29/02/2024

Urbane und rurale Typen des idealen Zusammenlebens, solidarisches Miteinander, gesamtheitliche Planung sind Themen, die Dinah Hohl in ihrem Text beleuchtet. Die Lebensgemeinschaft von B.R.O.T., Pressbaum wird näher vorgestellt: "Es zeigt, wie individuell und doch gemeinschaftlich dieses Modell des Wohnens sein kann. Baugruppen, seien sie in den Ballungsräumen oder in ländlichen Gefilden, sind daher weit mehr als nur gebaute Utopien. Sie sind gelebte Modelle eines solidarischen, offenen Miteinanders." 

29/02/2024

B.R.O.T., Pressbaum, Architekt*innen nonconform, © Andreas Scheurer

B.R.O.T., Pressbaum, Architekt*innen nonconform, © Andreas Scheurer

B.R.O.T., Pressbaum, Architekt*innen nonconform, © Andreas Scheurer

Sommerfest, B.R.O.T., Pressbaum, Architekt*innen nonconform, © B.R.O.T., Pressbaum

Prolog

Wir befinden uns im Jahre 2024. Nicht nur in den großen Städten und deren Stadträndern konkurrieren Bauträger um die besten Lagen. Nein – auch der ländliche Raum, der sogenannte „Speckgürtel“ ist interessant. Immer mehr Menschen sehnen sich – gerade nach der Pandemie – „raus ins Grüne“. 

Diesem Wunsch gehen die Immobilienentwickler nach und versuchen gut gelegene Grundstücke zu erwerben, in der Stadt wie am Land. Dort, wo einst oft nur eine kleine, alte Villa stand, zieren uniforme Hausfassaden die Gassen. Vorgärten gibt es, aber in versiegelter Form. Die Streuobstwiese wich Parkplätzen. Das, was bleibt, ist ein Minimalgrünstreifen pro Wohneinheit. Gemeinschafts(frei)flächen rentieren sich nicht, das Grundstück wird maximal ausgenutzt. Die Bewohner*innen wohnen zwar irgendwie gemeinsam, treffen sich aber selten und meist nur am Parkplatz.

Diese Art der Immobilienentwicklung ist sehr präsent in Stadt und Land, aber ist das DAS Nonplusultra? Nein! Denn es geht auch anders. Es gibt sie, die Projekte, die in Gemeinschaft entstehen.

Es ist nicht nur der Wunsch nach „mehr Grün“ dominant, sondern die Sehnsucht nach einem solidarischen Miteinander. Diese Wohnformen stützen sich auf das Kollektiv, sind aber dennoch individuell und vielfach innovativ. Sie funktionieren mit Partizipation der Bewohner*innen, die sich aktiv und verantwortungsvoll einbringen. Aufgaben werden verteilt und entschieden wird gemeinsam.

 

Baugruppen: Gebaute Utopien oder der neue Standard fürs gemeinsame Wohnen?

Wenn wir an Utopien denken, assoziieren wir meistens das städtische bzw. städtebauliche Idealbild. Es fallen uns Namen wie Le Corbusier oder Oscar Niemeyer ein. Damals revolutionär war die gesamtheitliche Planung, die sich am Menschen und der sich neu organisierenden Gesellschaft orientieren sollte. Es entstanden ästhetische Konstrukte, in denen der neue Mensch seinen Bedürfnissen und Wünschen entsprechend leben kann. Dieses „Raumgefäss“ für eine in Harmonie zusammenlebende Gemeinschaft, die nicht nach Reichtum, sondern nach Werten wie Verantwortungsgefühl und Gemeinschaftssinn strebte, wurde am Reißbrett entwickelt. Oft blieb es bei kühnen Theorien und Plänen. Ein paar Jahrzehnte später waren es die neuen Urbanisten (Congress for the New Urbanism, 1993), die durch klare Gestaltungsprinzipien öffentliche Plätze und Möglichkeiten zur Rekreation schaffen wollten. Das „Fußgängertum“ und eine gute Erreichbarkeit aller sozialen und öffentlichen Einrichtungen wurde großgeschrieben. Die Erreichbarkeitsgrenze schuf kleinere, autonom funktionierende Bezirke, die schon bald als „gated communities“ bezeichnet wurden.

