04/12/2018

Kein Wunschzettel an das Christkind.

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

.

04/12/2018
©: Karin Tschavgova

An dieser Stelle stand schon einmal ein Wunschzettel an das „Christkind“ mit – zugebenermaßen persönlichen – Wünschen und Ideen für die Entwicklung und das Wohl der Stadt. Davon heuer nichts in diesem Aber Hallo! in der Vorweihnachtszeit, dafür aber ein paar Gedanken angesichts des „besinnlichen“ Advents und seiner Hyperthrophie. Für mich wird das Stadtzentrum von Graz in dieser Zeit zur unbetretbaren Zone, weil die städtisch-touristischen Bemühungen um weihnachtliche Atmosphäre in unerträglichen Kitsch ausarten. Gut, in den Landhaushof zur Eiskrippe muss ich mich nicht begeben, wenn mich dieses Kunstwerk nicht interessiert. Woran ich aber nicht „ungeschaut“ vorbeikomme, sind die Inszenierungen am Eisernen Tor und am Hauptplatz, die ich passieren muss, wenn ich etwas im Zentrum zu tun habe. Kitsch as Kitsch can und dazu noch allerorts billiger Glühweingeruch und Angeheiterte, die glauben, dass nicht nur die Straße allein ihnen gehört, sondern auch die Straßenbahn nur für sie fährt. Von Seiten der Stadt zeigt sich dabei gut das Messen mit zweierlei Maß: nicht alle Bürger sind gleich erwünscht, behandelt oder auch nur „gelitten“. Während man einiges tut, um in der Vorweihnachtszeit ihrer möglichst viele ins Zentrum der Altstadt zu locken, die dann die Adventhütten zu ihrem hippen Ausgehtreffpunkt machen, wurden in den übrigen elf Monaten bis vor kurzem etliche Aktivitäten gesetzt, um die am Hauptplatz Herumlungernden, von denen sichtlich einige alkoholkrank sind, von dort zu vertreiben. Ich erinnere nur an die lächerlichen Büsche samt Absperrkordeln um das Denkmal herum.
Damit kein Missverständnis entsteht: Ich trete nicht für ein Abschaffen der weihnachtlichen Geschäftemacherei ein, finde aber, dass man nicht mit zweierlei Maß messen soll. Wenn man den Hauptplatz über seine Funktion als Zentrum des Urbanen hinaus freihalten will als angemessenes Entree zum Rathaus und Vorplatz für die oberste städtische Repräsentanz, dann muss man auch gegen die temporären, billig zusammengeschusterten Adventbretterbuden sein. Wer anstrebt, dem Hauptplatz seine Würde zu erhalten, müsste gegen jegliche Disneyfizierung eintreten, auch beim „Aufsteirern“. Beides verträgt sich schlecht mit dem Anspruch, Designhauptstadt zu sein.
Doch wer konsumiert, ist ein guter und vor allem ein ruhiger Staatsbürger, weil er befriedigt ist. Also Bedürfnisse schaffen, das Konsumieren anregen, wie es die Werbung perfekt erledigt – sinngemäß so konstatierte am letzten Sonntag spätabends auf ORF 2 der in wenigen Tagen neunzig Jahre alt werdende Sozialkritiker Noam Chomsky im Film Requiem for the American Dream. Sehenswerte Analyse!
Wenn ich mich vom Grazer Hauptplatz abwende und die Straßen abseits der Herrengasse entlang flaniere, weil ich weder Glühwein noch weihnachtlichen Glitzer brauche, fällt mir ins Auge, dass nicht nur die Behauptung, dass die „Schere immer weiter aufgeht“, stimmen muss, sondern auch, dass immer mehr Menschen immer reicher werden – neureich. Wie wäre sonst zu erklären, dass in Graz derzeit „luxuriöse“ Design- und Einrichtungsgeschäfte wie Schwammerl aus dem Boden schießen? Dass uns alle Tageszeitungen, selbst die regionale „Kleine“, mit einer gratis beigelegten Hochglanzbroschüre beglücken, mit weihnachtlichen Kaufempfehlungen in für mich unvorstellbar hohen Preisen versehen? Haben Sie eine solche einmal gründlich durchgeblättert? Die Duftkerze von Luis Vuitton um 175 Euro rangiert am unteren Ende der Skala, die Armbanduhren um 26.400 Euro erreichen vermutlich noch gar nicht ihren Plafond. Beides übrigens in grausam schlechtem Design.
Das macht es mir einfach, dem ganzen Weihnachtseinkaufstrubel und Konsumwahnsinn fern zu bleiben, an die billige, atmosphärisch dünne Verkleidung der Punschhütten am Hauptplatz gar nicht anzustreifen und der Gelegenheit zu widerstehen, das Aber Hallo!, das Sie gerade lesen, mit einem Wunschzettel an das Christkind, das für das Wohl der Stadt zuständig wäre, zu füllen. Frohe Weihnacht!

Little Troublemaker

Es sind die Brot und Spiele der heutigen Zeit, wie die selbstgerechten algorithmisch geformten Blasen der sozialen Netzwerke, der befriedigende Konsum, wie auch das verkaufte Weihnachten, überall sichtbar, die niemanden zum Widerstand bewegen!

Sa. 08/12/2018 9:48 Permalink
Anonymous

Man könnte als Designhauptstadt ja auch einen Wettbewerb für eine neue vorweihnachtliche Bespielung ausschreiben und auf gute Ideen für Glühwein- und Marktstäde hoffen. Ja, wäre interessant, vielleicht gibt es da ja auch etwas neues anderes, vielleicht kommen da gute Ideen und neue Möglichkeiten werden eröffnet. Könnte man wirklich vorschlagen.
Dennoch bin ich der Meinung, dass eine funktionierende Stadt und ein guter öffentlicher Raum, solche Weihnachtsmarkt-, Glühweinstand- oder Aufsteirern-Orgien aushalten können muss. Ja, es gehört meiner Meinung nach auch mehr in punkto Design und Ästhetik vorgegeben, muss man einfach mal angehen das Thema. Es gibt genug Akteure, die man dazu zu einem Gespräch und zu gemeinsamen Projekten motivieren könnte.
Mir ist schon klar, dass sich einige gestört fühlen in ihrem provinziellen Grauschleier abseits der großen Metropolen, es gibt aber auch andere, die es als unerträglich empfinden, wenn Graz dann ab dem 24.Dezember bis 6 Jänner zusperrt, quasi in Totenstarre verfällt und man keine Menschenseele mehr antrifft in der Stadt, die Restaurants wegen Reichtum geschlossen haben und hie und da versprengte chinesische Touristenzombie-Grüppchen auf der verzweifelten Suche nach was zu Essen durch die Gassen streifen.
... Graz ist und bleibt Provinz!
Und wenn einem die 4 Wochen Trubel der Vorweihnachtszeit auch noch zuviel ist, sollte man sich vielleicht überlegen, noch weiter aufs Land zu ziehen.

Fr. 14/12/2018 9:50 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+