Datenmenge in zwei Schritten abstrahiert. Im ersten Schritt wurden alle Transkriptionen in Stichwörtern und Phrasen gekürzt, anonymisiert und in ein Tabellensystem eingefügt. Im zweiten Schritt wurden einzelne Aussagen zu Themenbereichen und Schwerpunkten zusammengestellt und bilden den Kern dieser Arbeit. In verschiedenen Fällen wurde das Material detaillierter in Form von Zitaten beschrieben. Diese Zitate sind in der Arbeit fett markiert. Zusätzlich zu den Interviews mit den ArchitektInnen und Studierenden wird eine Art „Expertengruppe“ herangezogen. Roland Gnaiger, Andreas Ruby und Albert Kirchengast stellen dabei jeweils ihre eigene Sichtweise von außen dar. Die Texte und Aussagen der „Experten“ wurden mit den subjektiven Daten der InterviewpartnerInnen verknüpft und sind in der Arbeit kursiv markiert.

THEORETISCHER TEIL
Ein wissenschaftlicher Überblick

Ausgehend von der Hypothese des Philosophen Henri Lefebvres in seiner Publikation Die Revolution der Städte möchte ich das Phänomen der totalen Urbanisierung von Stadt und Land und die Verschiebung der Bedeutungsebenen erklären. Henry Lefebvre präsentiert das Phänomen der Urbanisierung als Prozess der Ausbreitung urbaner Merkmale und Gebiete, die Stadt und Land gleichermaßen betrifft, mit der zentralen Annahme der vollständigen Verstädterung der Gesellschaft.
Dieser Transformationsprozess ist unweigerlich mit der Wandlung der Landwirtschaft verbunden und zeigt sich in einer sozusagen Totalen Landschaft, wie sie Rolf P. Sieferle genannt hat.
Sieferle verknüpft die Veränderung der Industrialisierung und die einhergehende Veränderung der lokal und bäuerlich geprägten Traditionen einer Kulturlandschaft mit der Neuformierung einer Landschaft, die sich von lokalen Einflüssen abhebt, durch und durch von der Globalisierung und der Verfügbarkeit von allen Gütern geprägt ist und somit keine Stabilisierung von einem Stil mehr zulässt.
Thomas Sieverts nennt diese neuen Siedlungsfelder die dadurch entstehen, die weder den ideologischen Ansprüchen der Stadt oder des Landes entsprechen und in ihr sowohl städtische als auch ländliche Eigenschaften vereinen, Zwischenstadt. Das heißt, die Urbanisierung der Gesellschaft, die verstädterte Landschaft, der Wandel der Kulturlandschaft und die Artikulierung der gegenwärtigen Baukultur sind die Auswirkungen einer flächendeckenden Industrialisierung, Globalisierung und Digitalisierung durch das Prinzip des großen Wachstums. Das bedeutet ebenfalls, dass eine Lösung für Probleme in diesem komplexen Zusammenhang gesehen werden muss und die Landnutzung der gegenwärtigen Landschaft mit der aktuellen Baukultursituation zusammenspielt.

2 Brüche

Im nächsten Teil möchte ich spezifisch auf die Steiermark eingehen und zwei Brüche in der Architekturgeschichte ansprechen. Im Stilpluralismus am Anfang des 20. Jahrhunderts formierten sich zwei gegensätzliche Tendenzen. Einerseits die Moderne und andererseits eine Bewegung der Rückbesinnung auf traditionelle Formen und Bewahrung von alter Kultur, der Verein für Heimatschutz, der eine Generation später für die Ziele des Nationalsozialismus missbraucht wurde. Entscheidend für diese Studie sind vor allem die Nachfolgewirkungen dieser Blut- und Bodenideologie, welche bis jetzt andauern. Viele Teile der Geschichte und Tradition wurden für nächste Generationen kontaminiert und haben zu einem Bruch in der steirischen Baukultur geführt.
Dies führt uns zum nächsten historischen Merkmal. Die Entstehung einer Bewegung, die die Architektur der Steiermark bis jetzt beeinflusst und die Begegnung von zwei gegensätzlichen Positionen. In der Aufbruchsstimmung der 60er Jahre entstand in Graz die Architekturbewegung der Grazer Schule. Die Grazer Schule forcierte eine neue Architektursprache, die sich von Zwängen der Konventionen und der Geschichte loslöst. Günther Domenig wurde in dieser Bewegung zur Leitfigur auserkoren und 1980 als Professor an die TU Graz berufen. Günther Domenig präsentierte sich als der Künstlerarchitekt schlechthin. Seine Formensprache suchte das neue, aufregende und spannende und er sprengte alles, was nur einer Spur an Konventionen und Traditionen vergangener Zeit erinnert. Franz Riepl wurde in etwa zur gleichen Zeit berufen und übernahm die Leitung des Instituts für Landwirtschaftliches Bau- und ländliches Siedlungswesen. Im Gegensatz zu Domenig steht Franz Riepl seiner Herkunft unsentimentaler und selbstverständlicher gegenüber. Sie prägt vor allem sein Architekturverständnis, das sich in einer bewussten Angemessenheit der Mittel zeigt. Ein Interviewpartner hat das Verhältnis dieser zwei Architekten sehr gut beschrieben. „Der eine sprengt das Haus, der andere feiert das Haus“. Diese gegenteiligen Architekturpositionen waren für die Studierenden damals sehr interessant. Dennoch hat Domenig mit seiner expressionistischen Formensprache mehr mediale und öffentliche Aufmerksamkeit erreicht.

