10/09/2019

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

10/09/2019

Freiflughalle, Hong Kong

©: Zita Oberwalder

Kein guter Nachbar!

„Google go home!“, „Fight Google!”, „Google ist kein guter Nachbar!“, war im Frühjahr 2018 auf Transparenten während Protesten in Berlin Kreuzberg zu lesen. Im Alten Umspannwerk wollte der IT-Konzern ein Startup-Zentrum als Campus errichten. Als Folgen befürchteten die BewohnerInnen Kreuzbergs aber noch größeren Wohnungsmangel, teurere Mieten, auch für Kindergärten und Gewerbetreibende – und sie konnten sich durchsetzen. Tatsächlich musste Google ausweichen und eröffnete im Jänner 2019 seine Zentrale gegenüber der Museumsinsel an der Spree, in einem von Martin Gropius entworfenen Backsteinbau, in dem sich ehemals die erste Universitäts-Frauenklinik befand.

Der Soziologe Richard Sennett beschreibt in seinem 2018 erschienen Band Die offene Stadt seinen Besuch in der hier Googleplex genannten Konzernzentrale in New York City (im hauseigenen Online-Kartenwerk Google Building), gelegen am Hudson River, nördlich von Greenwich Village. Googleplex erwies sich als Stadt in der Stadt:
    Das Innere des Gebäudes soll autark sein. Google ist berühmt dafür, dass ein Angestellter innerhalb eines Googleplex alles zur Verfügung hat, was er nur wünschen mag. Er kann seine Wäsche reinigen lassen, den Arzt besuchen, ins Fitnessstudio gehen, übernachten […] – eine reich ausgestattete Arbeitsumgebung. […] Die 24-Stunden-Services dienen hauptsächlich dazu, das Leben der Angestellten auf das Unternehmen zu fokussieren und unternehmensfremde Ablenkung zu minimieren. Alle Googleplexe – über den gesamten Globus verstreut, vom Silicon Valley bis München – sind geschlossene Anlagen und ganz darauf ausgerichtet, ansonsten ungebundenen Twens möglichst viel Arbeit abzugewinnen. (1)
Ein Googleplex, fährt Sennet fort, bildet damit eine Insel innerhalb der Stadt, die dennoch beträchtliche Auswirkung auf ihre Umgebung hat. Auf „Google-Leute“ führt Sennett die immens gestiegenen Immobilienpreise in Manhattan und San Francisco zurück. Konzernzentralen wie ein Googleplex ziehen Boutiquen, Restaurants und neue Gewerbe an, wodurch wiederum Mietpreise für Gewerbeobjekte steigen und vormals ansässige Betriebe weichen.

Die Auswirkungen der Ansiedlung von Großkonzernen wurden vor kurzem in einem Radiofeature (2) thematisiert: Mit den Anfängen im Silicon Valley errichten Unternehmen wie Facebook, Apple oder Google ihre Zentralen jeweils als Campus. Allein im Jahr 2016 wurden von diesen und weiteren Konzernen 23,4 Milliarden Dollar in die Stadt San Francisco – eine halbe Autostunde entfernt vom Valley – investiert. Unter anderem damit befasst, erläutert der Stadtökonom Felix Hartenstein vom Berliner Institut für Wirtschaft und Stadt (INWISTA), sei San Francisco inzwischen die teuerste Stadt der USA. Die Miete für eine Einzimmer-Wohnung liegt derzeit bei durchschnittlich 3590 Dollar im Monat.

Wie in Berlin gab es im Jahr 2018 auch in New York Proteste gegen die Ansiedlung eines Weltkonzerns. Amazon hatte einen Wettbewerb für sein neues Headquarter ausgeschrieben, wofür sich mehr als 2000 Städte beworben hatten. Von Bürgermeistern wurde Amazon mit merkwürdigen Geschenken hofiert, „eine Stadt“ erzählt Felix Hartenstein, „wollte sogar einen ganzen Stadtteil nach Amazon benennen“. Dazu kamen avisierte Steuerbegünstigungen und nicht geringe Subventionen wurden in Aussicht gestellt. Zwei Zentralen sollten daraufhin gebaut werden, eine in Washington D.C. und die andere in New York. Im für Amazon vorgesehene Areal in Long Island City (Queens) war bis dahin der Bau von Sozialwohnungen geplant. Zudem ist der Stadtteil, insofern Kreuzberg vergleichbar, von stark durchmischter Bevölkerung bewohnt. Auch hier befürchteten die Einheimischen, dass sie kaum von der Ansiedlung des Konzerns profitieren würden und durch Beschäftigung zugezogener Arbeiter die Lebenskosten steigen würden. Schließlich kam auch die Überlegung ins Spiel, dass ein Konzern, dem der reichste Mann der Welt vorsteht, nun gerade von einer Stadt an einem Ort subventioniert werden soll, der von deutlich sozialem Gefälle geprägt ist. „Queens“ allerdings „kann einpacken“, titelte Die Zeit im November des Vorjahres. Da stand gerade fest, das Amazon mit dem Bau beginnen wird.
An Amazons Hauptsitz in Seattle kontrolliert der Konzern inzwischen 20 Prozent der gewerblichen Immobilien der Innenstadt. Hier konnte Amazon auch die Einführung einer Zusatzsteuer verhindern, aus deren Ertrag Obdachlose unterstützt werden sollten.

Der Einfluss auf Stadtentwicklung – in weiter gefasstem Sinn – zeigt sich zudem etwa an Googles digitalen Diensten. Beispielsweise „formt“ der Kartendienst von Google, „was wir von einer Stadt sehen können“, sagt Mark Graham, Professor für Internetgeografie am Oxford Internet Institute. Sucht man beispielsweise nach einer Auswahl von Restaurants, zeigt uns Google zwar etliche, gleichzeitig verbirgt die Maschine andere. Damit „formt“ der Internetdienst ein als Wissen von Usern entstehendes Bild einer Stadt und damit eigentlich die Stadt selbst. So spricht Graham von einer „Gestaltungsmacht“ – nicht allein gegenüber dem Abbild einer Stadt. Die Proteste in NYC und Berlin zeigten, dass die Bewohner ihren Anspruch vertreten, es seien „unsere Städte“. Nach Graham bestünde für BewohnerInnen die Option, bestimmte digitale Dienste in Anspruch zu nehmen, um damit Einfluss auf Firmenansiedlungen zu nehmen, woraus die Lebenshaltungskosten der bisher Ansässigen steigen, wie die Erfahrung zeigt. Als Alternativen schlägt Graham Open Source Dienste wie Wikipedia oder Open Street Maps vor. Er appelliert an die Verantwortung von BürgerInnen, aus deren Initiativen ein Kartenwerk wie Open Street Maps entsteht, was seiner Meinung nach eine objektivere, wenn nicht demokratische Formung der Stadtbilder bewirken könnte.

(1) Richard Sennett: Die offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und Bewohnens. Berlin 2018, S. 181f.
(2) Ö1, Datenpunkte im Informationszeitalter, Radiokolleg 27.08.2019

Karin Tschavgova

Mit solch interessanten - gut recherchierten, informativen - Beiträgen zeigt GAT eindrücklich, dass es wert wäre, dieses digitale Forum österreichweit "aufzustellen".

Di. 10/09/2019 10:10 Permalink
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