12/03/2019

Wolkenschaufler_20

Schön wohnen in der g’scheiten Stadt.

.

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

12/03/2019

greenbox COOLCITY, Waagner-Biro-Straße 113, 115

©: Wenzel Mraček

Cool City, Ansicht von Süden

©: Wenzel Mraček

Einmal noch: Im Wolkenschaufler_19 habe ich angemerkt, dass ein Investor die Schweizer Gemeinde Andermatt um 900 Mio. Franken zu einem exklusiven Tourismusort umgebaut hat. Damit verbunden sind freilich Zu- und Abwanderung und eine deutliche Steigerung der Lebenshaltungskosten. Als Problem erweist sich, unter welchen finanziellen Bedingungen man in Andermatt leben kann, sofern man nicht betuchter Gast, neuer Eigentümer oder anderweitig in die neuen Geschäftsmodelle eingebunden ist. Der Gemeinderat, geht aus einer Studie der Hochschule Luzern hervor, überlegt deshalb, in welcher Form erschwingliche Gemeindewohnungen errichtet werden können.

„Warum soll ich nicht beim Gehen
[…] in die Ferne sehen?
Schön ist es auch anderswo,
Und hier bin ich sowieso“,
sagt ein „Mister namens Pief“ bei Wilhelm Busch.

Wie es uns spätestens George Packer 2013 (dt. 2014) in seiner großen Dokumentation Die Abwicklung; Eine innere Geschichte des neuen Amerika an Beispielen in Ohio und Florida vor Augen führt, entsteht Segregation infolge schier grenzenlosen Kapitals von Großkonzernen beziehungsweise der Immobilienblase (Finanzierung von Houseflippern durch Großbanken), die auch ein Auslöser der Finanzkrise 2008/09 war. Nach dieser Zäsur dürfte sich dieselbe Malaise offenbar von neuem entwickeln, wenngleich mancherorts schon Kompensationen vorgenommen werden.
Im aktuellen art; Das Kunstmagazin (März 19) erinnert der Autor Till Briegleb an Seattle. Binnen acht Jahren führte dort die Expansion von Amazon und Microsoft zu einer Mietpreissteigerung für Wohnungen um beinahe hundert Prozent. Zahlungskräftige Konzernmitarbeiter verdrängten Mieter aus ihren Wohnungen, was zu einem massiven Anstieg der Zahl Obdachloser führte. Eine von der Stadt angedachte Obdachlosensteuer konnte von den Konzernen verhindert werden – offenbar auch unter Anwendung ziemlich unfreundlicher Methoden. Microsoft bot Seattle einen Kredit von 475 Mio. Dollar für sozialen Wohnbau. Über die Zinsen entsteht daraus neuerlicher Gewinn – ein Geschäft mit der Armut und dem Grundbedürfnis, wohnen zu müssen.
Immerhin, führt Briegleb weiter aus, halten Städte wie London, Los Angeles, New York oder Hamburg der Entwicklung von Obdachlosigkeit infolge Immobilienspekulation inzwischen entgegen. Im Bild wird auf das Beispiel eines in London 2014 bis 2016 nach einem Entwurf der Architekten Rogers Stirk Harbour + Partners errichteten, modulartigen Komplexes für „vorübergehendes Wohnen“ verwiesen, es entstehen passable Häuser für Menschen aus finanziell schwächeren Gesellschaftsschichten.

In dem auf GAT erschienenen Interview mit dem Grazer Bürgermeister antwortet dieser auf die Frage nach „Leistbarkeit des Wohnens angesichts der Zuwanderung“ unter anderem:
„ … Aufgrund des großen Angebots gibt es auch viele Leerstände und so kommen auch sozial Schwächere zu relativ günstigen Mieten und damit leichter zu schönem Wohnraum.“
Freilich verweist der Bürgermeister auch darauf, dass in Graz „wieder vermehrt Gemeindewohnungen“ errichtet werden. Das Argument allerdings, nur das permanente Schaffen neuen Wohnraums hielte Preise für Immobilien respektive Wohnkosten, im Vergleich etwa zu Salzburg oder Innsbruck, in einem akzeptablen Rahmen wirkt, euphemistisch gesagt, kühn.
Unter dem Titel „Graz verbaut sich seine Zukunft“ erschien im Oktober des Vorjahres eine Broschüre der Initiative für ein unverwechselbares Graz. Vorrangig wird hier das Problem der Versiegelung im Stadtraum aufgezeigt. Beispiele wie das Brauquartier Puntigam, Amalfi in St. Peter, die Waltendorfer Hauptstraße oder die Eckertstraße betreffen allerdings Projekte von Immobilienentwicklern, bei denen Wohnqualität deutlich gegenüber Bebauungsdichte verliert. Für den Bereich der neuen Smart City, Waagner-Biro-Straße 109-115, der sogenannten COOL CITY, wird die Überschreitung der Bebauungsdichte um 65 Prozent moniert. „Vier Gebäude stehen schematisch in äußerst knappen Abständen zueinander. Dies ohne einen lärmreduzierten Freiraum zu bilden oder eine Grünfläche (Kinderspielplatz) einzuschließen oder auf die Besonnung der Wohnungen zu achten.“ Vom Wolkenschaufler von außen in Augenschein genommen, lässt sich gegen die Penthouse-Wohnungen nichts einwenden. Der überwiegende Teil weiterer Wohneinheiten ist – wie in einem Szenenbild eines Blade-Runner-Films – jedenfalls gut beschattet.
Gegenüber – nördlich und südlich des Science Tower – bauen TRIVALUE. REAL ESTATE INVESTMENTS, Haring und Wegraz die Smart City Nord und Süd. Im südlichen Komplex, mit 24.800 m2 Nutzfläche, werden, über der obligaten gewerblichen Nutzung des Erdgeschoßes, auf sechs weiteren Stockwerken 252 Wohnungen errichtet. „Für die Fassaden wurde bewusst eine rohe Materialität mit industriellem Charme ausgewählt“, heißt es auf der Website von Trivalue. „Im Süden und Norden schließen Wände aus gestapelten Schiffscontainern das Gebäude ab. Als beispielgebende Antwort auf die Frage nach ‘Platz’ bieten die, den Wohnungen zugeordneten Container, zusätzlichen Stauraum.“
Erschwingliche Wohnungen, lässt sich nun schließen, sind für Hab und Gut künftiger Bewohner zu klein, weshalb Staucontainer gleich mit gebaut werden. Erschwinglich zudem dürften solche Wohnungen für eine Klientel von Anlegern sein, die in Einheiten bis zu 50 m2 investieren. Als „schöne(r) Wohnraum“ zu klein, entsteht verbautes Volumen, dem die Erfüllung von Wohnbedarf wohl nur in geringerem Maß gegenüber steht.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+