EMPIRISCHER TEIL
KAPITEL 1 - Räume der Erinnerung

41 Studierende und ArchitektInnen bilden die Hauptprotagonisten für diese Arbeit. Alle InterviewpartnerInnen haben auf der TU Graz studiert, beziehungsweise studieren dort gegenwärtig. Es sollten möglichst gleich viele ArchitektInnen aus Graz, wie auch aus den ländlichen Gebieten der Steiermark befragt werden. Es wurden 21 männliche Architekten und leider nur 4 weibliche Architektinnen befragt. Ich weiß, dieses Unverhältnis ist leider sehr bedauerlich. Es ging aber darum einen Querschnitt zu ermitteln und da ist diese Zahl leider Realität. Weiters wurden insgesamt 16 Studierende interviewt, davon war die Hälfte, also 8, männlich und 8 waren weiblich. Um auch einen historischen Verlauf darstellen zu können wurden auf eine gleichmäßige Verteilung der Generationen geachtet. Der älteste Architekt wurde 1940 geboren, die jüngste Studierende 1993. Ca. 91% der Befragten haben ihre Herkunft in ländlich geprägten Gebieten und sind für das Studium nach Graz gezogen. Roland Gnaiger beklagt im Essay Die Region ist ein Fluss oder Jo Coenen in der Steiermark die systematische Entfremdung von den Herkunftsorten durch die Architekturausbildung. Die Studierenden seien für die Problematik am Land nicht gerüstet. Albert Kirchengast formuliert im Interview den Prozess der Entfremdung als eine notwendige Entwicklung. Problematisch wird es aber, wenn in dieser Entwicklung ein geschichtsloses Architekturverständnis propagiert wird und das Anknüpfen an die eigene Geschichte schwierig macht. Im ersten Kapitel des empirischen Teils werden wir den Fragen nach dem Studium nachgehen und die Annahme Roland Gnaigers und Albert Kirchengast untersuchen.
Den InterviewpartnerInnen wurden Fragen zur Fokussierung des Lehrinhaltes in ihrer Studienzeit gestellt, welche Auseinandersetzung es in Ihrer Zeit mit dem ländlichen Kontext gab und welche Institute oder Lehrenden sich damit beschäftigten. Die letzte Frage dieses Abschnittes behandelt Empfehlungen, Kritiken oder Vorschläge, die die Befragten in Bezug auf die Ausbildung und die Auseinandersetzung mit ländliche Gebiete gibt aussagten.
Bei den ArchitektInnen galt das Institut für ländliches Siedlungswesen von Franz Riepl als DAS Institut, das sich mit ländlichen Fragestellungen auseinandersetzte. Die Studierenden gaben an, dass sich heute das Institut für Gebäudelehre und explizit Ulrike Tischler und das Institut für Wohnbau mit dem Land auseinandersetze. Das nachfolgende Institut von Riepl, Architektur und Landschaft von Klaus Loenhart geleitet, wird nicht mehr dem ländlichen Bauen zugeordnet. Die Programmatik dieses Instituts hat sich im Vergleich von Riepls Lehrstuhl deutlich verändert, denn es geht heute viel mehr darum internationale Fragestellungen durch Konzepte zu verfolgen. Die Wandlung ist aber nicht dem Institut oder dem Institutsleiter selbst anzukreiden. Die Hochschule hat sich bewusst für die Berufung eines Professors entschieden, der in einer gewissen Position in der Landschaftsarchitektur steht und die ist international und von einem gewissen Zuschnitt inspiriert, wie auch Albert Kirchengast im Interview erwähnt. Dennoch ist es aber interessant, dass von vielen ArchitektInnen das Fehlen des Institutes für ländliches Siedlungswesen angesprochen und als Problem formuliert wird. Auf die letzte Frage wurden von den Befragten Kritiken und Lösungsvorschlägen zum Thema Ausbildung und dem ländlichen Raum präsentiert. Der Kern der Aussagen bezieht sich dabei auf Bereiche der Raumplanung, der Stadt- und Landentwicklung, der Auseinandersetzung mit dem Kontext und der Soziologie. Zum einen wird hier von einer zwingenden Verbindung von Raumplanung und Architektur gesprochen, des Weiteren gibt es die Aussage, dass die Entwicklung von städtischen und ländlichen Räumen vor dem tatsächlichen Architekturprojekt stattfinden muss. Zum anderen gibt es die Kritik, dass die Architekturausbildung noch sehr stark objektbezogen arbeitet und somit das Bewusstsein auf eine größere Betrachtung ausschließt. Die Studierenden kenne zwar die Problematiken im ländlichen Raum, aber die näheren Zusammenhänge werden nicht direkt angesprochen, was auch Albert Kirchengast kritisiert. „Es bleibt kontextlos stehen“, heißt es in dieser Aussage einer Studentin. Es wird daher eine größere Auseinandersetzung empfohlen, um direkte strukturelle Probleme anzusprechen und bearbeiten zu können. Das nächste Kapitel widmet sich dem direkten Schauplatz, den ländlichen Kontext und der Position der Architekten und Architektinnen darin.

