06/02/2018

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

06/02/2018
©: Karin Tschavgova

Fake Reality im Business der Realitäten

Als mich vor kurzem ein Kollege aus Wien gefragt hat, ob ich etwas dagegen habe, wenn er in meine Schreibgefilde eindringen und über das Vorhaben Smartcity in Graz schreiben würde, da konnte ich das ehrlich verneinen. Ich habe mir nämlich vorgenommen, nicht mehr über ungelegte Eier zu schreiben.
Ich kann die gleichermaßen wortreichen wie phrasenhaften Ankündigungen nicht mehr hören, mit denen Projekte, vor allem im Wohnungsbau, von Immobilienentwicklern angekündigt werden. Da werden neue Heimaten und einzigartige Stadtlandschaften versprochen und Wohnparadiese mit „kompakten Grundrissen“ in Zweizimmer-Wohnungen auf 35 Quadratmetern. Kommt angeblich von angeben? „Get infected“ soll der Leser werden für das Wohnprojekt „Amalfi“ am Steilhang im Grazer Süden mit Blick auf Logistikhallen, riesige Autoabstellplätze und Gewerbebetriebe.
Die Fakes und Angebereien, die den Wohnprojekten des derzeitigen Immobilienbooms schon bei der Ankündigung anhaften wie klebrige Oststaatenzuckerl, sind ein Grund, warum ich mich dazu in Schreibabstinenz übe.
Ein anderer ist, dass die realisierten Objekte mit dem, was auf ihren riesigen Bautafeln vollmundig angekündigt wurde, nur mehr sehr wenig gemein haben. Vergleicht man sogenannte Schaubilder mit dem Bild der gebauten Wirklichkeit, so ist dies oft unerfreulich und taugt nur als Bilderrätsel „Finde die Unterschiede“. Wobei die Differenzen besser als Fehlstellen beschrieben werden müssten.
Was zuerst auffällt, also offensichtlich zuerst dem Rechenstift zum Opfer fällt, um dann im Realzustand zu fehlen, sind Bäume und generell das zuvor verheißene üppige Grün. Begrünung von Flachdächern scheint nur für die Präsentation auf dem Bild vorgesehen, Wiese verschwindet zugunsten von Pflasterung. Was den fertigen Realitäten auch fehlt, ist Qualität in der Detailausbildung, selbst bei guten Entwürfen. Da werden aus transparenten Terrassengeländern primitive massive Betonbrüstungen und wird aus fein proportionierter Verglasung ein Billigfenster à la Baumarkt. Sie meinen, ich übertreibe? Schauen Sie sich bei ihrer nächsten Fahrt zur Autobahnauffahrt Graz-Raaba das gerade entstehende Wohnprojekt Amalfi an, es dominiert einen Steilhang, und vergleichen Sie es mit dem Rendering der Bautafel.
Ein Vergleich vor Ort wird Ihnen, wie mir, verdeutlichen, dass solch schöngefärbten, computergenerierten Bilddarstellungen nicht zu trauen ist. Ich erinnere nur an die jetzt dunkle Fassadenfarbe am Pfauengarten, die das ganze Elend noch verstärkt. Und der massiv zubetonierte Hang im Stadtteil St. Peter wird vielleicht auch bei Ihnen die Frage aufwerfen, ob Stadtplanung, Baupolizei oder irgendein anderes Amt die deckungsgleiche Umsetzung einer Baueinreichung überhaupt einfordern und überprüfen. Jedenfalls wird man verstehen, warum ich dies nicht für eine lässige Sünde oder Lüge halte, die nur den Immobilien-Entwickler auf der einen Seite und die Käufer auf der anderen etwas angeht.
Schlechte Architekturen und Bauten am falschen Ort verschandeln für Generationen letzte freie Flächen in der Stadt, am Stadtrand und darüber hinaus. Das betrifft uns alle, auch wenn wir sie nur anschauen und nicht benützen müssen. Österreich ist Spitzenreiter in der Bodenversiegelung. Genau deshalb wird es Objektbeschreibung und Architekturkritik von mir nur mehr am fertiggestellten Objekt geben – zumindest im Wohnbau.

Laukhardt

Manche fragen sich, warum die Kolumne von Karin Tschavgova so selten kommentiert wird. Die Antwort ist einfach: Was soll man dazu denn noch sagen?