All den Utopien ist jedoch eines gemein: Es ist der Wunsch nach einem besseren Leben, gar einer besseren Gesellschaft. Planer*innen wollten mehr Lebensqualität schaffen, sei es für das unterdrückte Arbeiterproletariat der industriellen Revolution oder durch Idealstadtentwürfe der 50er und 60er Jahre. Viele dieser Ideen scheiterten aber an der Umsetzung. Mangelnde Flexibilität und zu wenige Möglichkeiten, diese Strukturen von innen weiterzuentwickeln, waren gegeben.

Der Wunsch nach dem idealen Zusammenleben jedoch bleibt bis heute präsent. Unsere komplexe und diverse Gesellschaft braucht neue Modelle, neue Formen des Wohnens. Der soziale Ansatz für eine gesamtheitliche Planung, wie sie schon die Utopisten predigten, ist aktueller denn je. Eine Antwort darauf bieten unter anderem sogenannte Baugruppen oder Wohn-Projekte. Bei diesen sind die künftigen Bewohner*innen von Anbeginn des Planungsprozesses dabei.

Die Aufgaben, die Verantwortung und Entscheidungen werden in Arbeitsgruppen aufgeteilt. Damit das funktioniert, müssen alle informiert, gehört und miteinbezogen werden. Dass das mit sehr viel Zeit, Toleranz und auch Kompromissbereitschaft zu tun hat, erklärt mir Evelyn Kiffmann von B.R.O.T., Pressbaum: „Am Anfang war viel Arbeit zu tun und es mussten viele grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden. Mittlerweile, nach fünf Jahren, hat sich vieles eingespielt.“

Was als Prozess startet, endet aber in der konkreten Umsetzung – in einem Bauprojekt. In Wien gibt es mittlerweile mehr als 50 Baugruppen-Projekte. Oft werden diese in neu erschlossene und zu entwickelnde Stadteil- und Stadtentwicklungsprojekte integriert. Diese Wohnbauexperimente werden gerne als Wohnheime errichtet und sind durch die Wiener Wohnbauförderung förderbar. Vereine, Genossenschaften oder GmbHs bilden die rechtliche Basis für Grundstückskauf und Finanzierung. Häufig sind die gemeinschaftlichen Wohnprojekte auch Eigentümer der Immobilie. Auch dieser neue Umgang mit Eigentum als kollektive Form ist ein Gegenpol zum spekulativen Immobilienmarkt, an dem viele nicht mehr in der Rolle als Käufer*innen partizipieren wollen und auch können.

So entstanden sie also, die Baugruppen-Wohnprojekte in den neuen Wiener Stadtteilen. In der Seestadt Aspern, der Seestern Aspern und LiSa oder das Projekt GLEIS 21 im Sonnwendviertel rund um den neuen Hauptbahnhof, um nur einige wenige zu nennen. In den Randbezirken tragen sie blumige Namen wie „WILLDAwohnen“ (Wohnprojekt Wildgarten in Wien Meidling) oder die „Essbare Stadt“ in der künftigen Stadtlandwirtschaft Rothneusiedl. Wo einst der Haschahof seine Selbsternteparzellen anbot, sollen auf einer ca. 120 Hektar großen Fläche 9000 Wohnungen für 21.000 Menschen entstehen. 2/3 davon als geförderter Wohnbau. Viele dieser Projekte integrieren ökologische Aspekte in ihre Planungen. Es gibt „urban gardening“, Gemeinschaftsgärten und Naherholungskonzepte. Die Freiflächen sind großzügig und bieten viel klimawirksames Grün. Versiegelte Flächen werden reduziert. Die Architektur ist integraler Bestandteil des Konzepts und Fassaden und Dächer werden konsequent begrünt und bepflanzt.

Dieser Baugruppen Typus findet aber auch Einzug am Land, z.B. in Niederösterreich nahe der Großstadt. Eingebettet in ein ländliches Umfeld, oft sehr nahe an der echten, ungeplanten und verbauten Natur, dem Wald oder Bach ist dieser Typus für Stadtflüchter*innen und Personen aus dem ländlichen Raum das ideale Modell des Cohousings. Projekte, wie z.B. das gemeinschaftliche Wohnprojekt B.R.O.T., Pressbaum, Cohousing Pomali oder die Auenweide in Wördern zeigen, dass Wohnen am Land nicht unbedingt Wohnen im klassischen, freistehenden Einfamilienhaus heißen muss.