KAPITEL 2 - ArchitektInnen und das Land I

Im gegenwärtigen Architektur-Land-Diskurs treten die ArchitektInnen als Retter der Baukultur auf und versuchen durch Architektur-Vermittlung und Vorbild-Wirkung der Laien-Bevölkerung zu erklären, was gut und was schlecht, was Baukultur ist. Diese Form des Gegenüberstellens einer Ästhetik wurde auch schon vom Verein für Heimatschutz verwendet um „gute Beispiele“ von den „schlechten“ abzuheben. Bis heute bewegen sich die inhaltlichen Fragen zum Thema Baukultur und Land fast ausschließlich auf einer ästhetischer Ebene. Es ist aber notwendig, tiefer auf die Problematik einzugehen und die Ebene der Ästhetik zu verlassen. Sich grundsätzliche Fragen zu stellen. In diesem Kapitel wurde den InterviewpartnerInnen Fragen zur Verortung der ArchitektInnen gestellt, welche Vor- und Nachteile es für das Arbeiten und Wohnen in ländlichen Gebieten gibt, über die Situation der Architektur in Vorarlberg im Vergleich zur Steiermark und auch über ein mögliches Akzeptanzproblem bzw. über Klischees. In der Befragung ist klar zu erkennen, dass das Vorzugsgebiet der ArchitektInnen urbane Räume sind. Bei den Studierenden verschiebt sich der Trend und wechselt zu einer fast gleichmäßigen Aufteilung in dichtere und weniger dichtere Gebiete. Zum Thema Vor- und Nachteile für das Arbeiten und Wohnen am Land kann zusammenfassend folgendes aufgestellt werden: Die vorgestellten Vor- und Nachteile bilden das traditionelle Bild von Stadt und Land ab, einerseits die vielfältige, belebte, aufregende Stadt und anderseits das Land, mit wenig aufgeschlossenen Menschen, mit wenig Austausch, aber verbunden mit einer guten Lebensqualität. Erst im letzten Aussagenfeld wird beschrieben, dass die globalen Prozesse auch neue Möglichkeiten eröffnen und eine Verortung für Architekten oder der Architektin nicht mehr zwingend notwendig ist. Dennoch ist die Anzahl der ArchitektInnen am Land im Vergleich zur Stadt sehr niedrig.

