30/03/2009
30/03/2009

Nicht nur GEMEINSAM SCHÖN sind Christiane Feuerstein, Otto Neumeier, Marie-Therese Harnoncourt und Jan Tabor (v. li). Foto: wm

Zum Programmschwerpunkt GEMEINSAM SCHÖN SEIN waren im HDA Graz Christiane Feuerstein, Otto Neumaier, Marie-Therese Harnoncourt und Jan Tabor eingeladen, sich am Roundtable einer Fragestellung anzunähern, für die es auch in absehbarer Zeit wohl keine verbindliche Antwort geben wird.

Mit seinem Entwurf, hält Moderatorin Ingrid Böck in ihrem das Gespräch vorbereitenden Essay (HDA Gazette) fest, konnte der Architekt Raymond Hood 1922 den Wettbewerb um die Errichtung des Chicago Tribune Towers für sich entscheiden. Es sollte entsprechend den Anforderungen das „most beautiful and eye-catching building in the world“ entstehen. Dass das damit gekürte „schönste Gebäude“ formal der Neugotik entsprach, dürfte als Indiz für Zeit wie Ort und das retrospektive Verständnis des Schönheitsbegriffes stehen. Zu anderer Zeit und an anderem Ort wurde die nordische Gotik aus Sicht der einsetzenden italienischen Renaissance schon als „barbarisch“ bezeichnet, jedenfalls keineswegs als schön. Für den Wandel des so vagen Begriffs von Schönheit am Beispiel des Tribune Towers spricht die in den 1980er Jahren unternommene Stilübung einer Reihe von Architekten (u.a. Robert A. M. Stern, Stanley Tigerman), „späte Eingaben“ für besagten Wettbewerb von 1922 vorzulegen.

Wie zu erwarten war, ist dem Begriff in einer zweistündigen Diskussion nicht beizukommen, wohl eher der Frage im Untertitel: Ist Architektur Formsache? – Ei freilich, könnte man hier in der Diktion der Zeit Immanuel Kants antworten, den ihr Statement einleitend die Wiener Architektin Christiane Feuerstein zitierte. In seiner „Kritik der Urteilskraft“ (1790) ist Schönheit mit der Beschaffenheit der Natur verbunden, insbesondere wenn diese das Gefühl des Erhabenen auslöst. Angesichts der Kunst ist schön, was mit „interesselosem Wohlgefallen“, ohne Zweck also, betrachtet wird. Voraussetzung dafür wiederum ist der „Geschmack“ als „Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Missfallen, ohne alles Interesse. Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt schön.” Gleichwohl verweist Kant – wie sein Zeitgenosse J. J. Winckelmann – maßgeblich auf die klassische Antike. Winckelmann meint schön, wenn er das „allgemeine vorzügliche Kennzeichen der Griechischen Meisterstücke“ als „eine edle Einfalt und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als auch im Ausdruck” beschreibt. Damit gelangte man mitten in die für die kunsthistorische Diskussion relevante Frage nach dem Sublimen, dem Erhabenen, und – neben den genannten – verbunden mit Geistern (sic.) von Plato über Thomas von Aquin, William Hogarth, Baudelaire bis zu Marinettis Vergleich der Nike von Samothrake mit einem Rennwagen oder Roland Barthes Hymne auf die Göttin DS. Davon allerdings kam nur wenig im HDA zur Sprache, vielmehr entwickelten sich die Gespräche in eine Richtung, die schon Raymond Hood mit seiner Antwort auf die Frage nach Schönheit in der Architektur 1929 beantwortete: Schönheit ist Nützlichkeit, „eine Periode verlangte Anmut und Zerbrechlichkeit, eine andere Brutalität und Festigkeit“.

„Wenn etwa der Neubau einer Klinik“, meint der Salzburger Philosoph Otto Neumaier, „so gerät, dass die Gänge derart schmal sind, dass zwei Betten nicht aneinander vorbeigeschoben werden können, dann ist wenigstens eine Funktion des Gebäudes nicht optimal erfüllt. Und ästhetische Fragen sind in diesem Fall zumindest sekundärer Natur.“ Es sei aber nicht immer klar, welcher Zweck bei einem Bauwerk im Mittelpunkt steht um zur Formsache zu werden. Die naturwissenschaftliche Fakultät in Salzburg habe seines Erachtens eine „wunderschöne Schauseite“ beziehungsweise ein schönes Atrium und ebensolche Treppenhäuser. Dem entgegen stehen kleine Büros entlang langen dunklen Gängen, die das Wohlbefinden während Arbeit und Kommunikation mindern. Architekturen vergleicht Neumaier fallweise mit Fast Food, das seinen Zweck allein erfüllt, so es darum geht, schnell Nahrung aufzunehmen. „Personen, die ein Gebäude entwerfen, sagen mir durch dessen Form etwas und ich sage ihnen durch meinen Umgang damit etwas.“

Marie-Therese Harnoncourt (the next ENTERprise) erklärt ihre Praxis aus der “Wechselwirkung von gebautem Raum und Benutzern“. Benutzer bezeichnen the next ENTERprise in diesem Sinn auch als „Entdecker“, die sich im architektonischen Umfeld einrichten. In ihrer Arbeit werde das Wort Schönheit überhaupt nicht gebraucht. Natürlich sei Architektur Formsache, aber nicht ausschließlich. Schönheit entspricht jeweils subjektiver Bewertung und reicht damit nicht aus, die Qualität von Architektur zu bewerten.

Kurzweilig, wenngleich lange ausgeführt, stieg Jan Tabor ein. Über mehrere Bildbeispiele wurden Vergleiche geführt und dem Versuch zu definieren, geflissentlich und ebenso plausibel ausgewichen – bis Tabors persönliche Schmerzgrenze erreicht war. Die Hausgemeinschaft des Mehrparteienhauses, in dem er selbst und der Architekt des „schiachen Baus“ wohnen, sprach sich per Abstimmung für den Einbau von Kunststofffenstern aus. Tabor, ein martialischer Verfechter von Holzrahmenfenstern, opponierte bis zu einem Gerichtsverfahren, dass er auch verlor. Anstelle der zweiteiligen Holzrahmenfenster, sollten dreiteilige Kunststoffrahmenfenster eingebaut werden. Der Schönheit (nicht ausgesprochen) im Auge des Betrachters Tabor entsprachen dazu noch die „eh unpraktischen“ zweiteiligen aus Holz, während dem Hausarchitekten die dreiteiligen aus Kunststoff auch nicht ungelegen kamen. Nun verfügt also jeder über Fenster entsprechend seiner Vorlieben – und Jan Tabor behielt seine alten minus 1500 Euro Gerichtskosten. Auf Nachfrage jedenfalls nannte Tabor das Kunststofffenster schlechthin eine „ästhetische Konterrevolution“.

Die Suche nach der Schönheit wird wohl weitergehen. Aus der Diskussion ging immerhin hervor, dass der relative Begriff nach Referenzen verlangt.

Literaturempfehlungen
_ Götz Pochat: Geschichte der Ästhetik und Kunsttheorie von der Antike bis zum 19. Jahrhundert. Köln 1986

_ Umberto Eco(Hg.): Die Geschichte der Schönheit. München, Wien 2004

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+