Städtebaulich betrachtet finden sich auch hier klare Gestaltungsprinzipien, die ein Miteinander und Kommunikation unter den Bewohner*innen ermöglichen. Eine gute Durchwegung zwischen den Baukörpern und öffentlichen Plätzen laden zum Verweilen ein und sind wichtige Bestandteile: bei den urbanen und ruralen Typen gleichermaßen. Im Gegensatz aber zu den utopischen Stadtteilen von einst dürfen Baugruppen wachsen – und zwar mit der Zeit und von innen heraus – den Bedürfnissen der Bewohner*innen entsprechend. Räume sind flexibel, können angepasst und neuen Nutzungen zugeführt werden, Plätze neu geschaffen und so gestaltet, dass das für alle passt. 

So hat man z.B. bei B.R.O.T., Pressbaum nach einigen Jahren erst ein „Haus der Stille“ geschaffen – und zwar gemeinsam: Das Häuschen aus Lehm und Stroh bietet Platz für Ruhestunden oder die gemeinsame Yoga-Praxis. Es zeigt, wie individuell und doch gemeinschaftlich dieses Modell des Wohnens sein kann. Baugruppen, seien sie in den Ballungsräumen oder in ländlichen Gefilden, sind daher weit mehr als nur gebaute Utopien. Sie sind gelebte Modelle eines solidarischen, offenen Miteinanders.

Was aber ist die Motivation der Menschen, sich bei so einem Wohnmodell am Lande zu beteiligen und hat der Typus überhaupt Chancen, ein neuer Standard zu werden? Ich habe nachgefragt – und zwar bei einer Bewohner*in B.R.O.T., Pressbaum: Evelyn Kiffmann.

 

Begegnen / Reden / Offen sein / Teilen: B.R.O.T. Pressbaum

Im Ortsteil Haitzawinkel, nördlich von Pressbaum gelegen, schmiegt sich die B.R.O.T.-Siedlung an den Wienerwald: 29 km von der Wiener Innenstadt entfernt und mittels Schnellbahn an diese sehr gut angebunden. Im Wald sind es nur ein paar Minuten. Gebaut in Holzriegelbauweise mit Zellulosedämmung und ausgestattet mit einer Zentralhackschnitzelheizung haben die Architekt*innen von nonconform auf einem 14000 m² großem Grundstück zehn Wohnhäuser und ein Gemeinschaftshaus mit den künftigen Bewohner*innen entwickelt. Gemeinsame Räume bieten Platz für Werkstätten, Ateliers und Veranstaltungen. Auch eine gemeinschaftlich organisierte FoodCoop gibt es in der Siedlung. Der Vorplatz vor dem Gemeinschaftshaus, sowie die Dorfstraße oder der Sportplatz und der Schwimmteich sind gemeinsam genutzte Freiflächen.

2013 begann die Projektentwicklung, gebaut 2017 und schon ein Jahr später, 2018 wurde eingezogen. Bis das Projekt zur Umsetzung startklar war, galt es einige Hürden zu bewältigen. In Niederösterreich werden derartige Projekte ohne Bauträger nicht gefördert, was das Aufstellen der gesamten Errichtungskosten bedeutete. Schlussendlich konnte das Projekt mit Eigenmitteln und Darlehen auf die Beine gestellt werden. Dass das Grundstück früher ein Selbsterntegarten war, stieß bei einigen Menschen vor Ort natürlich anfangs auch auf Widerstand. Das Projekt startete mit einem kleinen Kernteam und ist bis zum Bezug auf mittlerweile rund 110 Personen (60 Erwachsene und 50 Kinder und Jugendlichen) aus insgesamt neun verschiedenen Ländern angewachsen. Die Eigenmittel der Bewohner*innen (ähnlich wie ein Genossenschaftsanteil) sind ein wichtiger Finanzierungsbaustein. Die laufenden Kosten werden durch Nutzungsbeiträge für die tatsächlich genutzten m² der jeweiligen Wohnung/Einheit abgedeckt. Eine Solidaritätswohnung, die von der Gemeinschaft und Spender*innen gestützt wird, gibt es auch.

In einem Baugruppenprojekt zu leben bedeutet aber nicht nur den Weg bis dorthin gemeinsam zu gehen, sondern laufende Arbeit, ehrenamtlich. Der „dörfliche“ Alltag will gut organisiert sein, gemeinsame Angelegenheiten bedürfen Abstimmung und persönlichen Einsatz. Dafür wurden Arbeitsgruppen gegründet, die sich um die verschiedenen Themen kümmern (Grünraum, Öffentlichkeitsarbeit, Bauen/ Liegenschaftsbetreuung, Finanzen usw.).

