08/10/2019

Wolkenschaufler_27

Vom Kunstwerk zum Arboretum

Wenzel Mraček zur Installation im Klagenfurter Fußballstadion.

.

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

08/10/2019

For Forest – Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur, Installation im Fußballstadion in Klagenfurt

©: Wenzel Mraček

Initiator und Vermittler Klaus Littmann

©: Wenzel Mraček

Europapark, Klagenfurt

©: Wenzel Mraček

Vom Kunstwerk zum Arboretum

Noch im August dieses Jahres standen in der sibirischen Taiga Wälder auf einer Fläche von 5,4 Millionen Hektar in Flammen. Von Jänner bis August wurden im Amazonas-Regenwald 71.500 Feuer registriert. Damit ist die Zahl der Waldbrände im Weltklima beinflussenden Ökosystem um 82 Prozent höher als im Vorjahr. Direkt betroffen davon sind Indigene, deren Lebensraum abgefackelt wird. Präsident Trump hat seinen Landwirtschaftsminister angewiesen, zur Beförderung der Holzindustrie die Hälfte des größten Nationalparks der Vereinigten Staaten, des Tongass National Forest in Alaska, zur Abholzung freizugeben. Betroffen wären etwa 8,4 Millionen Hektar Walds. Der Waldverband Österreich beklagt Rekordmengen an Schadholz im Jahr 2018, nämlich 19,2 Millionen Festmeter und damit um neun Prozent mehr als im Jahr 2017. Die Ursachen sieht der Forstverband – bedingt durch Erwärmung und Trockenheit – unter anderem im Befall durch Borkenkäfer in bisher noch nicht registriertem Ausmaß. Dass Fichtenbestand und Monokulturen diese Entwicklung vorantreiben ist der Website des Waldverbandes allerdings nur indirekt zu entnehmen. Freilich sind selbstregulierende Mischkulturen umso aufwändiger zu bewirtschaften. In Thüringen stellen Ökologen und Förster fest, dass sogar die als robust geltenden Buchenbestände inzwischen in Mitleidenschaft gezogen sind. Einhelliger Tenor der Fachleute ist allerdings: nicht der „Wald“ sei in Gefahr, sondern durchwegs in Monokultur gezogene Plantagen.

Im Klagenfurter Wörtherseestadion hat der Schweizer Kunstvermittler und Künstler Klaus Littmann nach einer mit 1970/71 datierten Zeichnung des Tirolers Max Peintner eine Installation eingerichtet, die man im Vergleich zu den Bildinhalten als Tableau Vivant bezeichnen könnte. Peintners Bild Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur zeigt tausende von Menschen auf den Rängen eines Stadions, die, als wäre es eine Sportveranstaltung, auf eine im Zentrum des Spielfeldes befindliche Baumgruppe blicken. Im Hintergrund die Silhouette einer Stadt mit Hochhäusern und qualmenden Schloten.
Die Fläche des Fußballfeldes exakt ausfüllend, ließ Klaus Littmann 299 Bäume von 16 Arten (keine Fichten) setzen, die einen Mischwald simulieren, wie er in Kärnten wachsen könnte. Es ist freilich das Bild eines Waldes, das mit der Umgebung des Stadions ziemlich nah der Zeichnung kommt. Ein Kunstwerk nach einem Kunstwerk, das, wie die dystopische Darstellung Peintners, nun abermals deutlichen Verweischarakter beinhaltet – auf etwa vormals natürliche Ökosysteme, deren Bestand nach ökonomischen Anforderungen bewertet, be- und gehandelt werden. Simulierte Natur wird nach dem apokalyptisch anmutenden Bild in Herbarien erhalten. „Das Projekt“ ist auf der Website For Forest zu lesen, „versteht sich auch als Mahnmal dafür, dass die Selbstverständlichkeit der Natur eines Tages nur noch in ihr speziell zugewiesenen Gefäßen zu bestaunen sein könnte, wie das bereits heute etwa mit Tieren im Zoo der Fall ist“. Versatzstücke von Natur, die ein Verhältnis zwischen Natur und Kultur evozieren.