Für den nächsten Themenbereich werden wir einen Schauplatzwechsel nach Vorarlberg durchführen. In Vorarlberg hat man es geschafft, in der Zusammenarbeit mit den HandwerkerInnen eine allumfassende Gestaltungsrelevanz zu entwickeln, die auch im privaten Bereich anerkannt ist. In der Steiermark ist diese Situation genau umgekehrt. Da bilden Gebäude von ArchitektInnen die Ausnahme und der Hauptteil der Entwurfs - und Planungsleistungen werden von Baufirmen oder anderen PlanerInnen durchgeführt. Es wird geschätzt, dass für die Planung von Bauvorhaben 95% von BaumeisterInnen erfolgen und nur rund 5% von ArchitektInnen. Die Befragten äußern dazu, dass die jeweiligen Kompetenzbereiche zwischen ArchitektInnen und HandwerkerInnen durch Schnittstellen klar definiert werden und beide Bereiche eine gleiche Wichtigkeit besitzen. Im Vergleich dazu existiert in der Steiermark nicht diese klare Trennung von Kompetenzen. „Architekten haben keine Tradition im ländlichen Raum.“ äußert sich dazu eine Interviewpartnerin. Der ländliche Raum ist geprägt von einer anonymen Baukultur, die sich über Jahrhunderte selbstständig und lokal ohne ArchitektInnen entwickelte. Außerdem war in der Vergangenheit das primäre Aufgabengebiet der ArchitektInnen das Entwerfen von prestigeträchtige Bauten wie Schlösser, Tempel, Kirchen, Rathäuser und Denkmäler alle Art, Zeichen zu setzen und Repräsentation sichtbar zu machen. Dieses urtypische Verständnis vom Aufgabengebiet der ArchitektInnen spielt für die Auffassung des klassischen Berufsbildes eine wichtige Rolle und betrifft hier gleichermaßen die ArchitektInnen und die Laien. In dieser Hinsicht wird eine unnahbare und elitäre Stellung der ArchitektInnen verstärkt wahrgenommen. Man vertraue hingegen eher den BaumeisterInnen, denn man kennt sie. Sie gelten als praktisch und pragmatisch. Sie sind auch in der Dorfgemeinschaft integriert, gehen zur Kirche oder sind in Vereinen tätig. Die ArchitektInnen wirken in dieser Hinsicht eher unnahbar, man weiß eigentlich nicht über den Kompetenz- und Tätigkeitsbereich Bescheid. Die meisten InterviewpartnerInnen bestätigen, dass es ein Anzeichen für ein Akzeptanzproblem zwischen ArchitektInnen und der Landbevölkerung gibt. Einerseits durch den schlechten Ruf oder Vorurteile und andererseits gibt es zu wenig Wissen über die Tätigkeit der ArchitektInnen. Folgende Klischees konnten die InterviewpartnerInnen wiedergeben und sind nach der Mehrheit der Antworten gereiht: Die ArchitektInnen seien teuer und somit nicht leistbar für die normale Bevölkerung. Sie sind in technischen Bereichen nicht avanciert, denken nicht praktisch und haben vom Bauen wenig Ahnung. Sie wollen nur sich selbst verwirklichen und gehen auf die Wünsche der BauherrInnen nicht ein. Die ArchitektInnen müssen möglichst originell entwerfen und man geht daher nur zum Architekten oder zur Architektin, wenn man sich etwas Außergewöhnliches wünscht. Auf die Frage, wie man das Akzeptanzproblem bearbeiten könnte wurde mehrmals der Wunsch nach einem Ausbrechen aus der autonomen Architekturblase artikuliert. Es geht dabei um eine Neuordnung des klassischen Berufsbildes.

