22/10/2006
22/10/2006

sonntag 151

DI Wilhelm Schrenk, Raumplaner mit Büro in Graz

ÖROK Prognosen 2001-2031 - Wohnungsbedarf

ÖROK Prognosen 2001-2031 - Wohnungsbedarf

"AUFBRUCH - UMBRUCH - ABBRUCH?" - von Wilhelm Schrenk

Hinter diesem Wortspiel steckt die Beobachtung langfristiger Zyklen in Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung sowie daraus folgend in Siedlungs- und Wohnbautätigkeit.

Beispiele fundamentaler Umbrüche in Europa
In den letzten Jahrzehnten ist es in Europa im Zuge fundamentaler wirtschaftlicher Umbrüche und Erosionen – Beispiel Englische Industriestädte Liverpool und Manchester, Beispiel Städte in den neuen deutschen Bundesländern wie Leipzig, Dresden oder Halle – zu dramatischen Schrumpfungsprozessen gekommen. Die abwandernde Bevölkerung hinterließ leer stehende Wohnungen in großer Zahl (20 – 30%). Dies hat zu einer offensiven Thematisierung des städtebaulichen Rückbaus mit Abbruch überzähliger, schlechter Wohnungen und Rückbau nicht mehr benötigter Infrastruktur (Straßen, Leitungen, Einrichtungen) geführt. Nach Bewältigung des Schocks sind einige dieser Städte nun dabei, den turn-around auf neuem Niveau zu schaffen und wieder eine neue Zukunft zu entwickeln.

Steiermark: eher moderate Veränderungsprozesse
Stecken auch österreichische / steirische Städte und Regionen in einem solchen Schrumpfungsprozess, wo nur mehr massiver Rückbau und Abbruch alter Substanz einen Ausweg versprechen? Ein vergleichender Blick auf die Größenordnungen und die Qualität der Veränderungsprozesse, die es bei uns natürlich auch gibt, zeigt aber klar, dass hierzulande generell solche Problemdimensionen nicht vorliegen. Wir haben keine billigen „Plattenbauten“ von so geringer Qualität, dass sie bei entsprechender Gelegenheit fast massenfluchtartig verlassen werden. Trotz sichtbarer Wanderungsbewegungen entleert die Stadtflucht nicht unsere Städte. Plötzlicher Zusammenbruch von tragenden Wirtschaftsstrukturen mit nachfolgender Depression hat nicht stattgefunden.

Dennoch lohnt es sich, etwas genauer und differenzierter hinzusehen. Leerstand von Wohnungen kann eine Begleiterscheinung von Schrumpfungs- und Umbruchphasen sein, er kann aber auch eine Chance für eine qualitative Bereinigung und Neustrukturierung mit sich bringen.
Das in Österreich verfügbare statistische Material (im wesentlichen „Wohnungen ohne Wohnbevölkerung“) liefert dazu Hinweise, ist jedoch nicht in jedem Einzelfall wirklich verlässlich.

Steiermarkweit wurden im Jahr 2001 insgesamt 46.000 Wohnungen als leer stehend angegeben. Dies entspricht 8,6% des gesamten Wohnungsbestandes. Allerdings entfällt die große Mehrzahl davon, nämlich fast 30.000 auf die Kategorie A, vergleichsweise wenige Wohnungen (5.350) sind dem Substandard zuzurechnen. Diese Größenordnungen sind nicht wirklich alarmierend, gerade auch wenn man bedenkt, dass ein funktionierender Wohnungsmarkt auch eine Mobilitätsreserve in Form zeitweilig leer stehender Wohnungen benötigt.

Fokussiert man auf die Gemeindeebene, so zeigt sich beispielsweise in der Stadt Graz, dass hier nur eine von 15 leer stehenden Wohnungen die Qualitätsdefizite der Substandardkategorie D aufweist. Dies bedeutet, dass die noch vorhandenen Substandardwohnungen überwiegend bewohnt sind bzw. relativ rasch wieder in Nutzung kommen. Andererseits entfällt das Gros des Leerstandes auf die besseren bzw. besten Kategorien. Graz verzeichnet jedoch eine Zunahme bei den Haushalten und für die Zukunft (ÖROK-Prognose 2006) auch einen Anstieg bei der Wohnbevölkerung.

Fokus Eisenerz
Ganz anders ist die Situation in Eisenerz. Hier hat eine jahrzehntelange, ungebrochene Abwanderung nach der Blüte des Bergbaues zu eklatanter Überalterung geführt, sodass auch die Zahl der Haushalte massiv absinkt. Die Statistik weist beinahe 600 leer stehende Wohnungen aus, Tendenz steigend. Ähnliches gilt auch für Hieflau und Vordernberg in der Nachbarschaft. In diesem Raum werden allerdings in viel höherem Maße die Kategorie D Wohnungen aufgegeben und nicht mehr nach besetzt. Darüber hinaus dürften hier aber auch viele Kategorie A Wohnungen auf Dauer zum Überschussbestand zählen.

Regionale Differenzierung
Auch die Stadt Leoben weist zahlenmäßig einen erheblichen Leerstand (über 1000 Wohneinheiten) auf. Ein großer Teil davon liegt jedoch in der historisch gewachsenen „Altlast“ von Donawitz. Die unmittelbare Nähe der Arbeiter-Wohnanlagen zum Stahlwerk - Motto zu Fuß in die Schicht - erweist sich heute nicht mehr als Vorteil. Die Wohnattraktivität ist hier drastisch abgesunken. In anderen Teilen der Stadt sind dagegen gute Beispiele der Stadterneuerung gelungen.