Klaus Littmann sagte in einem Radiogespräch, er habe sich vorgenommen, während der Öffnungszeiten so lange wie möglich anwesend zu sein, um Interessierten erzählen zu können, zu diskutieren, Vermittlungsarbeit zu leisten. So war es wohl kein Zufall, dass Littmann während meines Besuches tatsächlich vor immer wieder wechselndem Publikum sprach. Während der Radiosendung erzählte er, dass er seit dreißig Jahren mit der Umsetzung des Projekts befasst war. Damals, 1989, zeigte ihm der befreundete Kulturmanager Edek Bartz ein Buch mit Zeichnungen von Max Peintner, die alle zu Anfang der 1970er Jahre entstanden waren. Littmann suchte Max Peintner auf, um Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur zu kaufen. Der aber meinte, Littmann komme da „um 20 Jahre zu spät“. Lächelnd wünschte Peintner „Alles Gute“, als Littmann sein Vorhaben erwähnte, die Zeichnung real werden zu lassen.
Dreißig Jahre lang suchte Littmann nun in Deutschland, Österreich und der Schweiz nach einem Stadion, während er sich naturgemäß immer vor das Problem gestellt sah, dass Fußballklubs, so sie einigermaßen erfolgreich sind, ihr Stadion nicht für ein Kunstwerk zur Verfügung stellen. Vor sechs Jahren war dann ein Schweizer Kollege von einem Klagenfurter Kunstverein eingeladen, der Littmann von dem, für eine Stadt wie Klagenfurt, weit überdimensionierten Stadion erzählte und von dessen leidiger Geschichte. Er habe aufgehört zu zählen, erwähnt Littmann, als er zum 43. Mal in Klagenfurt gewesen sei. 2017 konnte er den Stadtsenat überzeugen und auch davon, dass das Projekt privat finanziert werde. Inzwischen kommt der Großteil des Budgets von Schweizer Mäzenen. Etliche Firmen haben Material, Bau- und Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt.
Beigezogen wurde der Schweizer Landschaftsarchitekt Enzo Enea, der Littmann auf „verschulte Bäume“ hinwies. Bäume, die während ihres Wachsens in Wurzelballen alle vier Jahre in größere Ballen gesetzt werden, gezogen, um als jeweils ausgewachsener Baum an anderen Orten gepflanzt werden zu können. In Italien, Holland, Deutschland werden solche Bäume an Kunden verkauft. Enea wiederum konsultierte „Baumscouts“, die Exemplare 16 verschiedener Arten fanden. Im Voraus wurde überlegt, was mit den Bäumen nach Abbau der Installation geschehen soll. „Definitiv“, sagt Littmann, wird der Wald, „ eins zu eins, so wie er im Stadion steht, nah der Universität im öffentlichen Raum verpflanzt“. Hier soll er solitär auf einem großen Grundstück stehen, ergänzt durch einen Pavillon aus Holz, in dem die Geschichte des Projekts dokumentiert ist. Littmann denkt daran, dass der am neuen Ort möglichst auswachsende „Wald“ von SchülerInnen und Studierenden im Sinn eines Urwaldes beforscht werden könnte. Sollte ein Areal in Uni-Nähe wirklich in Frage kommen, wäre beispielsweise der Unterschied zum anliegenden Europapark relevant, der nicht als Wald bezeichnet werden kann, nachdem dort einzelne Parkbäume auf Wiesenflächen stehen, unterbrochen von asphaltierten Wegen und wo sich, im Sinn der Parkpflege, kein Waldboden entwickeln soll. For Forest – Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur könnte so zum Arboretum werden, einer Baumsammlung, an der man bobachten könnte wie sich ein einem Urwald vergleichbares Ökosystem entwickelt.
Zwischen den Bäumen im Stadion bemerkt man Vögel, die das Kunstwerk offenbar als Wald akzeptieren.

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+