KAPITEL 3 - ArchitektInnen und das Land II

Andreas Ruby spricht in dem Nachwort von Menschen und Häuser – Architektur aus der Steiermark über eine Kapitulation der ArchitektInnen in der Steiermark und daher resultierend, dass das Land sich selbst überlassen wird. Im dritten Kapitel werde ich auf die persönliche Haltung der InterviewpartnerInnen zu ländlichen Gebieten und der Landschaft eingehen und die Frage nach einer Kapitulation oder Resignation untersuchen.
Die Landschaft in der Steiermark wird fast hauptsächlich als Kulturlandschaft verwendet. Die Kulturlandschaft in Europa ist nicht statisch, sondern befindet sich seit Jahrtausenden in Bearbeitung. Durch die Dominanz der BaumeisterInnen im ländlichen Raum gibt es keine ausreichende Beschäftigung mit dem Kontext und der Landschaft. In ihrem Fokus stehen vordergründig Wirtschaftlichkeit, Kundenwünsche und Effizienz. Vor diesem Hintergrund wird von den Befragten mehrheitlich die Wichtigkeit einer Auseinandersetzung mit dem Kontext geäußert, wobei hier das Architekturstudium ein Vorteil bietet. Sie empfehlen für die Auseinandersetzung mit der Landschaft, die Landschaft selbst ernst zu nehmen und zu berücksichtigen, wenige Eingriffe in die Topografie durchzuführen und integrierend, ohne Fremdkörper darauf zu reagieren. Andreas Ruby vermutet hier aber einen genau gegenteiligen Umgang und behauptet, dass in der Steiermark ländliche Gebiete mit ihren Konventionen von den ArchitektInnen durchaus noch als ideologisch belastet empfunden werden. Viele hätten heute noch Probleme sich in einen ländlichen Kontext zu integrieren oder diesen auf eine Weise weiterzubauen, der nicht auf dem Prinzip des Widerspruchs oder der Abstoßung beruht, also in einer Kontrasthaltung. Mit diesem Stichwort, wenden wir uns wieder der Programmatik der Grazer Schule zu, die vor allem durch Einzelarchitektur und Objekte zum Vorschein kam. Andreas Ruby schreibt über die Grazer Schule folgendes: „Die ästhetische Fokussierung der Architektur auf Ihre Objekthaftigkeit führt darüber hinaus dazu, dass die Gestaltung des Verhältnisses von Gebäude und dem größeren Kontext der Stadt- und Raumplanung vernachlässigt wird. Besonders aufgefallen ist mir dabei die Distanz, mit der sich die Grazer Schule zur Landschaft verhält. [...] Sie arbeitet auch nicht mit dessen semantischen Eigenschaften wie Traditionalität, Ländlichkeit oder Regionalität und kann diese deswegen auch nicht transformieren, sondern nur durch ihre eigene radikale Andersartigkeit ablehnen.“ Dieses Zitat wurde der Interviewgruppe der ArchitektInnen vorgelesen und sie sollten ihre Meinung zu dieser Aussage wiedergeben. Es scheint hierbei eine schmale Gratwanderung zu sein, die optimale Antwort für gegebene Strukturen zu finden und zu entscheiden, inwieweit historische und traditionelle Merkmale in einem Entwurf einzubringen wären oder ob man sich davon lösen sollte. Ruby, Gnaiger und Kirchengast betonen aber, dass Architektur nicht nur ein gestalterischer Ausdruck der ArchitektInnen bedeutet, sondern sich in einem Zusammenspiel von Ermöglichen, Aneignung, Gestaltung von Lebensräumen, Vermittlung und Vertrauen manifestiert. In diesem Zusammenspiel findet man auch Konventionen, die die semantischen Eigenschaften von Traditionalität, Ländlichkeit und Regionalität beinhalten. „Man muss sich damit beschäftigen, um zu verstehen, was die Leute bewegt.“ wird von einer Interviewpartnerin geäußert. Diese Eigenschaften stehen nicht nur für sich selbst, sondern sind mit dem Kontext in seiner Gesamtheit verbunden.
Wir können aber erkennen, dass zu Zeiten der Konsumgesellschaft und Globalisierung, Regionalität und Ländlichkeit immer mehr aufgebrochen werden. Der Überfluss ermöglicht eine Ausbreitung von Beliebigkeit. Die Aufgaben haben sich geändert und mit der Industrie sei eine gemeinsame Formensprache untergegangen. Demnach bleibt auch hier die Frage offen, welche Wertigkeit Traditionalität, Ländlichkeit und Regionalität in der Zukunft besitzen und ob es den ArchitektInnen gelingt, diese in eine Gegenwart und Zukunft überzuführen?
Die Prognosen für den ländlichen Raum werden von den InterviewpartnerInnen negativ beschrieben. Die Problematik sei drastisch und werde sich noch zuspitzen. Sie sei nicht mehr aufzuhalten und es werde sich auch nicht viel ändern, wird allgemein beschrieben. Als Ursachen dafür wird ein breiter Egoismus angesprochen, indem es keine Anstrengungen gibt, etwas Gemeinsames zu schaffen. In der Frage der Politik sind sich die meisten InterviewpartnerInnen einig, dass es Fehler bei politischen Entscheidungen gegeben hat. Man versucht, der Thematik einer Abwanderung entgegenzuwirken, indem durch Baulandwidmungen für Einfamilienhäuser und Gewerbegebiete auf Zuzug spekuliert wird.
Dennoch: Die Antworten von verschiedenen Lösungsvorschlägen und Forderungen für die Zukunft ländlicher Gebiete lassen sichtbar werden, dass trotz düstere Zukunftsprognosen es ein großes Spektrum an Aufgabenbereichen für ArchitektInnen gibt.