So funktionieren die Abläufe, die Foodcoop ist beliefert, die Nahversorgung gedeckt und über die Veranstaltungen, die im Projekt stattfinden, wird auf verschiedenen Plattformen informiert. Dass das alles parallel zur Erwerbstätigkeit und etwaigen Kinderbetreuung auf Schiene sein muss, ist manchmal sowohl für das Individuum als auch für die Gruppe fordernd. Das Ergebnis ist ein selbstbestimmter Lebensstil und ein Leben in Gemeinschaft.

„Der Gewinn ist ein lebendiges Miteinander, das den Austausch mit vielen Menschen ermöglicht“, sagt Evelyn.

Die Motivationen, warum Bewohner*innen ein Wohnprojekt am Land als die für sie richtige Wohnform wählen, sind vielfältig. Evelyn ist allein eingezogen. Für alleinstehende oder ältere Menschen bietet diese Wohnform viel. Sie werden Ersatzgroßeltern, sind in eine Gemeinschaft integriert und im Austausch mit anderen Generationen. Auch jüngere Bewohner*innen schätzen diese Vielfalt, dieses lebendige Miteinander. Viele Menschen, die in Städten oder an deren Rändern leben, weit weg von ihren Ursprungsfamilien, müssen ihren Alltag oft allein und ohne Unterstützung der Familie bewältigen. Das kann mit kleinen Kindern, gerade wenn man alleinerziehend ist, eine Herausforderung sein. Die Vielfalt an Menschen in so einem Wohnprojekt vermag diesen Mangel jedoch zu kompensieren. Kinder verschiedener Familien spielen gemeinsam, tauschen sich aus und lernen voneinander.

Die Motivation, warum sich Menschen aus der Stadt und auch am Land für Cohousing-Projekte entscheiden, ist jedoch ähnlich – sie sehnen sich nach Gemeinschaft, einer Verbesserung des Wohnumfeldes und/oder ihrer eigenen Wohn- bzw. Lebenssituation: Sozial, ökologisch und auch wirtschaftlich. Viele Bewohner*innen haben ein ausgeprägtes, ökologisches Bewusstsein. Vieles wird geteilt, wie z.B. Fahrzeuge. Auf Vertrauensbasis. Die Verteilung von Aufgaben und das Teilen der Verantwortung für verschiedene Aufgaben sind für viele ein weiterer Vorteil bzw. eine Erleichterung. Die Sharing-Kultur, das gemeinschaftliche Leben und die Partizipation sind Erfüllungsbedingungen für einen nachhaltigen Lebensstil. Und das ist es auch, was gemeinschaftliche Wohnprojekte und Baugruppen auszeichnet und warum sie sich vom „mainstream“ abheben. Es ist, in der Marketingsprache formuliert, ihr USP (Alleinstellungsmerkmal).

Ausblick

Alternative Wohnmodelle sind von Anbeginn ihrer Entwicklung das Gegenmodell zur spekulativen Herangehensweise der Immobilienwirtschaft. Der partizipative Ansatz ermöglicht eine klare Orientierung an den Bedürfnissen der künftig dort wohnenden Menschen. Diese tragen das Projekt mit, entwickeln es weiter, lernen aus Fehlern und probieren Neues aus. Das Wohnumfeld wird ein bisschen zum Labor, zum Experimentierfeld. Und das ist gut so, denn nur flexible Strukturen können sich auch gut an künftige Bedürfnisse anpassen.

Durch entsprechende Förderungen, politischen Einsatz könnten alternative Wohnmodelle den ländlichen Raum als attraktiven Lebensraum interessanter machen, der Überalterung entgegenwirken und vielleicht sogar mit dem Leerstand besser fertig werden. Sie können Orte bereichern, neue Inputs geben oder sogar Veranstaltungen, wie es auch bei B.R.O.T., Pressbaum geschieht, anbieten. Das alles kann am Anfang gerade im ländlichen Raum ein wenig „schräg“ für die Einheimischen sein und nicht immer reibungslos für die „Neulinge“ funktionieren, aber nach und nach bemerkten die Nachbar*innen dann doch, wie Evelyn sagt, dass „hier doch ganz normale Menschen wohnen“. Der Knackpunkt im ländlichen Raum, sich in nachhaltige Regionen zu entwickeln, ist sicher der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, der mit solchen baulichen Entwicklungen einhergehen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte … 

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