08/11/2022

Wolkenschaufler_64
Die Kunst, ein Rennrad zu fahren

Bemerkungen zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) von Wenzel Mraček. Die Kolumne Wolkenschaufler erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

08/11/2022
©: Zita Oberwalder

„Fünf Minuten mit der Tour d’Autriche“, Michael Schuster 1981 auf der Etappe Spital am Phyrn nach Aflenz (16 mm Filmkader, © Michael Schuster)

Wenn nicht gerade geschaufelt wird, ist der Wolkenschaufler in einem seiner Brotberufe auch als Kurrrator tätig (bitte sich das Wort mit sonorer Stimme gesprochen vorzustellen, mit ausgiebig gerrrolltem Zungen-R, wie es mir Mathias Grilj einmal so von sich gesagt hat). Zurzeit bin ich damit beschäftigt, einen Abend mit kurzen Videokunstwerken für die Kunsthalle Graz vorzubereiten, an dem es auf Großleinwand Arbeiten von Anna Vasof, Hans Schabus, Robert Schabus und anderen mehr zu sehen geben wird (… „if The Good Lord should be willing, and I sure hope, HE IS WILLING!“, hat der Radiomoderator Connie Tex Hat an vergleichbar kritischer Stelle immer gesagt).

Diese Schrift soll jetzt keine Bewerbung der Veranstaltung am 25. November (ab 18 Uhr) sein, die unter dem Titel Daumenkino im Stadion stattfinden wird (s.o., CTH). Aber ich komme nicht umhin, zunächst die Umstände darzulegen, die mich nun in die so ausnehmend schwierige Situation versetzen, meine Hoffnung auf der Suche nach einem Film-Kunstwerk so langsam schwinden zu sehen. Gleichzeitig aber ist es angenehm aufregend, mich als Kunsthistoriker auf die Spuren nach einem derzeit verschollenen Desiderat zu begeben.

Meine Erinnerung gleicht einem Flug durch die Wolke. Vielleicht war es zu Anfang der 2000er-Jahre, als ich im Forum Stadtpark, damals präsentiert von Michael Zinganel, einen kurzen Film gesehen habe, in dem der Grazer Künstler Michael Schuster (Fotografie, Malerei und medienanalytische Arbeiten) versuchte, auf seinem Rennrad mit dem Hauptfeld der Österreich-Radrundfahrt mitzuhalten. Das von mir erinnerte Kopfkino geht so: Schuster steigt aufs Rad und tritt los, während sich im Hintergrund das Tourfeld nähert. Zu hören ist das Geräusch eines Motorrads, von dem aus die Szene offenbar gefilmt wird. Das Feld rauscht nun mit Karacho an Schuster und dann an der Kamera vorüber. Schuster, nun allein auf weiter Flur, tritt langsam aus und steigt schließlich ab – Film aus.
Diesen Film will ich haben, um ihn während Daumenkino im Stadion zu zeigen. Allein, ich weiß nicht, wie das Ding heißt, wann es gedreht wurde oder wo es sich befinden könnte. Das Internet erweist sich einmal mehr als Internjet, heißt Hase und weiß von nichts.

Per E-Mail wende ich mich an die Neue Galerie in dem Wissen, dort befinden sich etliche Werke von Michael Schuster. Freundlich antwortet mir Günther Holler-Schuster (nicht verwandt oder verschwägert), ja, er könne sich an „das Foto“ erinnern, der Film sei aber „sicher nicht“ im Archiv.
Also schreibe ich eine E-Mail an Michael Zinganel, der sich nach langen Jahren nicht nur an mich, sondern auch an den Film und den Abend im Forum Stadtpark erinnern kann, wenngleich nicht an das betreffende Jahr. Er sei inzwischen mehrmals umgezogen, dabei sei vieles aus seinen Beständen verschwunden und ziemlich sicher auch der damals auf VHS-Kassette kopierte Film. Zinganel, lese ich zwischen den Zeilen, hat aber ein gewisses Mitgefühl.

