09/06/2020

Künstlerischer Dialog zu Theorie und Praxis

Wenzel Mraček zur Ausstellung freispiel
Wolfgang Temmel 
Hubert Matt

im Feuerwehrmuseum
Groß St. Florian, Marktstraße 1
bis 23. August 2020
Die – So, 10:00 – 17:00 Uhr

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Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

09/06/2020

Hubert Matt, „Gott“, 2020

©: Feuerwehrmuseum

Wolfgang Temmel, „Sommerlandschaft mit blühendem Mohn“, 2018 (Nach Pál Szinyei-Merse, 1896)

©: Feuerwehrmuseum

Hubert Matt (links), Wolfgang Temmel (rechts)

©: Christian Koschar

Wolfgang Temmel (links), Hubert Matt (rechts)

©: Christian Koschar

Hubert Matt (Mitte), „Malen nach Zahlen“ 2019/20, Wolfgang Temmel (links, rechts)

©: Christian Koschar

Wolfgang Temmel, „o.T (Haus)“, 2004

©: Feuerwehrmuseum

Hubert Matt, „ATLAS Projekt / Exploration 01“, 2020

©: Feuerwehrmuseum

Oft sind es statistische Methoden, die zur Erstellung des Kunstwerks herangezogen werden. Im österreichischen Lotto hat der Bregenzer Künstler Hubert Matt über 14 Wochen jeweils einen Quicktipp gesetzt. Die Zufallstipps aus dem Computer werden als „gesetzte Zahlen“ den Ergebnissen der jeweiligen Ziehung („gezogene Zahlen“) gegenübergestellt. Die Grundlage der Malerei sind nun Verhältnisse oder nur mögliche Verhältnisse zwischen gesetzten und gezogenen Zahlen, die etwa als Länge und Breite von Rechtecken dargestellt werden können. Als Kunstwerke zeigen sieben Bildtafeln Variationen der Interpretation von gewünschten und gezogenen Zahlen, die formal freilich auch ganz anders umgesetzt werden könnten. Malen nach Zahlen nennt Hubert Matt seine Serie von Strukturbildern, die mit einiger Anstrengung decodiert werden könnte und er hält fest: „Ein Treffer im Lotto wird zur vollendeten Form in der Kunst.“
Vergleichbar ist die Vorgangsweise an einer weiteren Arbeit, zu der Matt während regelmäßiger Spaziergänge im Jahr 2019 immer dieselben Steine auf einer Wiese fotografierte. Aus den „digital multiplizierten“ Aufnahmen entstand eine Art Rasterbild in den dominanten Farben der Fotos, das nun an einen Barcode erinnert. Mit Arbeiten wie diesen wird jeweils die mögliche Form des Kunstwerks unter strikter Vorgabe von Parametern zur Disposition gestellt. Nicht nur den Kontext der Kunst betreffend bleibt demnach eine grundsätzliche Frage, worin nämlich Freiheit im Rahmen eines (künstlerischen) Programms bestehen kann.
Darauf wohl verweist der Titel der Ausstellung im Feuerwehrmuseum Groß St. Florian, freispiel, in der Matt und der in Wies lebende Wolfgang Temmel einen künstlerischen Dialog führen. Bildnerische Übertragung statistischer Erhebungen nimmt auch Temmel mit seinem Feuerwehrmuseumstartan (2020) vor. Die farbig ausgewiesenen, über den Zeitraum 2015 bis 2019 im Kreisdiagramm dargestellten Besucherzahlen des Museums sind nach Mengen in eine farbgleiche Struktur übertragen, die nun als Schottenkaro erscheint. Wiederum handelt es sich um die Entscheidung für eine Form, die unter Bedingungen von Parametern und programmatischer Umsetzung möglich wird. Die Anwendung alternativer Analyse- und Übertragsverfahren hätte zur anderen Form und anderem Ergebnis bei selbem Ausgangsmaterial geführt. Wie in einer Metapher ist damit auch das interpretatorische Verhältnis zwischen Kunstwerk und Rezipienten artikuliert. Damit handelt die Schau im Grunde von Wahrnehmung und Interpretation, von Wirklichkeit und Transformation ins oft konzeptuelle Kunstwerk.
Wenn die Übertragung von Sprache in Schrift ohnehin schon einen Prozess der Verbildlichung bedingt, kehrt Hubert Matt dieses Verhältnis um, indem er plastische und zweidimensionale Bildelemente als quasi Sprache zu lesen gibt: In rebusartiger Anordnung werden zwei Rahmenobjekte an der Wand und ein darunter stehender zweibeiniger Tisch zum Schriftzug „Gott“. Was eine musikalische Komposition sein kann respektive nach welchem Konzept sie zustande kommt, demonstriert Wolfgang Temmel in zwei Videos. Ein Jahr lang sang er täglich einen angehaltenen Ton in sein Smartphone. Bild und Klang aneinander gereiht sind es „Tagestöne“ in der Länge von eineinhalb Minuten. Nach demselben Muster bat Temmel 2017 in Island zufällig getroffene Menschen, einen Ton zu singen, woraus die „Icelandmelody“ entstand. „Mediatisierte Naturerfahrung“ nennt Temmel seine malerischen Übertragungen von Satellitenfotos Nordkoreas – eine subjektive Interpretation nach reduzierter Information. In einem „Atlaswerk“ wiederum fasst Hubert Matt seine landschaftlichen Erkundungen zwischen Bregenz und Groß St. Florian zusammen, einmal mehr in mikrokosmischen Strukturvergleichen und jedenfalls nicht dem Klischee gängiger Reiseführer entsprechend.
In eine Serie reproduzierter Landschaftsgemälde des 19. Jahrhunderts fügt Wolfgang Temmel die jeweils gleiche, scheibenförmige Wolke ein. Das Wiedererkennen des immer gleichen Details auf verschiedenen Ansichten motiviert hier die Frage, wie weit in den originalen Darstellungen von Landschaften denn je eine vorgefundene Wirklichkeit abgebildet wurde oder ob nicht schon diese akkomodiert wurden, also einer Idealvorstellung ihrer Zeit entsprachen.
Mit solchen und zahlreichen weiteren Exponaten gleicht die Schau einer Medienkritik an beziehungsweise mit künstlerischen Mitteln.

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