FAZIT

ArchitektInnen und das Land, eine Kapitulation? Diese provokative Fragestellung ist Titel dieser Masterarbeit. Wie in der Studie zu erkennen ist, gibt es in vielerlei Hinsicht eine gegensätzliche Beziehung zwischen den ArchitektInnen und dem ländlichen Raum. Wir erkennen die Problematik im ersten Kapitel, wenn wir die Beobachtungen zur Architekturausbildung im historischen Verlauf betrachten. Das Profil der Hochschule orientierte und orientiert sich noch immer sehr stark an klassischen Aufgabenstellungen für die man Lösungen durch die einzelne Architektur präsentiert. Von den InterviewpartnerInnen, Albert Kirchengast und Roland Gnaiger, wird dieses Verständnis kritisiert, da es keine übergreifende Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Fragen gibt. Es ergibt sich daher ein Paradoxon. Einerseits beklagt man die gegenwärtigen Entwicklungen als eine Zerstörung, Gestaltlosigkeit und Unkultur. Andererseits distanziert man sich von den wesentlichen Fragestellungen. Dass dies der falsche Weg ist, sehen wir an den aktuellen Tendenzen, in der die Architektur für die Gesellschaft immer unrelevanter wird. Diese Ausklammerung ist aber fatal, wenn es darum geht, sich zu fragen, wie Architektur „alltagstauglich“ sein bzw. wie eine Alltagsarchitektur für Menschen aussehen könnte, die nicht zur Zielgruppe des klassischen Tätigkeitsfeldes gehören, das vorrangig prestigeträchtige Bauten für eine besondere Schicht beinhaltet hat. In der Steiermark äußerte sich die Bewegung der Grazer Schule in einem klassischen Architekturverständnis, in dem die ArchitektInnen als KünstlerInnen auftreten und den Gestaltungsanspruch vor alle anderen Faktoren setzen. Wenn man dieses klassische Bild verfolgt und die persönliche Ausrichtung der Tätigkeit wirklich auf dieses Verständnis auslegt, dann wäre diese Haltung durchaus legitim. Ob sie gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Wenn wir aber im Gestaltungspotenzial des ländlichen Raumes ein Tätigkeitsfeld erkennen wollen, was von den Aussagen der InterviewpartnerInnen deutlich bestätigt wird, müssen wir das klassische Bild des ArchitektInnenberufes hinterfragen. Die Frage lautet nun, inwieweit dieser künstlerische Anspruch an sogenannte Alltagsbauten wie Wohnungsbau, Einfamilienhäuser, landwirtschaftliche Bauten, Gewerbebauten und so weiter anwendbar ist und wie das Klischeebild, das den Befragten deutlich bewusst ist, aufgebrochen werden kann.
Interessant ist dabei, dass eine Neuorientierung des Berufes schon von vielen InterviewpartnerInnen gefordert wird. Albert Kirchengast und Roland Gnaiger betonen daher zurecht, dass Baukultur nicht nur eine Architektur von ArchitektInnen beinhaltet. Sie manifestiert sich durch das Maß der Beteiligten und Einflüsse und zeigt sich schlussendlich in einem gelungenen Zusammenspiel.
Die Gestaltung darf deshalb in Zukunft nicht der Rationalisierung und Ökonomisierung überlassen werden, denn der ländliche Raum ist und wird immer gestaltet, die Frage ist nur in welcher Hinsicht. Genau dies sollte die ArchitektInnen auffordern einen eigenen Kompetenzbereich zu schaffen, indem neuer verantwortungsvoller Ansätze, abseits der klassischen Architekturhaltung entwickelt werden können und in diesem Sinne auch für städtische Gebiete Potenziale bietet. So hat Koolhaas richtig behauptet: „You cannot understand the city without understanding the countryside.“

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