Folglich wende ich mich per E-Mail an den Urheber. Und Michael Schuster ruft mich tatsächlich am „Sacktelefon“ (ich zitiere Peter Handke von unauffindbarer Stelle) an. Es folgen mehrere Telefonate, in denen sich immer mehr Details um dieses von ihm, Hartmut Skerbisch, Gerhard Gröller und Hermann Pichler realisierte Projekt eröffnen:
Stattgefunden am 19. Juni 1981, auf der 8. Etappe der Österreich-Radrundfahrt von Spital am Phyrn nach Aflenz Kurort; Einstieg Schuster in der Nähe von Niklasdorf.
Schuster fährt ein Rennrad der Marke Puch, Modell Mistral; Gerhard Gröller lenkt ein geborgtes Motorrad, BMW 750, auf dessen Sozius – und gegen die Fahrtrichtung sitzend – Hartmut Skerbisch die Kamera führt; zur Sicherheit sind Gröller und Skerbisch mit einem Gürtel aneinander geschnallt.

Unterdessen – und über mehrere Tage, während derer wir immer wieder telefonieren, – schickt mir Schuster per E-Mail Kopien von Flyern zur Uraufführung, ein Plakat zu Filmpräsentationen, eine Einladungskarte, unterzeichnet von Horst Georg Haberl; die Liste der Etappen zur damals 33. Österreichrundfahrt (nach Anfrage Schusters, 1981 vom Österreichischen Radsportverband freundlich zur Verfügung gestellt); Auszüge aus einem Essay, in dem Helmut Draxler über Tristram Shandy schreibt und darin Schusters Rad-Kunstwerk analysiert.
Es entstand ein fünf Minuten langer Film, gedreht auf 16 mm Colorfilm, der, wie es in einer an diesem Tag veröffentlichten Ankündigungsschrift heißt, in einer Galerie gezeigt werden soll. Titel: Michael Schuster – 5 Minuten mit der Tour d’Autriche.

Wieder am Telefon erzählt mir Michael Schuster, man habe sich für einen Streckenabschnitt nah Niklasdorf entschieden, weil die Straße dort leichtes Gefälle aufweist. Damit, dachte man, sei es für den Amateur leichter, einige Zeit im Feld der Profis mitzuhalten. Eintrat allerdings der gerade gegenteilige Effekt: Das Hauptfeld mit dem damals 19-jährigen Gerhard Zadrobilek, der als Sieger der Tour hervorgehen sollte, fuhr abwärts eine Geschwindigkeit von etwa 75 km/h. Allein die zu hohe Übersetzung von Schusters Mistral war dafür nicht ausgelegt.

Super, wunderbar und vielen Dank für deine Mühe, mir die Umstände so ausführlich zu beschreiben, habe ich dann irgendwann im Laufe unserer Telefonate zu Michael Schuster gesagt. Darf ich den Film haben, möglichst digital, und darf ich ihn zu Daumenkino im Stadion (keine Werbung, so heißt nämlich die Veranstaltung in der Kunsthalle Graz am 25. November ab 18 Uhr) zeigen? „Gerne, ich würde mich freuen“, hat Michael Schuster daraufhin zu mir gesagt, „nur – ich habe den Film nicht!“
Vielmehr wisse er gar nicht, ob überhaupt noch irgendwo eine Kopie davon existiere, nachdem ich ihm erzählt hatte, nicht in der Neuen Galerie und nicht bei Michael Zinganel. Er könne sich eigentlich auch nicht daran erinnern, ob nach der Uraufführung am 15. Juni 1984 auf dem Grazer Hauptplatz eine Kopie in seinen Beständen verblieben ist. Auf zu neuen Taten und 5 Minuten mit der Tour d’Autriche ist Geschichte. Die Kunsthistoriker und Gunsthysteriker mögen sich doch nach Jahrzehnten um Wiederaufführung und Bewahren kümmern.
Ja, aber das versuche ich ja gerade. Vielleicht, meinte Schuster, ist der rechte Zeitpunkt für die Historizität noch abzuwarten, für eine Aufführung jedenfalls noch in diesem November sehe es nicht gut aus. Aber, so Schusters Vorschlag, ich könnte den Film, nachdem dessen Evidenz nicht gegeben ist, – während Einblendung allen hier beschriebenen Materials – am 25. November ab 18 Uhr in der Kunsthalle Graz im Rahmen der Veranstaltung Daumenkino im Stadion (keine Werbung, s.o.) ja erzählen!

Damit meine Bitte: Sofern Sie etwas über den Verbleib von Michael Schusters 5 Minuten mit der Tour d’Autriche aus dem Jahr 1981 wissen sollten, bitte ich um Benachrichtigung. Einstweilen werde ich den Film erzählen.

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