In Fohnsdorf, Bezirk Judenburg, konnten in den vergangenen 10 Jahren außerordentlich große Neubauprojekte an Land gezogen werden. Damit wurde die durchschnittliche Qualität des Wohnungsangebotes signifikant angehoben, allerdings mit der Folge, dass nunmehr ca. 260 Wohnungen der Kategorie D in den Leerstand gefallen sind und wohl auch auf längere Sicht nicht mehr aufgefüllt werden dürften (die Region zählt zu den Abwanderungsgebieten der Steiermark).

Generell zeigt sich, dass in Gebieten mit lang anhaltender Abwanderung und fortgeschrittener Überalterung (z. B. auch Veitsch und Gusswerk) der Leerstand fast zwangsläufig zunimmt, dabei aber vor allem die schlechten Wohnungen nachhaltig aufgegeben werden.

Handlungsansätze
Leerstand kann und soll aber nur ein vorübergehendes Phänomen sein, das in jedem Fall zum Handeln aufruft, grundsätzlich mit 2 Hauptoptionen:
1. Sanierung und Aufwertung der einzelnen Wohnungen und Gebäude, aber auch ganzer Stadtteile (vorausgesetzt, dass eine Sanierungswürdigkeit dargestellt werden kann)
2. Aktives Management eines städtebaulichen Strukturwandels mit gänzlich anderen Nutzungen bis hin zum Rückbau. Auch in dynamischen Situationen haben alte Wohnungen an hoch frequentierten Verkehrslinien /-knoten ihre Qualität als Wohnstandort (längst) verloren, können aber ein Potenzial für neue, attraktive Dienstleistungsstandorte darstellen.
Je länger Wohnungen / Wohngebäude ungenutzt bleiben, desto mehr wird davon auch die ganze Umgebung miteinbezogen (Image- und Attraktivitätsverluste). Gleichzeitig werden städtische Dienstleistungen an den Stadtrand oder ins Umland abgedrängt. Häufig erweist sich die planmäßige Umsetzung von aktiven Erneuerungsstrategien jedoch als äußerst schwierig, da es zumeist ein hoch komplexes Geflecht an gegensätzlichen Interessen von Eigentümern, Stadtplanern, Immobilienentwicklern und Mietern sowie komplizierte rechtliche Rahmenbedingungen aufzulösen gilt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die ökonomischen Anpassungsprozesse in der Steiermark nicht ansatzweise jene Problemdimensionen zeigen, wie sie in zahlreichen englischen oder deutschen Städten (aber auch in so manchem neuen EU-Mitgliedsland) vorzufinden sind mit schrumpfenden Städten, massenhaftem Wohnungsleerstand und Rückbaubedarf. Auch die dortigen sozialen Begleiterscheinungen wie Plünderungen, Devastierung und Kriminalität sind hier nicht zu beobachten.

Allerdings stellen wirtschaftlicher und sozialer Strukturwandel zumindest punktuell auch hier einige Gemeinden immer wieder vor erhebliche Herausforderungen. In Einzelfällen wird auf Sicht ein geordneter Rückbau von historisch gewachsener Bausubstanz unvermeidlich und zweckmäßig sein. Kann dies in einem Fall zumindest zu einer effizienteren (leistbaren) Siedlungsstruktur beitragen, so können im anderen Fall sogar im Zuge von Stadterneuerung neue Standorte geschaffen und attraktive Wert schöpfende Nutzungen ermöglicht werden. In diesem Sinne kann auch ein ABBRUCH zu mehr Zukunftsfähigkeit beitragen und die Voraussetzung für einen neuen AUFBRUCH darstellen.

Dipl.-Ing. Wilhelm Schrenk ist Raumplaner mit Büro in Graz

Der Artikel von Dipl.-Ing. Wilhelm Schrenk ist in der Publikation „Umbruch – Aufbruch“, Herausforderungen und Möglichkeiten für eine zukunftsfähige Steiermark“ (2006) erschienen.
Medieneigentümer und Herausgeber: Abt. 16, Landes- und Gemeindeentwicklung, Graz
Konzept: DI Richard Resch, regionalentwicklung.at, Graz

AUSSTELLUNGSHINWEIS:
Im Rahmen des Projektes „Umbruch / Aufbruch“ läuft noch bis 10.12.2006 im Stadtmuseum Eisenerz die gleichnamige Ausstellung. Sie behandelt das Thema "Schrumpfende Regionen in Österreich". Es werden auch Teile der Ausstellung “shrinking cities³ aus Berlin gezeigt und ab 27.11.2006 sind fünf ausgearbeiteten Projekte des EU-weiten Ideenwettbewerb „Eisenerz 2021“ (GAT berichtete) zu sehen.

Ausstellungsort:
Stadtmuseum Eisenerz
Schulstraße 2, Eisenerz

Öffnungszeiten:
Di-So 10.00-17.00 Uhr
Führungen nach Voranmeldung unter T 03848/3615
EIN WEITERER LITERATURHINWEIS:
Atlas of Shrinking Cities. Atlas der schrumpfenden Städte
Redaktion: Philipp Oswalt, Tim Rieniets
Hatje Cantz Verlag GmbH & Co. KG, 2006
39,80 €, 160 Seiten, ISBN 3775717145

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