08/09/2011
08/09/2011

So urban kann Graz sein.

Enzis am Hauptplatz. Eine ihrer vielen Qualitäten: Sie lassen sich nur schwer durch die Gegend rollen.

Das Motto von Wien Tourismus als Vorbild: Jetzt oder nie.

Dem kommunikativen Wohnzimmer unmittelbar vor der Haustür konnte auch der Autor nicht widerstehen.Alle Fotos: Martin Grabner

Wer hätte das gedacht: Unser Hauptplatz kann auch richtig städtisch sein. Üblicherweise wird er ja, was die Bespielung angeht, einer Stadt mit bald an die 300.000 Einwohner, die sich mit großer Begeisterung "City of alles Mögliche" nennt, nicht wirklich gerecht. Ramsch- und Kitschmärkte, GKK-Gesundheitsinformationen und Almhütten verbreiten einfach kein genuin urbanes Lebensgefühl. Was fehlt ist ein nicht überdeterminierter öffentlicher Raum mit Aufenthaltsqualität aber ohne Konsumationspflicht. Soziologen würden wohl von einem Möglichkeitsraum sprechen. Weder die nicht gerade geringe Anzahl an Standln noch die teilweise schon abwegigen Veranstaltungen leisten dieses (Einzelerscheinungen wie die Genusstafel, die allerdings nur als singulärer Event funktioniert, einmal ausgenommen).

Dabei geht es doch ganz einfach, wie eine Veranstaltung Anfang September bewies: Ein paar Mini-Enzis (von Wien-Tourismus) und große Sitzpolster, in einem einfachen Rechteck angeordnet, reichen, um den Hauptplatz mit städtischem Leben zu füllen. Die Infrastruktur in Form zweier Bibliothekstürme, eines Ö1-Standes, Kaffee- und Wasser und einer kleinen Lesebühne wären gar nicht unbedingt notwendig, geben dem Ganzen aber eine weltstädtische Note. Menschen aller Altersgruppen lesen, unterhalten sich oder liegen einfach nur in der Sonne. Ohne verpflichtende Cappuccino- oder Spritzerbestellung. Ohne Betrunkene, ohne Lärmbelästigung. Und ohne aneinander gekettete Kirschlorbeerbäumchen. Leider war nach vier Tagen aber schon wieder Schluss. Die Veranstaltung StadtLesen der Salzburger Agentur innovationswerkstatt, die seit drei Jahren das Lesen ins Rampenlicht stellt und für Bibliotels wirbt, eine Gruppe von Hotels mit bibliophilem Einschlag, der übrigens auch das Erzherzog Johann angehört, war weitergezogen.

Man stelle sich vor – jedes bürokratische, parteipolitische, sich gegenseitig neidig verhindernde und blockierende Denken für einen Moment beiseitelassend – es handle sich nicht um eine temporäre Werbeveranstaltung, sondern um eine dauerhafte Einrichtung. Lesen ist an sich schon ein sinnvoller Zeitvertreib und in Verbindung mit der zentralen Lage und dem offenen WLAN-Hotspot der Stadt Graz könnte ein permanenter gesellschaftlicher Hotspot am Hauptplatz entstehen. Noch ein Sitzmöbel-Designwettbewerb um auch den City of Design-Ansprüchen nachzukommen (wenn auch die Enzis nur schwer zu überbieten sind), zum Darüberstreuen ein paar internationale Zeitungen und fertig ist ein Stadtmittelpunkt mit urbanem Flair. Dass die Grazerinnen und Grazer wie auch Touristinnen und Touristen dies mit Freude annehmen, als hätten sie nur darauf gewartet, war unübersehbar. Der Ball liegt bei der Stadt.

Verfasser/in:
Martin Grabner, Kommentar
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