11/12/2018

Gedanken zu Smart City von Wenzel Mraček

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Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

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11/12/2018

Freiflughalle, Hong Kong

©: Zita Oberwalder

Damals nannte man es Fiktion

Was sich 1996 in der wirklichen Welt zwar schon abgezeichnet haben dürfte, war im Erscheinungsjahr des Romans von William Gibson dennoch literarische Fiktion. In IDORU ist eine Figur namens Laney damit beschäftigt, die Datenströme des www zu analysieren. Die Recherche Laneys zeigt, dass Individuen ihre Daten wie Abdrücke ihrer Persönlichkeit im Netz hinterlassen, und es stellt sich heraus, dass Auftraggeber aus den so gewonnenen Daten-Zweitkörpern kommerziellen Gewinn schlagen wollen.
Wenige Jahre zuvor schon setzte sich ein 1987 in Chicago gegründetes Künstlerkollektiv, das Critical Art Ensemble (CAE), in mehreren Projekten mit demselben Thema auseinander und machte darauf aufmerksam, dass durch die Nutzung diverser Kommunikationsmedien wie Kreditkarten, Mobiltelefon, Internet oder bei Konsultierung öffentlicher Stellen ein „materieloser Datenkörper“ entsteht, der Individuen zugeordnet werden kann. Die Interpretation personenbezogener Daten liefert Aufenthalts- und Bewegungsmuster, wenn nicht Charakterisierungen von Personen. Für CAE war damals die Frage nach der Realität eines zweiten, nämlich aus Datenmengen errechneten Körpers relevant, wie er im Begleittext eines Videos beschrieben wird:
„Real ist die Information, die meine Existenz als Cyborg bestätigt. Real ist mein Datenkörper – der Datenstrom, der mich repräsentiert. Ich korrigiere. Ich repräsentiere ihn. Die Daten sind das Original, ich bin die Fälschung. Sehen Sie nur all die Dateien, die sich in meiner organischen Subjektivität überschneiden: Kreditdateien, Reisedateien, Ausbildungsdateien, Gesundheitsdateien, Arbeitsdateien, Kommunikationsdateien, politische Dateien, Steuerdateien, Investmentdateien, Konsumdateien, Dateien ohne Ende. Gäbe es nicht diese „digitalen Abstraktionen“, ich würde im Bereich des Sozialen gar nicht existieren. Diese Dokumente klären andere über die Natur meiner sozialen Rolle und kulturellen Identität auf. […] Mein In-der-Welt-Sein wird auf das politische und ökonomische Resultat meiner täglichen Aktivität reduziert.“ (1)

Dezidiert von Überwachung dagegen handelt George Orwells 1949 erschienener Roman 1984. Bei Orwell ist es ein „Televisor“, sowohl Sende- als auch Empfangsgerät, durch das die Bürger in jedem Haus, auf öffentlichen Plätzen und bei der Arbeit überwacht werden. Überall sind Mikrofone angebracht und Hubschrauber patrouillieren. Die „Gedankenpolizei“ späht, Jeremy Benthams Panoptikon vergleichbar, in die Fenster der Wohngebiete.

All die Technik, schreibt Malte Kollenberg in einem aktuellen Artikel für das Goethe-Institut Korea, wird in einer aufgeheizten, fensterlosen Steuerungszentrale kontrolliert, in der sich drei Techniker um das Leben von einigen Hundert Menschen kümmern. „Von hier aus kann jede Wohnung geschaltet werden. Alltagsaufgaben werden nicht mehr von den Bewohnern, sondern zentral verwaltet. Kurz bevor die Nachhilfestunde anfängt, sendet das System beispielsweise automatisiert eine Erinnerung in die Wohnung bzw. auf ein Smartphone.“ (2)
Die Rede ist von der südkoreanischen Stadt Songdo, in der alles erfassende technische Anlagen das Leben der Menschen „ressourcenschonend, umweltfreundlich und letztlich komfortabler machen. Songdo gilt als Vorzeige-Smart City“.
In einem anderen Artikel führt Andrea Schorsch aus, dass in Songdo Strom und Energie dem jeweiligen Bedarf entsprechend zur Verfügung gestellt werden. Jalousien werden automatisch eingestellt und der Verkehr fließt, indem Ampelschaltungen auf das Verkehrsaufkommen reagieren. Und auch die Polizei ist erleichtert: Kameras haben alles im Blick, registrieren etwaige Einbruchsversuche, die sofort an die städtische Zentrale übermittelt werden. Alle Abläufe der Stadt sind kontrolliert, denn nur so kann der Energiebedarf jederzeit optimiert werden. (3)

In Graz ist man stolz auf die Entwicklungsgebiete um die Waagner Biro Straße und Graz-Reinighaus. Die Philosophin und Wirtschaftsjournalistin Manuela Lenzen zitiert in ihrem Buch Künstliche Intelligenz von der Website smartcitygraz.at:
„Mit dem Begriff „Smart City” wird eine energieeffiziente, ressourcenschonende und emissionsarme Stadt höchster Lebensqualität bezeichnet, wo neueste Energietechnologien zur Anwendung kommen. Die Bereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeit sowie eine bedarfsgerechte Nahversorgung sollen berücksichtigt werden. Attraktive öffentliche Parks und Plätze bilden wichtige Lebensräume für die Bevölkerung. Ein schonender Umgang mit unserer Umwelt soll durch die Umsetzung zukunftsfähiger Energie- und Verkehrskonzepte erreicht werden.“ (4)
Im folgenden Kapitel handelt Lenzen von Überwachung und dem Problem des Datenschutzes: „Wände, Fußboden und Decke bekommen Augen und Ohren. Der Mensch, seine Körperfunktionen, seine Stimmungen, sein Terminkalender, seine Bewegungsmuster, seine Einkäufe, alles steht unter dauernder Beobachtung.“ (5)

Freilich will man in Graz auch die „Kerntechnologie Grätzel-Zelle“ entwickeln, durch welche die smarten Stadteile energieautark werden sollen. Ohne Berücksichtigung des Parameters Bewohner wird das wohl nicht möglich sein. Was gesteuert werden will, muss kontrolliert werden, und der Bürgermeister wird wissen können, wann ich zuhause bin.
Ordnung, sagte schon Hausmeister Krause, muss also sein.

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(1) Werner Fenz/Reinhard Braun (Hrsg.): Radikale Bilder. 2. österreichische Triennale zur Fotografie. Bd. 2, Graz 1996, S. 170.)
(2) Malte Kollenberg: Die Stadt die mitdenkt. (Siehe Link)
(3) Vgl., Andrea Schorsch: Die Zukunftsstadt, die es schon heute gibt. (Siehe Link)
(4) Manuela Lenzen: Künstliche Intelligenz. Was sie kann & was uns erwartet. München 2018, S. 191.
(5) Ebda., S. 193.

Karin Tschavgova

Rem Koolhaas hatte zur Smart-City-Zukunft auch etwas zu sagen und zwar 2014 in der Europäischen Kommission in Brüssel. Dieses Transkript mit (für mich) höchst interessantem Inhalt ist in Englisch unter folgendem Link nachzulesen: http://ec.europa.eu/archives/commission_2010-2014/kroes/en/content/my-th...
Für alle, die es lieber in guter Übersetzung auf Deutsch nachlesen, habe ich es seinerzeit übersetzen lassen. Nachlesbar als Download (pdf-Dokument) auf der Infoleiste hier rechts.

Di. 11/12/2018 11:18 Permalink
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