29/01/2016

Podiumsgespräch
anlässlich des Superscape 2016 am 19.01.2016 im Az W

Thema: Was muss Wohnraum in der Stadt von morgen leisten?

Am Podium
_ Elke Delugan-Meissl, Architektin, DMAA, Kommissärin des Österreich-Beitrags zur Architektur-Biennale 2016
_ Harald Gründl, Designer und Designforscher, EOOS
_ Lilli Hollein, Kuratorin, Autorin und Journalistin in den Bereichen Architektur und Design, Direktorin Vienna Design Week
_ Anna Popelka, Architektin, PPAG Architects
_Wolfgang Pauser, Philosoph, Jurist, Essayist zu Themen Bildende Kunst, Design, Architektur.

Superscape
2-stufiger Wettbewerb für innovative Lösungen urbanen Wohnens.

Einreichungsfrist
bis 07.03.2016

Auslober: JP IMMOBILIEN

29/01/2016

Am Podium v.l.n.r.: Harald Gründl, Lilli Hollein, Anna Popelka, Elke Delugan-Meissl, Wolfgang Pauser.

©: Pia Teufl
©: JP Immobilien

Superscape 2016 (1) lud am 19.01.2016 ins Architekturzentrum Wien ein, um im Rahmen eines Podiumsgesprächs die Frage zu erörtern, was der Wohnraum in der Stadt von morgen leisten muss. Elke Delugan-Meissl, Harald Gründl, Lilli Hollein und Anna Popelka diskutierten mit Wolfgang Pauser über zahlreiche Herausforderungen von Architektur und Design, die sich durch wirtschaftliche und soziale Entwicklungen eröffnen.

Rund 160 Gäste fanden sich ein, um über Anforderungen und Erwartungen an den zukünftigen städtischen Wohnbau zu diskutieren. Hintergrund für das Podiumsgespräch war die noch laufende Ausschreibung des Architekturkonzeptpreises Superscape 2016, der das Thema Future Urban Living - Funktionale Reduktion mit maximalem Raumgewinn ins Zentrum stellt.

Immer mehr Menschen werden künftig in bestehenden Städten leben wollen, das betonte Autor und Moderator Wolfgang Pauser schon zu Beginn des Podiumsgesprächs. Die logische Folge dieses Trends sowie der zunehmenden Knappheit von Ressourcen jeglicher Art sei die Verkleinerung des Wohnraums. Wie die Architektur dazu beitragen kann, unter diesen Bedingungen auch künftig lebenswerten Wohnraum in den Städten zu gestalten und wie das Zusammenspiel von Wohn- und Stadtraum in Zukunft aussehen kann, wurde in der anschließenden Diskussion aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet.

Elke Delugan-Meissl zeigte schon zu Beginn der Diskussion auf, dass es nicht richtig sei, die Verantwortung über die Gestaltung des Wohnraums der Zukunft zur Gänze den Architektinnen und Architekten zuzuschreiben. Vielmehr sei es wichtig, dass die Zusammenarbeit sämtlicher an diesem Schaffungsprozess beteiligten Personen künftig enger werde. Denn an innovativen Konzepten für die Neugestaltung von Wohnraum mangle es nicht – viel mehr sei die Umsetzung dieser oft zum Scheitern verurteilt. Dies liege unter anderem daran, dass derzeit noch immer veraltete Typologien des Wohnens tradiert werden, die mit künftigen Anforderungen nicht vereinbar wären. So stehe der aktuelle Trend des „smart livings“ lediglich für die größtmögliche Reduktion von Raum aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Ressourcen bei Aufrechterhaltung veralteter Intentionen und tradierter Wohn-Typologien – dies sei keineswegs smart. Vielmehr müsse die Stärkung des halböffentlichen und öffentlichen Raums vorangetrieben sowie flexible Modelle des Wohnens ausgetestet werden. Denn durch den vermehrten Zuzug von Menschen unterschiedlichster Herkunft vervielfältigen sich auch die Anforderungen an Wohnraum. Die benötigte Flexibilität im Wohnbau unter Beibehaltung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen zu realisieren, sei die Herausforderung der Zukunft.

Die Architektin Anna Popelka setzte an diesem Punkt fort und betonte, dass gerade aufgrund dieser aktuellen Problemstellungen die Gunst der Stunde genutzt werden müsse, um als ArchitektIn Lösungen anzubieten, die über Grenzen hinweg umsetzbar sind. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass die „Wohnung von morgen“ schon im ganzen 20. Jahrhundert ein großes Thema gewesen sei, Gesellschaft und Architektur aber trotzdem am Wohnmodell der klassischen Moderne mit funktional abgetrennten Räumen hängen geblieben wären. Nun sei aber der Punkt gekommen, an dem diese Raumgrenzen wieder zunehmend aufgelöst und Räume mit Mehrdeutigkeit geschaffen werden. Dieser Trend beinhalte auch die Auslagerung von Funktionen in den halböffentlichen oder öffentlichen Raum. Dies sei als Chance zu sehen, denn in einer Zeit der zunehmender Angst durch Anonymität wäre hier ein wichtiger positiver Effekt erzielbar: vermehrte Kommunikation mit NachbarInnen. Halböffentlicher Raum in Wohnbauten könne so zum sozialen Raum werden.

Raum ist für Lilli Hollein noch immer Luxus, das stehe für sie fest. Ob dieser Raum nun allerdings privat, halböffentlich oder öffentlich sei, das sei genauso individuell wie die Anforderungen an den Wohnraum. Bezugnehmend auf ihre Vorrednerinnen stimmte Lilli Hollein der zunehmenden Bedeutung des öffentlichen Raums somit zu. Sie sehe durch technologische Entwicklungen wie Carsharing außerdem viel Potenzial, um öffentliche Räume wie Parkplätze künftig für neue Zwecke nutzen zu können. Gleichzeitig wies sie aber darauf hin, dass der private, abgegrenzte Wohnraum durch die zunehmende Angst vor terroristischer Bedrohung im öffentlichen Raum vermehrt wieder zum Rückzugsort werde. Hier vollziehe sich wieder eine Wende, die die Relevanz des Privatraums als Rückzugsort und Ort der Geborgenheit wieder erhöhe.

Harald Gründl hakte in die Diskussion ein und zeigte einen weiteren Aspekt auf, der nicht zu vergessen sei: Erst wenn die Gesellschaft Herausforderungen wirklich auch als diese ansehe und ein Bewusstsein für bestehende Probleme entwickle, könnte die Architektur auch effektiv auf diese reagieren. Außerdem sei es in der Diskussion über den Wohnraum der Zukunft wichtig, auf die begrenzten Möglichkeiten der Menschen, ihre individuellen Wohnungswünsche zu erfüllen, einzugehen. Wesentliche Problemstellungen wie die wachsende Ungleichheit werden die Gesellschaft sowie die Architektur in den nächsten Jahren beschäftigen. In diesem Zusammenhang wäre für Gründl eine gesellschaftliche Übereinkunft über Minimalstandards des Wohnens notwendig: Was gilt es zu vermeiden und unter welchen Bedingungen ist menschenwürdiges Leben noch möglich? Orte für leistbares Wohnen zu schaffen und gleichzeitig Slumbildung zu vermeiden, seien für eine Stadt wie Wien notwendig, um sie zu einer Ankunftsstadt für Menschen auf der Flucht zu machen.

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