Di. 06/02/2018 7:31 Permalink
anonym

Antwort auf von Laukhardt

Einige ArchitektInnen scheinen in einer Echokammer gefangen zu sein... 2-stufiger oder einstufiger Wettbewerb, darum geht es derzeit bei den Kommentaren auf Gat. Währenddessen wird gerade an den Grundfesten der Demoratie gesägt, wer weiß, wie lange es überhaupt noch freie Wettbewerbe geben wird. Es empfiehlt sich das politische Geschehen, allen voran das Agitieren der FPÖ und der Rechten, genauer zu beobachten. z.B. die Rede des Herrn Eustacchio auf dem Kongress der Verteidiger Europas
http://info-direkt.eu/2018/03/03/kongress-verteidiger-europas-2018/

So. 04/03/2018 4:38 Permalink
Hermann Candussi

Auch mich erinnern die Rendering-Realitäts-Vergleiche oft an die berühmten Suchbildrätsel nach dem Motto "Das hier abgebildete Versprechen unterscheidet sich von der nebenan gebauten Realität in einigen Punkten".
Meine Lieblingsbeispiele der letzten Zeit sind zufällig beide im Verantwortungsbereich meines Lieblingsbauträgers: Dass "Argos" Augen gerade in anderer Anordnung montiert werden, als am Foto angekündigt, mag noch als Geschmacksfrage abgetan werden.
Dass sich die Maurer in der Leechgasse um ein ganzes Stockwerk verzählt haben (nachdem angeblich auch die Baugrube schon um ein Tiefgaragengeschoß tiefer geworden sein soll, als vorher vereinbart), hat aber sogar die Baubehörde auf den Plan gerufen, weshalb - so scheint es zumindest für den vorbei radelnden Laien - die Benützungsbewilligung noch auf sich warten und den Turm seither mit einem charmanten Schaltafeldach auf-warten lässt.
Meine Anfrage beim nebenan residierenden Bauträger wurde mir bereits im Frühling 2015 freundlichst beantwortet. Es sei "...richtig, dass das Projekt eine funktionale Verbesserung erfährt,...", worauf ich mich beschämt zurückzog, hatte ich doch banale Gewinnmaximierung als Motiv für etwas vermutet, was sich als edles Streben nach funktionaler Verbesserung entpuppte.

Di. 06/02/2018 1:09 Permalink
Elisabeth Kabelis-Lechner

Karin, du hast ja so recht.
Bei manchen Firmen aber geht das soweit, dass bereits Geschichten in Kitschart erzählt werden.
siehe Projekte Anna Sofia und Anna Maria in der Traungauergasse bzw.Niesenbergergasse, die eine immensen Verdichtungsschub ohne Qualität für das Stadtviertel darstellen.
Auszug aus der Projekthomepage
ANNA Maria
Hi, ich bin ANNA Maria.
Ich freue mich, Sie kennenzulernen und Ihnen etwas über mich und meine Geschichte zu erzählen.
Ich bin die Jüngste im Familienbunde und erweitere meine Schwestern ANNA Luisa und ANNA Sophia von einem Duo zu einem Trio.
Mein Name hat zweierlei Wuzeln: zum einen unser aller gemeinsamer erster Name ANNA, welcher von unserem Ursprung, unserem Geburtsort abstammt, denn nur unweit der Annenstraße haben unsere Erzeuger uns erschaffen. Die Annenstraße verbindet die Grazer Innenstadt mit dem Westen. Bildhaft gesehen, können Sie auf ihr in den Sonnenuntergang reiten.
Meine Namenspatronin ist ANNA Maria, Erzherzogin von Österreich, eine echte Steirerin und engagierte Person in wohltätigen Belangen. Anna Maria erbaute 1842 das erste Kinderspital in Graz in der Klosterwiesgasse, welches später in einen Neubau in der Mozartgasse siedelte. Dem Krankenhaus wurde der Status der Kinder Universitätsklinik verliehen. Heute sind die Gemäuer ein Teil der Universität Graz.
Ebenso wie meine Vorfahrin will ich Gutes tun und den Menschen Wohnräume bieten in denen Sie sich wohlfühlen. Mein Haus, in das ich Sie zum Wohnen einlade, erstrahlt ganz neu. Architekten und Handwerker formen mich tagtäglich zu einem Wohnhaus mit außergewöhnlichen Mietwohnungen. Diese Fachleute haben mit ihren Händen schon viele großartige Wohnungen gebaut, darum habe ich vollstes Vertrauen in sie.

Do. 08/02/2018 11:17 Permalink
Karin Tschavgova

Antwort auf von Elisabeth Kabelis-Lechner

Unglaublich, vielleicht sollten die bei einem Poesiepreis mitmachen anstelle des Bauherrnpreises. Ob man so etwas in Wochenendworkshops lernen kann?
Die Fragen sind aber ernstere: was hinterlassen wir den Generationen nach uns als Baukultur einer neuen neoliberalen Gründerzeit des beginnenden 21.Jahrhunderts? Reichen ein paar wenige gute öffentliche Bauten aus, um das Bild einer Stadt mit Innovation, Weitblick und Haltung zu formen?

Mo. 12/02/2018 1:28 Permalink
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