In den Schluchten des Mühlgangs
„Dieses ganze Jammertal
ist für mich ein Nachtlokal."
Aus der Csardasfürstin
„Ich gehe langsam
aus der Zeit heraus."
Hans Sahl
„Ein Schreiber, der denkt!
Unerhört.“
Asterix, Der Papyrus des Caesar
„Hat es Zweck,
das Weltall aufzustören?“
T.S.Eliot
Das übliche Niveau verlassen, tiefer werden! Ich gehe im Bachbett des Mühlgangs, drei Meter tiefer als sonst, und dieser Unterschied macht das Vertraute fremd: Die Häuser hoch, die Blickwinkel verrutscht.
Hier klingt die Stadt entrückt, wie eine Erinnerung. Unter den Füßen seifige Pfützen und glitschiger Schmadder.
Zwölf Kilometer zieht sich dieser Seitenarm der Mur durch Graz, begleitet Gassen und Gärten, quert Parks, verschwindet unter Häusern, Straßen, Kreuzungen, taucht wieder auf. Früher wurde darin gebadet und Wäsche gewaschen, betrieb sein Wasser Mühlen und Kraftwerke. Acht sind es noch. Jetzt ist der Mühlgang ein Müllgang. Es klatscht durch die Höfe, wenn der Dreck im hohen Bogen durchs Fenster entsorgt wird. Das hat etwas vom Mittelalter und dürfte auch so riechen. Wozu Mistkübel schleppen, wenn es die Schwerkraft gibt und vor dem Haus das Fließgewässer?
Einmal im Jahr wird er ausgelassen. Dann ist sein Bett eine bizarre Piste. Dann kommen Fahrräder zum Vorschein, Kühlschränke, Autositze, Schuhe in Massen. Als hätte sich unter Wasser, unseren Blicken entzogen, die ganze Zeit ein seltsames, abstruses Leben abgespielt.
Die Wände, unmöglich, sie hochzuklettern, sind Naturstein, dann mit Beton abgespritzt, dann schimmlige Pfosten und Bohlen. Von überall mündet was ein: Abfluß, Dachrinne, enger Kanal.
Düstere Gewölbe unter den Häusern. Geruch nach Tod und Hafen. Taubengeflatter und Getröpfel in der gruftigen Akustik. Wo immer man geht, geht es auch durch Vergleiche. Hier durch den Dritten Mann. Durch eine Prise Venedig. Durch Gruselgeschichten wie aus dem alten Prag. War das Schnelle drüben eine Ratte? Es war.
Wieder oben auf altem Niveau, ist es wie immer. Wenn schon eine minimale Änderung des Blickwinkels genügt, das Bekannte exotisch zu machen, sollte ich vielleicht auf allen Vieren weiterziehn.
(Glosse aus dem Buch: Mathias Grilj, Von mir aus. Erscheinungen).
Siehe auch Terminempfehlung unten.
