04/02/2014

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne "Aber Hallo!" Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt

04/02/2014

Karin Tschavgova, Architekturpublizistin und -vermittlerin, Graz

©: Karin Tschavgova

Vom Irrtum, zu glauben, dass tausend einzelne Ideen, Konzepte und Vorhaben zu Themen der Stadt ein Ganzes ergeben könnten

Zugegeben, es ist wirklich schwer, das Ganze oder das ganze Ziel im Kopf zu behalten, will man eine Aufgabe anpacken – flugs türmen sich Sachzwänge, Partikularinteressen und Nebenschauplätze auf und legen sich als Stolpersteine über redliche Absichten. Aber, frage ich mich und Sie, darf man nicht erwarten, dass das wenigstens versucht wird? Dass vorweg einmal ganzheitliche Ansätze zur Lösung von Problemen erarbeitet werden und dann nach Kräften der Versuch unternommen wird, diese umfassend umzusetzen.
Ein Beispiel, damit die Sache nicht ganz so abstrakt bleibt: Kopenhagen möchte bis 2015 erreichen, dass 50% der Kopenhagener ihre täglichen (!) Wege am Rad zurücklegen. Anfang 2014 ist man knapp vorm Ziel. Nachdem der Wunsch allein ein schwacher Motor ist, hat man ein über die Stadt hinausreichendes dichtes Radwegenetz errichtet, das Radfahrern ermöglicht, schneller ans Ziel zu kommen als ihre Auto fahrenden Nachbarn. Und weil das noch nicht Anreiz genug war, hat man dort, wo die Straßenbreiten es zugelassen haben, „Rad-Highways“ eingerichtet – Rad-Einbahnen auf ehemaligen Parkstreifen links und rechts der Straßen. Autos weg, Räder her - sicher keine populäre Maßnahme für alle, aber ein eindeutiges Zeichen für Priorität. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in der Kopenhagener S-Bahn Fahrräder zu jeder Tageszeit kostenlos mitgenommen werden dürfen und dass Kopenhagen ein E-Bike-Sharing-System (mit GPS) eingerichtet hat. Und dass Dänemark seit Jahren Neuwagenkäufer durch eine Zulassungssteuer von bis zu 180 % belastet, was sich bei teuren Autos proportional höher auswirkt. Ja, wenn man 2025 die erste europäische Co2-neutrale Hauptstadt sein will, muss man Taten setzen.
Wenn Bürgermeister Nagl nun mit seinem Feinstaubpickerl ein in der Eigendefinition „innovatives Produkt“ einführen wird, das Graz die zweifelhafte Ehre, Feinstaubhochburg Österreichs zu sein, wieder nehmen soll, so ist das ja etwas, oder? Ja, schon, Herr Bürgermeister, aber nur, wenn Grazer und Grazerin bereit sind, das Auto an fünf Feinstaubtagen pro Woche stehenzulassen. Und was bieten Sie jenen Beharrlichen in den Villenvierteln (mit Zweitautos), für die eine Ersparnis von 88 Euro gegenüber fünf regulären Monatskarten nicht Anreiz genug ist, um auf die ständige Verfügbarkeit des Autos zu verzichten? Eine Gondelbahn über der Mur nach Puntigam oder zum Flughafen, wie zuletzt kolportiert?
Hier ein kleiner Eingriff und dort ein kleines Anreizchen - nein, so kann’s wohl nicht gehen. Die in einer nebulösen Machbarkeitsstudie zur Murgondel (weil sie niemand kennt) angeblich veranschlagten 90 Millionen Euro könnte man besser einsetzen, etwa zur Verkürzung von Takten bei Buslinien in Stadtrandbezirken oder zur besseren Abstimmung von Anschlüssen an Straßenbahnen. Oder zur deutlichen Verbilligung aller Langzeitkarten. Behaupte einer noch, es gäbe kein Geld dafür. Und sollte es doch stimmen und das Murgondelprojekt nur ein Ablenkungsmanöver – wofür? – sein, so rate ich dennoch zur Nachahmung von Handlungsbeispielen zur Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz oder in den Niederlanden: Geld in die Hand nehmen, den öffentlichen Verkehr massiv ausbauen und seine Nutzung zugleich billiger machen. Das bringt viele zufriedene neue Fahrgäste, Kundenbindung und Umwegrentabilität. Dafür gibt es Beispiele, nicht nur bei den Eidgenossen und in holländischen Städten, sondern auch in Wien, wie man täglich an vollen U-Bahnen sehen kann. 2 bis 5-Minuten-Takt (tagsüber) um 365 Euro für ein ganzes Jahr – nur „Dahingondeln“ ist bei dem Preis nicht drin.

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